Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.gar einen Mann und zehn Kinder hat. Warum nicht das Risiko, d. h. die Es wäre freilich etwas Herrliches, wenn der Staat durch ein Fourieristischeö gar einen Mann und zehn Kinder hat. Warum nicht das Risiko, d. h. die Es wäre freilich etwas Herrliches, wenn der Staat durch ein Fourieristischeö <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99190"/> <p xml:id="ID_1161" prev="#ID_1160"> gar einen Mann und zehn Kinder hat. Warum nicht das Risiko, d. h. die<lb/> Gefahr, brotlos zu sein, sammt einer Selbstständigkeit hingeben, die oft nur ein<lb/> Schein ist? Das Mittelalter können wir nun einmal nicht zum Maßstabe der<lb/> Zukunft machen. Damals war noch keine Eisenbahn, keine Fabrik im modernen<lb/> Sinne, obwol wir recht wohl wissen, daß ein moderner Zustand oft auch ein<lb/> modernder ist. Heutzutage ist sogar die Hand und die Nadel des Schneiders<lb/> durch die Nähmaschine bedroht. Da ist selbstständig, d. h. gegen Nahrungs¬<lb/> sorgen geschützt, wer sich solch ein Ding anschaffen, nebenbei genug Tuch und<lb/> Zwirn sür solchen eisernen Vielfraß kaufen und tüchtige Arbeiter dazu be¬<lb/> solden kann. Aber auch wer solch ein tüchtiger Arbeiter ist, vermag selbst«<lb/> staubig zu sein, und wenns nicht in der einen Fabrik sein kann, so ist es in<lb/> der andern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162" next="#ID_1163"> Es wäre freilich etwas Herrliches, wenn der Staat durch ein Fourieristischeö<lb/> oder Rappsches oder Oweuscheö oder Mormonistisches Gemeinwesen oder durch<lb/> Louis Blancsche Nationalwerkstätten allen gleiche Arbeit, gleichen Verdienst,<lb/> gleichen Genuß zur Genüge verschaffen könnte. Das ginge an, wenn die<lb/> Gottheit alle Menschen über die Schablone gemacht, allen dieselbe Hand, das¬<lb/> selbe Auge, denselben Gaumen, denselben Magen gegeben, außerdem einem jeden<lb/> den Haß, den Neid, die Streitsucht unmöglich gemacht, oder vielmehr, was<lb/> doch schließlich das Beste für diesen Fall wäre, jedem destillirtes Wasser in die<lb/> Adern gegossen und keinem das fatale Ding, welches Mund heißt, im Angesicht<lb/> angebracht hätte. Der kommunistisch-socialistische Staat hält sich wol<lb/> eine Zeitlang bei einer kleinen, unter dem Drucke stehenden und von religiösem<lb/> Fanatismus entflammten Gesellschaft; aber sür ein größeres Gemeinwesen und<lb/> sür die Dauer stürzt solch ein Kartenhaus zusammen. Unsre deutschen Hand¬<lb/> werksmeister kann man in der ungeheuren Majorität nicht beschuldigen, daß sie<lb/> solch Münstersches oder Weitlingsches Schneiderkönigthum wollten oder gewollt<lb/> hätten; aber in den Köpfen vieler Gesellen hat es gespukt, ehe auch diese bis<lb/> auf sehr wenige davon ernüchtert worden sind. Indeß haben auch manche<lb/> Meister Einrichtungen das Wort geredet, welche die freie contractliche Über¬<lb/> tragung von Eigenthum, das freie Verhältniß von Nachfrage und Angebot nicht<lb/> ganz unangetastet lassen. Wenn sie besondere Handwerkerbanken aus<lb/> Staatsmitteln, also aus den Steuerbeiträgen der NichtHandwerker gefordert ha¬<lb/> ben, so dürfen wir dies nicht grade unerhört finden, da ja der Staat andren<lb/> Classen, z. B. den Rittergutsbesitzern in der Garantie und Beihilfe für einige<lb/> Pfandbriefinstitute schon längst dergleichen Privilegien ertheilt hat; aber wir<lb/> dürfen wol fragen, ob es gerechtfertigt sei, daß städtische Bauten nicht der freien<lb/> L icitation der einzelnen Unternehmer, sondern zum Anschlage (welcher ja auch<lb/> so niedrig sein kann, daß eine solche Uebernahme Schaden bringen müßte), den<lb/> Innungen überlassen werden sollen. Was sür den Privatmann ein Recht und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
gar einen Mann und zehn Kinder hat. Warum nicht das Risiko, d. h. die
Gefahr, brotlos zu sein, sammt einer Selbstständigkeit hingeben, die oft nur ein
Schein ist? Das Mittelalter können wir nun einmal nicht zum Maßstabe der
Zukunft machen. Damals war noch keine Eisenbahn, keine Fabrik im modernen
Sinne, obwol wir recht wohl wissen, daß ein moderner Zustand oft auch ein
modernder ist. Heutzutage ist sogar die Hand und die Nadel des Schneiders
durch die Nähmaschine bedroht. Da ist selbstständig, d. h. gegen Nahrungs¬
sorgen geschützt, wer sich solch ein Ding anschaffen, nebenbei genug Tuch und
Zwirn sür solchen eisernen Vielfraß kaufen und tüchtige Arbeiter dazu be¬
solden kann. Aber auch wer solch ein tüchtiger Arbeiter ist, vermag selbst«
staubig zu sein, und wenns nicht in der einen Fabrik sein kann, so ist es in
der andern.
Es wäre freilich etwas Herrliches, wenn der Staat durch ein Fourieristischeö
oder Rappsches oder Oweuscheö oder Mormonistisches Gemeinwesen oder durch
Louis Blancsche Nationalwerkstätten allen gleiche Arbeit, gleichen Verdienst,
gleichen Genuß zur Genüge verschaffen könnte. Das ginge an, wenn die
Gottheit alle Menschen über die Schablone gemacht, allen dieselbe Hand, das¬
selbe Auge, denselben Gaumen, denselben Magen gegeben, außerdem einem jeden
den Haß, den Neid, die Streitsucht unmöglich gemacht, oder vielmehr, was
doch schließlich das Beste für diesen Fall wäre, jedem destillirtes Wasser in die
Adern gegossen und keinem das fatale Ding, welches Mund heißt, im Angesicht
angebracht hätte. Der kommunistisch-socialistische Staat hält sich wol
eine Zeitlang bei einer kleinen, unter dem Drucke stehenden und von religiösem
Fanatismus entflammten Gesellschaft; aber sür ein größeres Gemeinwesen und
sür die Dauer stürzt solch ein Kartenhaus zusammen. Unsre deutschen Hand¬
werksmeister kann man in der ungeheuren Majorität nicht beschuldigen, daß sie
solch Münstersches oder Weitlingsches Schneiderkönigthum wollten oder gewollt
hätten; aber in den Köpfen vieler Gesellen hat es gespukt, ehe auch diese bis
auf sehr wenige davon ernüchtert worden sind. Indeß haben auch manche
Meister Einrichtungen das Wort geredet, welche die freie contractliche Über¬
tragung von Eigenthum, das freie Verhältniß von Nachfrage und Angebot nicht
ganz unangetastet lassen. Wenn sie besondere Handwerkerbanken aus
Staatsmitteln, also aus den Steuerbeiträgen der NichtHandwerker gefordert ha¬
ben, so dürfen wir dies nicht grade unerhört finden, da ja der Staat andren
Classen, z. B. den Rittergutsbesitzern in der Garantie und Beihilfe für einige
Pfandbriefinstitute schon längst dergleichen Privilegien ertheilt hat; aber wir
dürfen wol fragen, ob es gerechtfertigt sei, daß städtische Bauten nicht der freien
L icitation der einzelnen Unternehmer, sondern zum Anschlage (welcher ja auch
so niedrig sein kann, daß eine solche Uebernahme Schaden bringen müßte), den
Innungen überlassen werden sollen. Was sür den Privatmann ein Recht und
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