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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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kranke. Wenn die Arbeitseinstellungen der Arbeiter fast immer zu deren Nach¬
theil ausgeschlagen sind, so werden mindestens die Klügeren sich daraus eine
Lehre nehmen, während die Unternehmer sich durch unbilliges Angebot eben¬
falls nur selbst strafen. Uebrigens wird der Erfahrungssatz der Vergangenheit,
daß ein tüchtiger Arbeiter überall gut bezahlt wird, auch für die Zukunft seine
Volle Geltung haben. Auf keinen Fall darf der Staat den Lohnsatz bestimmen.

Handelt es sich um die Frage, wer von beiden: Meister oder Gesell,
in einer Gemeinschaft derselben das Uebergewicht haben soll, so muß und
wird dieses auf der Seite der Meister liegen als der älteren, erfahreneren
Männer, denen außerdem die Macht des Capitals, des gesellschaftlichen An¬
sehens zur Hilfe kommt; und was mit factischer Nothwendigkeit besteht, kann
und muß auch rechtlich bestehen. Die Gesellen mögen daran denken, daß sie
Meister werden wollen und daß sie durch systematische Opposition gegen die
Meister mit sich, als den gewesenen Gesellen, oft in Widerspruch treten; die
Meister aber mögen sich erinnern, daß sie Gesellen gewesen sind!

Wir könnten noch manchen Mißstand des deutschen Handwerks heraus¬
heben, wie das leichtsinnige Heirathen der Gesellen, welchem im mittelalter¬
lichen Gildewcsen allerdings vielfach vorgebeugt war, und gegen welches wir,
im Hinweis auf anderweit bestehende Schranken, z. B. für den Offizierstand^
mehr indirecte Hemmnisse eingeführt zu sehen wünschen; allein der an¬
geführte sowie andre Ähnliche Punkte sind dem Handwerkerstande nicht spe¬
cifisch eigen; es steht damit z. B. bei den Fabrik- und Handarbeitern nicht
besser; deshalb können wir uns hierbei nicht aufhalten. Allein grade die
Heirath hat eine Seite, welche mit der sogenannten Selbstständigkeit zu
sammenhängt, so daß wir hierauf zurückkommen müssen. Es war allerdings
etwas Schönes um die Selbstständigkeit, den selbstständigen Haushalt eines
zünftigen mittelalterlichen Handwerksmeisters, der als wohlhäbiger Patriarch
in seinem Hause schaltete und das Gemeinwesen der Stadt dem Patrizier aus
der Hand nahm, oder wenigstens mit ihm theilte; allein man vergesse nicht,
daß die ganze Masse der Gesellen, der nichtzünftigen Arbeiter im städtischen
und Staatswesen dafür rechtlos war, was mindestens mit liberalen Tendenzen
sich nicht verträgt. Man kann nicht staatlich liberal sein, wenn man es nicht
industriell sein will. Es mag sich z. B. aus Preußen der neidische Blick ans
die 28 Bäckermeister in Leipzig richten, neben welchen nur nach und nach ein
29. und 30. aufkommt; allein wo sind wol die Menschen in Sachsen, die nicht
in den geheiligten Kreis dieses Privilegiums der 28 kommen können? Sie woh¬
nen im Voigtlande und weben, daß sie kaum das liebe Brot haben. Sie sitzen
im Erzgebirge als Spitzenklöppler, und die guten Semmeln am Schaufenster wer¬
den von ihnen und ihren Söhnen nicht gebacken, aber auch niemals gegessen. Eine
Spitzenklöpplerin ist auch selbstständig, wenn sie ein Kämmerchen und vielleicht


Grenzbote". l. I8ö!i. 42

kranke. Wenn die Arbeitseinstellungen der Arbeiter fast immer zu deren Nach¬
theil ausgeschlagen sind, so werden mindestens die Klügeren sich daraus eine
Lehre nehmen, während die Unternehmer sich durch unbilliges Angebot eben¬
falls nur selbst strafen. Uebrigens wird der Erfahrungssatz der Vergangenheit,
daß ein tüchtiger Arbeiter überall gut bezahlt wird, auch für die Zukunft seine
Volle Geltung haben. Auf keinen Fall darf der Staat den Lohnsatz bestimmen.

Handelt es sich um die Frage, wer von beiden: Meister oder Gesell,
in einer Gemeinschaft derselben das Uebergewicht haben soll, so muß und
wird dieses auf der Seite der Meister liegen als der älteren, erfahreneren
Männer, denen außerdem die Macht des Capitals, des gesellschaftlichen An¬
sehens zur Hilfe kommt; und was mit factischer Nothwendigkeit besteht, kann
und muß auch rechtlich bestehen. Die Gesellen mögen daran denken, daß sie
Meister werden wollen und daß sie durch systematische Opposition gegen die
Meister mit sich, als den gewesenen Gesellen, oft in Widerspruch treten; die
Meister aber mögen sich erinnern, daß sie Gesellen gewesen sind!

Wir könnten noch manchen Mißstand des deutschen Handwerks heraus¬
heben, wie das leichtsinnige Heirathen der Gesellen, welchem im mittelalter¬
lichen Gildewcsen allerdings vielfach vorgebeugt war, und gegen welches wir,
im Hinweis auf anderweit bestehende Schranken, z. B. für den Offizierstand^
mehr indirecte Hemmnisse eingeführt zu sehen wünschen; allein der an¬
geführte sowie andre Ähnliche Punkte sind dem Handwerkerstande nicht spe¬
cifisch eigen; es steht damit z. B. bei den Fabrik- und Handarbeitern nicht
besser; deshalb können wir uns hierbei nicht aufhalten. Allein grade die
Heirath hat eine Seite, welche mit der sogenannten Selbstständigkeit zu
sammenhängt, so daß wir hierauf zurückkommen müssen. Es war allerdings
etwas Schönes um die Selbstständigkeit, den selbstständigen Haushalt eines
zünftigen mittelalterlichen Handwerksmeisters, der als wohlhäbiger Patriarch
in seinem Hause schaltete und das Gemeinwesen der Stadt dem Patrizier aus
der Hand nahm, oder wenigstens mit ihm theilte; allein man vergesse nicht,
daß die ganze Masse der Gesellen, der nichtzünftigen Arbeiter im städtischen
und Staatswesen dafür rechtlos war, was mindestens mit liberalen Tendenzen
sich nicht verträgt. Man kann nicht staatlich liberal sein, wenn man es nicht
industriell sein will. Es mag sich z. B. aus Preußen der neidische Blick ans
die 28 Bäckermeister in Leipzig richten, neben welchen nur nach und nach ein
29. und 30. aufkommt; allein wo sind wol die Menschen in Sachsen, die nicht
in den geheiligten Kreis dieses Privilegiums der 28 kommen können? Sie woh¬
nen im Voigtlande und weben, daß sie kaum das liebe Brot haben. Sie sitzen
im Erzgebirge als Spitzenklöppler, und die guten Semmeln am Schaufenster wer¬
den von ihnen und ihren Söhnen nicht gebacken, aber auch niemals gegessen. Eine
Spitzenklöpplerin ist auch selbstständig, wenn sie ein Kämmerchen und vielleicht


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[0337] kranke. Wenn die Arbeitseinstellungen der Arbeiter fast immer zu deren Nach¬ theil ausgeschlagen sind, so werden mindestens die Klügeren sich daraus eine Lehre nehmen, während die Unternehmer sich durch unbilliges Angebot eben¬ falls nur selbst strafen. Uebrigens wird der Erfahrungssatz der Vergangenheit, daß ein tüchtiger Arbeiter überall gut bezahlt wird, auch für die Zukunft seine Volle Geltung haben. Auf keinen Fall darf der Staat den Lohnsatz bestimmen. Handelt es sich um die Frage, wer von beiden: Meister oder Gesell, in einer Gemeinschaft derselben das Uebergewicht haben soll, so muß und wird dieses auf der Seite der Meister liegen als der älteren, erfahreneren Männer, denen außerdem die Macht des Capitals, des gesellschaftlichen An¬ sehens zur Hilfe kommt; und was mit factischer Nothwendigkeit besteht, kann und muß auch rechtlich bestehen. Die Gesellen mögen daran denken, daß sie Meister werden wollen und daß sie durch systematische Opposition gegen die Meister mit sich, als den gewesenen Gesellen, oft in Widerspruch treten; die Meister aber mögen sich erinnern, daß sie Gesellen gewesen sind! Wir könnten noch manchen Mißstand des deutschen Handwerks heraus¬ heben, wie das leichtsinnige Heirathen der Gesellen, welchem im mittelalter¬ lichen Gildewcsen allerdings vielfach vorgebeugt war, und gegen welches wir, im Hinweis auf anderweit bestehende Schranken, z. B. für den Offizierstand^ mehr indirecte Hemmnisse eingeführt zu sehen wünschen; allein der an¬ geführte sowie andre Ähnliche Punkte sind dem Handwerkerstande nicht spe¬ cifisch eigen; es steht damit z. B. bei den Fabrik- und Handarbeitern nicht besser; deshalb können wir uns hierbei nicht aufhalten. Allein grade die Heirath hat eine Seite, welche mit der sogenannten Selbstständigkeit zu sammenhängt, so daß wir hierauf zurückkommen müssen. Es war allerdings etwas Schönes um die Selbstständigkeit, den selbstständigen Haushalt eines zünftigen mittelalterlichen Handwerksmeisters, der als wohlhäbiger Patriarch in seinem Hause schaltete und das Gemeinwesen der Stadt dem Patrizier aus der Hand nahm, oder wenigstens mit ihm theilte; allein man vergesse nicht, daß die ganze Masse der Gesellen, der nichtzünftigen Arbeiter im städtischen und Staatswesen dafür rechtlos war, was mindestens mit liberalen Tendenzen sich nicht verträgt. Man kann nicht staatlich liberal sein, wenn man es nicht industriell sein will. Es mag sich z. B. aus Preußen der neidische Blick ans die 28 Bäckermeister in Leipzig richten, neben welchen nur nach und nach ein 29. und 30. aufkommt; allein wo sind wol die Menschen in Sachsen, die nicht in den geheiligten Kreis dieses Privilegiums der 28 kommen können? Sie woh¬ nen im Voigtlande und weben, daß sie kaum das liebe Brot haben. Sie sitzen im Erzgebirge als Spitzenklöppler, und die guten Semmeln am Schaufenster wer¬ den von ihnen und ihren Söhnen nicht gebacken, aber auch niemals gegessen. Eine Spitzenklöpplerin ist auch selbstständig, wenn sie ein Kämmerchen und vielleicht Grenzbote». l. I8ö!i. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/337>, abgerufen am 29.06.2024.