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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Fechten so sehr munden, daß er immer wandern möchte. Die Journale, die
polytechnischen Gesellschaften u. s. w. können allerdings nie und nimmer die
praktische Anweisung in Handgriffen, die Anschauung fertiger Waaren an
Ort und Stelle u. s. w. ersetzen, und es wird oft -- aber durchaus nicht
immer, z. B. nicht in einer großen Stadt, wo sich das Tüchtige aus allen Zonen
zusammenfindet, nothwendig sein, daß der junge Handwerker einen andern
praktischen Hauptsitz seiner Kunst aufsuche, auch deshalb, um nicht in andern
philiströsen Manieren seines Ortes zu verknöchern und um Lebensgewandtheit
zu erlangen. Indeß dieses Ziel wird jetzt am besten durch eine oder ein paar
Eisenbahnreisen erreicht, so daß das "Wandern" in der früheren Bedeutung
des Wortes aufhört! Allein wie soll dann der Meister in einer kleinen "Stadt
Gesellen erhalten? Wir antworten wieder mit einer, Frage: Wie erhält der
Fabrikherr seine Arbeiter? Es ist nicht unsre Meinung, daß der Ortswechsel
der Gesellen aufhören wird; nur das Wandern im alten Sinne wird auf¬
hören.

Ein andrer Differenzpunkt zwischen Meistern und Gesellen ist der: Ob
Tagearbeit, ob'S tückarbeit? Das natürlichste ist die Stückarbeit, denn
djese gibt dem Meister die beste Garantie, daß Lohn und Leistung im rechten
Verhältniß stehen, obgleich der Gesellenstand sich vielfach gegen diese natur¬
gemäße Einrichtung sträubt. Es versteht sich von selbst, daß, bei manchem
'Handwerk, z. B. bei der Bäckerei, falls wir sie ein Handwerk nennen, die
Stückarbeit nicht wohl an die Stelle der Tagearbeit zu setzen ist; aber selbst
in der Landwirtschaft macht sich die Stückarbeit immer mehr geltend. Im
Grunde ist auch die Tagearbeit eine Stückarbeit; denn ein Unternehmer zahlt
demjenigen Tagearbeiter den höchsten Lohn, welcher am meisten leistet. Man
darf hierbei nicht übersehen, daß die Durchführung der Stückarbeit die Auf¬
lösung des alten Verhältnisses zwischen Meister und Geselle und an ihrem
Theil ein Mittel ist, das Handwerk dem Fabrikbetriebe zu nähern, obgleich andrer¬
seits grade beim Fabrikbetriebe die Stückarbeit wieder mehrfach in die Tage¬
arbeit umschlägt. Ein fernerer, damit zusammenhängender, sehr wichtiger Streit¬
punkt, im wesentlichen der Cardinalpunkt, ist der Lohn. Aber wenn die
Schwierigkeit bei den alten Verhältnissen besonders in dem Umstände lag, daß
die Gesellen womöglich gleichen Tagelohn forderten, während ihre Leistungen
höchst ungleich waren, muß sich durch die Stückarbeit auch diese Schwierigkeit
auflösen, obgleich nur zum Theil, da wir in den letzten Jahren zwischen den
Fabrikunternehmern und Fabrikarbeitern in England, Belgien u. s. w. grade
den Streit um den Lohnsatz mannigfach haben entbrennen sehen. Und wenn
es streitig ist, welcher Tagelohn gezahlt werden soll, so kann es ebenso streitig
sein, welcher Stücklohn gegeben werden soll. Das ist aber die Natur eines
jeden Contractes, und Tagearbeit wie Stückarbeit haben ihre Norm im Cor-


Fechten so sehr munden, daß er immer wandern möchte. Die Journale, die
polytechnischen Gesellschaften u. s. w. können allerdings nie und nimmer die
praktische Anweisung in Handgriffen, die Anschauung fertiger Waaren an
Ort und Stelle u. s. w. ersetzen, und es wird oft — aber durchaus nicht
immer, z. B. nicht in einer großen Stadt, wo sich das Tüchtige aus allen Zonen
zusammenfindet, nothwendig sein, daß der junge Handwerker einen andern
praktischen Hauptsitz seiner Kunst aufsuche, auch deshalb, um nicht in andern
philiströsen Manieren seines Ortes zu verknöchern und um Lebensgewandtheit
zu erlangen. Indeß dieses Ziel wird jetzt am besten durch eine oder ein paar
Eisenbahnreisen erreicht, so daß das „Wandern" in der früheren Bedeutung
des Wortes aufhört! Allein wie soll dann der Meister in einer kleinen "Stadt
Gesellen erhalten? Wir antworten wieder mit einer, Frage: Wie erhält der
Fabrikherr seine Arbeiter? Es ist nicht unsre Meinung, daß der Ortswechsel
der Gesellen aufhören wird; nur das Wandern im alten Sinne wird auf¬
hören.

Ein andrer Differenzpunkt zwischen Meistern und Gesellen ist der: Ob
Tagearbeit, ob'S tückarbeit? Das natürlichste ist die Stückarbeit, denn
djese gibt dem Meister die beste Garantie, daß Lohn und Leistung im rechten
Verhältniß stehen, obgleich der Gesellenstand sich vielfach gegen diese natur¬
gemäße Einrichtung sträubt. Es versteht sich von selbst, daß, bei manchem
'Handwerk, z. B. bei der Bäckerei, falls wir sie ein Handwerk nennen, die
Stückarbeit nicht wohl an die Stelle der Tagearbeit zu setzen ist; aber selbst
in der Landwirtschaft macht sich die Stückarbeit immer mehr geltend. Im
Grunde ist auch die Tagearbeit eine Stückarbeit; denn ein Unternehmer zahlt
demjenigen Tagearbeiter den höchsten Lohn, welcher am meisten leistet. Man
darf hierbei nicht übersehen, daß die Durchführung der Stückarbeit die Auf¬
lösung des alten Verhältnisses zwischen Meister und Geselle und an ihrem
Theil ein Mittel ist, das Handwerk dem Fabrikbetriebe zu nähern, obgleich andrer¬
seits grade beim Fabrikbetriebe die Stückarbeit wieder mehrfach in die Tage¬
arbeit umschlägt. Ein fernerer, damit zusammenhängender, sehr wichtiger Streit¬
punkt, im wesentlichen der Cardinalpunkt, ist der Lohn. Aber wenn die
Schwierigkeit bei den alten Verhältnissen besonders in dem Umstände lag, daß
die Gesellen womöglich gleichen Tagelohn forderten, während ihre Leistungen
höchst ungleich waren, muß sich durch die Stückarbeit auch diese Schwierigkeit
auflösen, obgleich nur zum Theil, da wir in den letzten Jahren zwischen den
Fabrikunternehmern und Fabrikarbeitern in England, Belgien u. s. w. grade
den Streit um den Lohnsatz mannigfach haben entbrennen sehen. Und wenn
es streitig ist, welcher Tagelohn gezahlt werden soll, so kann es ebenso streitig
sein, welcher Stücklohn gegeben werden soll. Das ist aber die Natur eines
jeden Contractes, und Tagearbeit wie Stückarbeit haben ihre Norm im Cor-


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[0336] Fechten so sehr munden, daß er immer wandern möchte. Die Journale, die polytechnischen Gesellschaften u. s. w. können allerdings nie und nimmer die praktische Anweisung in Handgriffen, die Anschauung fertiger Waaren an Ort und Stelle u. s. w. ersetzen, und es wird oft — aber durchaus nicht immer, z. B. nicht in einer großen Stadt, wo sich das Tüchtige aus allen Zonen zusammenfindet, nothwendig sein, daß der junge Handwerker einen andern praktischen Hauptsitz seiner Kunst aufsuche, auch deshalb, um nicht in andern philiströsen Manieren seines Ortes zu verknöchern und um Lebensgewandtheit zu erlangen. Indeß dieses Ziel wird jetzt am besten durch eine oder ein paar Eisenbahnreisen erreicht, so daß das „Wandern" in der früheren Bedeutung des Wortes aufhört! Allein wie soll dann der Meister in einer kleinen "Stadt Gesellen erhalten? Wir antworten wieder mit einer, Frage: Wie erhält der Fabrikherr seine Arbeiter? Es ist nicht unsre Meinung, daß der Ortswechsel der Gesellen aufhören wird; nur das Wandern im alten Sinne wird auf¬ hören. Ein andrer Differenzpunkt zwischen Meistern und Gesellen ist der: Ob Tagearbeit, ob'S tückarbeit? Das natürlichste ist die Stückarbeit, denn djese gibt dem Meister die beste Garantie, daß Lohn und Leistung im rechten Verhältniß stehen, obgleich der Gesellenstand sich vielfach gegen diese natur¬ gemäße Einrichtung sträubt. Es versteht sich von selbst, daß, bei manchem 'Handwerk, z. B. bei der Bäckerei, falls wir sie ein Handwerk nennen, die Stückarbeit nicht wohl an die Stelle der Tagearbeit zu setzen ist; aber selbst in der Landwirtschaft macht sich die Stückarbeit immer mehr geltend. Im Grunde ist auch die Tagearbeit eine Stückarbeit; denn ein Unternehmer zahlt demjenigen Tagearbeiter den höchsten Lohn, welcher am meisten leistet. Man darf hierbei nicht übersehen, daß die Durchführung der Stückarbeit die Auf¬ lösung des alten Verhältnisses zwischen Meister und Geselle und an ihrem Theil ein Mittel ist, das Handwerk dem Fabrikbetriebe zu nähern, obgleich andrer¬ seits grade beim Fabrikbetriebe die Stückarbeit wieder mehrfach in die Tage¬ arbeit umschlägt. Ein fernerer, damit zusammenhängender, sehr wichtiger Streit¬ punkt, im wesentlichen der Cardinalpunkt, ist der Lohn. Aber wenn die Schwierigkeit bei den alten Verhältnissen besonders in dem Umstände lag, daß die Gesellen womöglich gleichen Tagelohn forderten, während ihre Leistungen höchst ungleich waren, muß sich durch die Stückarbeit auch diese Schwierigkeit auflösen, obgleich nur zum Theil, da wir in den letzten Jahren zwischen den Fabrikunternehmern und Fabrikarbeitern in England, Belgien u. s. w. grade den Streit um den Lohnsatz mannigfach haben entbrennen sehen. Und wenn es streitig ist, welcher Tagelohn gezahlt werden soll, so kann es ebenso streitig sein, welcher Stücklohn gegeben werden soll. Das ist aber die Natur eines jeden Contractes, und Tagearbeit wie Stückarbeit haben ihre Norm im Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/336>, abgerufen am 29.06.2024.