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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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rechtigkeit u. f. w. triumphirt, die Ehrfurcht, welche die Alten Furcht nannten, und
bewirken eben durch dieses Doppclgesühl die Reinigung und Sänftigung unsrer
eignen Leidenschaften. Sie wissen doch, was der treffliche Ilgen im burlesken Bilde,
von der Wirkung des Tragischen sagte? Sie sei die eines bittern Schnapses,
sagte er, auf nüchternen Magen genommen an einem kalten Herbstmorgen. Wo "
bei dem Untergang dieses Bernhard etwas von jener wohlthätigen Erwärmung
des Magens und jenem heilsamen Schreck, die uns das Wasser in die Augen
treiben? Der Tugendheld Bernhard läßt uns so gleichgiltig wie der Bösewicht
Richelieu: denn beide sind nicht mit der psychologischen Weisheit gemildert,
welche uns ihre Gestalten nähert., Der großartige Träger des Absolutismus
ist zum Erschrecken flach gehalten, "die ganze menschliche Gesellschaft ist ihm'
eine Herde Kühe, die er schlachtet, wenn er sie nicht mehr melken kann." Wie
wußte ein Shakespeare solche kühne Frevler, wie einen Bolingbrocke, den wort¬
kargen Mann der That, einen Richard III., einen Macbeth psychologisch zu
construiren! Wie fand selbst der Pragmatismus alter Historiker seine und tiefe
Motive, um den Absolutismus zu rechtfertigen, z. B. Livius, wo er die Jnnker-
partei der gestürzten Tarquinier (II , 3.) ihre Gründe anführen läßt: rsZem Ko-
irüiuzm esss, a "Mo nnpötrös, udi Ms ubi iniuria opus sit--essL Aratiae lo-
cam etc:. Wahrlich, solch eilt Geschichtschreiber weiß dem Factum mehr mensch¬
liches Leben einzuhauchen, als unsre Tageöpoeten ihren redenden Figuren!
Der Verfasser läßt im zweiten Act (der überhaupt der verfehlteste ist), Richelieu
seinen Monolog so schließen: "ich muß ihn völlig zu uns herüberziehen: wider¬
stehst Du aber, dann hast Du wahrgesagt, dann hüte Dich mir in den Weg
zu treten, dann hüte Dich, den Arm zum Schlage gegen Frankreich zu erheben!"
-- Das ist die bitterste Prosa, das sind Worte und Gedanken, welche die große
Heerstraße wandeln -- und -- ein Richelieu! Auch der politische Monolog Niche-
lieus im vierten Act ist sehr trocken. Der Pater Joseph, das Teufelchen
im Solde dieses großen Staatsmannes, ist, als ein trauriger Abklatsch dessel¬
ben, nicht imstande , das geringste Interesse zu erregen. Wer kann sich an
der wohlfeilen Manier erfreuen, in der Bernhard Josephs taktische Vorschläge
im zweiten Act abtrumpft, wer anders als etwa die Galerie? Dergleichen ziem¬
lich plumpe Nachahmungen von Jsolanis berühmten Grobheiten gegen Questen-
berg finden sich mehrfach, z. B. im ersten Act, wo Bernhard den Oberst Hen-
derson "den fremden Ritter der Fortuna" abtrumpft; in der vierten Scene des
dritten Acts, wo der ,,feine" Enno (Bernhards Secretär) dem französischen
Gesandten versichert, "sein Herzog trage Gott sei Dank die Krone auf seinem
eignen Kopfe; er bedürfe keines Richelieu." -- Die Nebenfiguren sind durch¬
weg ebenso flach gehalten, die Frauen namentlich ganz mißlungen; ein Fran¬
zose, der der Gloire dient, wird nicht dadurch ritterlicher, daß er alle fünf
Minuten Se. Denis! ausruft; durch dergleichen stehende Ejaculationen zu


rechtigkeit u. f. w. triumphirt, die Ehrfurcht, welche die Alten Furcht nannten, und
bewirken eben durch dieses Doppclgesühl die Reinigung und Sänftigung unsrer
eignen Leidenschaften. Sie wissen doch, was der treffliche Ilgen im burlesken Bilde,
von der Wirkung des Tragischen sagte? Sie sei die eines bittern Schnapses,
sagte er, auf nüchternen Magen genommen an einem kalten Herbstmorgen. Wo »
bei dem Untergang dieses Bernhard etwas von jener wohlthätigen Erwärmung
des Magens und jenem heilsamen Schreck, die uns das Wasser in die Augen
treiben? Der Tugendheld Bernhard läßt uns so gleichgiltig wie der Bösewicht
Richelieu: denn beide sind nicht mit der psychologischen Weisheit gemildert,
welche uns ihre Gestalten nähert., Der großartige Träger des Absolutismus
ist zum Erschrecken flach gehalten, „die ganze menschliche Gesellschaft ist ihm'
eine Herde Kühe, die er schlachtet, wenn er sie nicht mehr melken kann." Wie
wußte ein Shakespeare solche kühne Frevler, wie einen Bolingbrocke, den wort¬
kargen Mann der That, einen Richard III., einen Macbeth psychologisch zu
construiren! Wie fand selbst der Pragmatismus alter Historiker seine und tiefe
Motive, um den Absolutismus zu rechtfertigen, z. B. Livius, wo er die Jnnker-
partei der gestürzten Tarquinier (II , 3.) ihre Gründe anführen läßt: rsZem Ko-
irüiuzm esss, a «Mo nnpötrös, udi Ms ubi iniuria opus sit—essL Aratiae lo-
cam etc:. Wahrlich, solch eilt Geschichtschreiber weiß dem Factum mehr mensch¬
liches Leben einzuhauchen, als unsre Tageöpoeten ihren redenden Figuren!
Der Verfasser läßt im zweiten Act (der überhaupt der verfehlteste ist), Richelieu
seinen Monolog so schließen: „ich muß ihn völlig zu uns herüberziehen: wider¬
stehst Du aber, dann hast Du wahrgesagt, dann hüte Dich mir in den Weg
zu treten, dann hüte Dich, den Arm zum Schlage gegen Frankreich zu erheben!"
— Das ist die bitterste Prosa, das sind Worte und Gedanken, welche die große
Heerstraße wandeln — und — ein Richelieu! Auch der politische Monolog Niche-
lieus im vierten Act ist sehr trocken. Der Pater Joseph, das Teufelchen
im Solde dieses großen Staatsmannes, ist, als ein trauriger Abklatsch dessel¬
ben, nicht imstande , das geringste Interesse zu erregen. Wer kann sich an
der wohlfeilen Manier erfreuen, in der Bernhard Josephs taktische Vorschläge
im zweiten Act abtrumpft, wer anders als etwa die Galerie? Dergleichen ziem¬
lich plumpe Nachahmungen von Jsolanis berühmten Grobheiten gegen Questen-
berg finden sich mehrfach, z. B. im ersten Act, wo Bernhard den Oberst Hen-
derson „den fremden Ritter der Fortuna" abtrumpft; in der vierten Scene des
dritten Acts, wo der ,,feine" Enno (Bernhards Secretär) dem französischen
Gesandten versichert, „sein Herzog trage Gott sei Dank die Krone auf seinem
eignen Kopfe; er bedürfe keines Richelieu." — Die Nebenfiguren sind durch¬
weg ebenso flach gehalten, die Frauen namentlich ganz mißlungen; ein Fran¬
zose, der der Gloire dient, wird nicht dadurch ritterlicher, daß er alle fünf
Minuten Se. Denis! ausruft; durch dergleichen stehende Ejaculationen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/354>, abgerufen am 26.06.2024.