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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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feine Bissen Rhetorik in der prosaischen Brühe umher. In der That hätte der
Verfasser die besseren der sprachlich gehobenen Stellen leicht in wirkliche Poesie
verwandeln können, z. B die Rede Bernhards, ehe er den Giftbecher trinkt:


Dem schlauen Cardinal bleibt keine Wahl,

Als müßig zuschaun, oder mit mir ziehn

Als mein Vasall. Ihr Herren, ich sage Euch^

Wie ich den Becher fasse und umspanne,

So halte ich den Feind in meiner Hand;

Und was er Köstliches uns vorenthält,

Ich wills befrein aus seinem goldnen Kerker.


Versuche der Verfasser einmal überall so seine Prosa in Poesie umzusetzen,
und er wird sehen, wie oft sich der nüchterne Inhalt gegen jede edlere Form
sträubt.

Der zweite Hauptfehler liegt in der Charakteristik. Bernhard ist, so dar¬
gestellt, ein ganz untragischer Held. Er ist ein Ausbund von Tapferkeit, Un-
eigennützigkeit, Treue, Wahrheitsliebe, Frömmigkeit, Keuschheit, Patriotis¬
mus u. s. w., kurz ein Tugendspiegel, der nicht einmal den vom Helden un¬
trennbaren Ehrgeiz hat, ja der sogar tugendlich verschmäht, "mit einer muntern
Pariserin durch die verschwiegenen Gärten von Se. Germain zu lustwandeln."
Seine einzige Unvollkommenheit würde in seiner Kurzsichtigkeit bestehen: daß
er sich von Richelieu (dem er doch nicht traut) nach Rheinfelden schicken läßt,
um da überfallen zu werden; daß er dem französischen Gesandten höhnisch be¬
gegnet, um sich dafür von Richelieu vergiften zu lassen; daß er ein Testament
macht, welches ganz unausführbar ist u. f. w. Man möchte also umkehren,
was der Verfasser Richelieu von ihm sagen läßt (Act 2, Se. 2). "Er hat die
Kraft des Fanatikers ohne die Beschränktheit." Ein solcher Held ist langweilig
und die Vorsehung erscheint als muthwillig grausam, wenn sie diesen braven
Mann opsert, höchstens um der Beschränktheit willen. Man sollte doch wissen,
daß nur gemischte Naturen tragisch sind. Hamlet der Unschlüssige, Macbeth
der Ehrgeizige, die Könige Johann, Richard, Heinrich, jeder in seiner eignen
Weise sündhaft, Wallenstein der Treubrüchige, Moor der philanthropische Räu¬
ber, Tell der fromme Mörder, Johanna die verliebte Heldin u. f. w., alle
tragen irgendein größeres oder geringeres Quantum menschlicher Unvollkommen-
'heit an sich, von dem leisen Tribut der Menschlichkeit (in der Johanna) bis
zum furchtbaren Verbrechen, und erwecken, bald mehr durch innere psychologische
Motive, bald mehr durch äußere reale Verhältnisse immer mehr in Schuld
und Unglück.fortgetrieben, bei gleich stark hervortretenden Tugenden und Vor¬
zügen, einerseits den ruhenden Antheil der Hörer und Leser von ähnlicher Un¬
vollkommenheit, den schon die Alten "Mitleid" nannten, andrerseits, insofern
die göttliche Vollkommenheit als absolute Kraft, Klugheit, Besonnenheit, Ge-


Grenzbotcn. I. 4t

feine Bissen Rhetorik in der prosaischen Brühe umher. In der That hätte der
Verfasser die besseren der sprachlich gehobenen Stellen leicht in wirkliche Poesie
verwandeln können, z. B die Rede Bernhards, ehe er den Giftbecher trinkt:


Dem schlauen Cardinal bleibt keine Wahl,

Als müßig zuschaun, oder mit mir ziehn

Als mein Vasall. Ihr Herren, ich sage Euch^

Wie ich den Becher fasse und umspanne,

So halte ich den Feind in meiner Hand;

Und was er Köstliches uns vorenthält,

Ich wills befrein aus seinem goldnen Kerker.


Versuche der Verfasser einmal überall so seine Prosa in Poesie umzusetzen,
und er wird sehen, wie oft sich der nüchterne Inhalt gegen jede edlere Form
sträubt.

Der zweite Hauptfehler liegt in der Charakteristik. Bernhard ist, so dar¬
gestellt, ein ganz untragischer Held. Er ist ein Ausbund von Tapferkeit, Un-
eigennützigkeit, Treue, Wahrheitsliebe, Frömmigkeit, Keuschheit, Patriotis¬
mus u. s. w., kurz ein Tugendspiegel, der nicht einmal den vom Helden un¬
trennbaren Ehrgeiz hat, ja der sogar tugendlich verschmäht, „mit einer muntern
Pariserin durch die verschwiegenen Gärten von Se. Germain zu lustwandeln."
Seine einzige Unvollkommenheit würde in seiner Kurzsichtigkeit bestehen: daß
er sich von Richelieu (dem er doch nicht traut) nach Rheinfelden schicken läßt,
um da überfallen zu werden; daß er dem französischen Gesandten höhnisch be¬
gegnet, um sich dafür von Richelieu vergiften zu lassen; daß er ein Testament
macht, welches ganz unausführbar ist u. f. w. Man möchte also umkehren,
was der Verfasser Richelieu von ihm sagen läßt (Act 2, Se. 2). „Er hat die
Kraft des Fanatikers ohne die Beschränktheit." Ein solcher Held ist langweilig
und die Vorsehung erscheint als muthwillig grausam, wenn sie diesen braven
Mann opsert, höchstens um der Beschränktheit willen. Man sollte doch wissen,
daß nur gemischte Naturen tragisch sind. Hamlet der Unschlüssige, Macbeth
der Ehrgeizige, die Könige Johann, Richard, Heinrich, jeder in seiner eignen
Weise sündhaft, Wallenstein der Treubrüchige, Moor der philanthropische Räu¬
ber, Tell der fromme Mörder, Johanna die verliebte Heldin u. f. w., alle
tragen irgendein größeres oder geringeres Quantum menschlicher Unvollkommen-
'heit an sich, von dem leisen Tribut der Menschlichkeit (in der Johanna) bis
zum furchtbaren Verbrechen, und erwecken, bald mehr durch innere psychologische
Motive, bald mehr durch äußere reale Verhältnisse immer mehr in Schuld
und Unglück.fortgetrieben, bei gleich stark hervortretenden Tugenden und Vor¬
zügen, einerseits den ruhenden Antheil der Hörer und Leser von ähnlicher Un¬
vollkommenheit, den schon die Alten „Mitleid" nannten, andrerseits, insofern
die göttliche Vollkommenheit als absolute Kraft, Klugheit, Besonnenheit, Ge-


Grenzbotcn. I. 4t
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[0353] feine Bissen Rhetorik in der prosaischen Brühe umher. In der That hätte der Verfasser die besseren der sprachlich gehobenen Stellen leicht in wirkliche Poesie verwandeln können, z. B die Rede Bernhards, ehe er den Giftbecher trinkt: Dem schlauen Cardinal bleibt keine Wahl, Als müßig zuschaun, oder mit mir ziehn Als mein Vasall. Ihr Herren, ich sage Euch^ Wie ich den Becher fasse und umspanne, So halte ich den Feind in meiner Hand; Und was er Köstliches uns vorenthält, Ich wills befrein aus seinem goldnen Kerker. Versuche der Verfasser einmal überall so seine Prosa in Poesie umzusetzen, und er wird sehen, wie oft sich der nüchterne Inhalt gegen jede edlere Form sträubt. Der zweite Hauptfehler liegt in der Charakteristik. Bernhard ist, so dar¬ gestellt, ein ganz untragischer Held. Er ist ein Ausbund von Tapferkeit, Un- eigennützigkeit, Treue, Wahrheitsliebe, Frömmigkeit, Keuschheit, Patriotis¬ mus u. s. w., kurz ein Tugendspiegel, der nicht einmal den vom Helden un¬ trennbaren Ehrgeiz hat, ja der sogar tugendlich verschmäht, „mit einer muntern Pariserin durch die verschwiegenen Gärten von Se. Germain zu lustwandeln." Seine einzige Unvollkommenheit würde in seiner Kurzsichtigkeit bestehen: daß er sich von Richelieu (dem er doch nicht traut) nach Rheinfelden schicken läßt, um da überfallen zu werden; daß er dem französischen Gesandten höhnisch be¬ gegnet, um sich dafür von Richelieu vergiften zu lassen; daß er ein Testament macht, welches ganz unausführbar ist u. f. w. Man möchte also umkehren, was der Verfasser Richelieu von ihm sagen läßt (Act 2, Se. 2). „Er hat die Kraft des Fanatikers ohne die Beschränktheit." Ein solcher Held ist langweilig und die Vorsehung erscheint als muthwillig grausam, wenn sie diesen braven Mann opsert, höchstens um der Beschränktheit willen. Man sollte doch wissen, daß nur gemischte Naturen tragisch sind. Hamlet der Unschlüssige, Macbeth der Ehrgeizige, die Könige Johann, Richard, Heinrich, jeder in seiner eignen Weise sündhaft, Wallenstein der Treubrüchige, Moor der philanthropische Räu¬ ber, Tell der fromme Mörder, Johanna die verliebte Heldin u. f. w., alle tragen irgendein größeres oder geringeres Quantum menschlicher Unvollkommen- 'heit an sich, von dem leisen Tribut der Menschlichkeit (in der Johanna) bis zum furchtbaren Verbrechen, und erwecken, bald mehr durch innere psychologische Motive, bald mehr durch äußere reale Verhältnisse immer mehr in Schuld und Unglück.fortgetrieben, bei gleich stark hervortretenden Tugenden und Vor¬ zügen, einerseits den ruhenden Antheil der Hörer und Leser von ähnlicher Un¬ vollkommenheit, den schon die Alten „Mitleid" nannten, andrerseits, insofern die göttliche Vollkommenheit als absolute Kraft, Klugheit, Besonnenheit, Ge- Grenzbotcn. I. 4t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/353>, abgerufen am 26.06.2024.