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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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trocken ist, einem tüchtigen Meister die Kundschaft nehmen wird. Nimmt ein
solcher "Pfuscher" sie dem Meister wirklich, so muß der Pfuscher ein tüchtiger
Mann und der Meister ein Pfuscher sein. Uebrigens ist das Verbot, wel¬
ches dem nicht Meister Gewordenen- den Verkauf von Handwerkserzeugnissen
oder Arbeit an das Publicum untersagt, schon vielfach durchlöchert. Die
Maurergesellen reinigen auf selbstständige Bestellung Oesen, obgleich sie pro
forma einen Groschen an den Meister abgeben oder abgeben sollen, an den
Meister, der sich um diese Oefen nicht im mindesten bekümmert. Mancher
Tischlergesell verkauft Neißbreter u. s. w. dutzendweise, mag es der Meister
resp, die Polizei wissen oder nicht. Die Prüfung des Lehrburschen wie des
Gesellen wird noch eine Zeitlang in Deutschland nothwendig sein; ab.er das
wird sich jeder Unbefangene gestehen müssen, daß es nicht sowol daraus ankommt,
ob einer -- vielleicht vor einer parteiischen Prüsungscommission -- eraminirt
ist, als vielmehr darauf, daß er etwas Tüchtiges gelernt hat; und diese Lehr¬
zeit kann einer eben nur bei einem tüchtigen Meister -- oder heiße der Mann
anders -- bestehen. Die Nothwendigkeit einer genügenden Lehrzeit ist ein
ewiges, die Prüfung ein temporäres Postulat.

Also Lehrling und Unternehmer, resp. Lehrer, das ist ein natür¬
licher bleibender Gegensatz, das dazwischenliegende Verhältniß des Gesellen
ein flüssiges, unbestimmtes. Wie oft geschieht es ni.ehe, daß ein Lehrling ganz
kurze Zeit Gesell ist und dann Meister wird, wozu wir freilich die Forderung
der Mündigkeit fügen möchten, nicht weil etwa jeder mit dem 21. oder
24. Jahre ein besonnener, tüchtiger, zuverlässiger Mensch wird, sondern weil
die Gesetzgebung, welche von der Feststellung eines solchen Termins nicht wohl
Umgang nehmen kann, viele Rechte und Pflichten mit der Mündigkeit ver¬
bindet. Aber soll nicht die Forderung einer bestimmten Wanderzeit bestehen
bleiben? In Nordamerika, England, Belgien, Frankreich, wo das Handwerk
großentheils zum Fabrikbetriebe geworden ist, hat das Wanderwesen seine
mittelalterliche Bedeutung verloren; diese Bedeutung geht und ist schon theil¬
weise auch in Deutschland verlorengegangen. Wenn im Mittelalter eine
Stadt einen Ruf hatte, daß sie z. B. vor anderen in der Sattlerarbeit hohe
Kunst besäße, so mußte man dorthin gehen, um die Kunst zu lernen, und
ehe man hinkam, mußte man wandern, d. h. langsam zu Fuß von Stadt zu
Stadt ziehen, täglich etwa 6 Stunden. Polytechnische und gewerbliche Jour¬
nale, welche schnell nach allen Seiten hin wenigstens den theoretischen Samen
der Kunst ausgestreut hätten, gab es noch nicht. Jetzt gibt es solche Journale,
jetzt kann man sich aus der Eisenbahn einen guten Arbeiter schnell kommen
lassen und thätens doch die Meister in größerem Maße, sowie mit Modellen
u. anderem ! -- Jetzt braucht ein Mechaniker, um in Wien die Mechanik praktisch
zu lernen, nicht die langweilige Fußreise zu machen, wobei ihm Geschenke und


trocken ist, einem tüchtigen Meister die Kundschaft nehmen wird. Nimmt ein
solcher „Pfuscher" sie dem Meister wirklich, so muß der Pfuscher ein tüchtiger
Mann und der Meister ein Pfuscher sein. Uebrigens ist das Verbot, wel¬
ches dem nicht Meister Gewordenen- den Verkauf von Handwerkserzeugnissen
oder Arbeit an das Publicum untersagt, schon vielfach durchlöchert. Die
Maurergesellen reinigen auf selbstständige Bestellung Oesen, obgleich sie pro
forma einen Groschen an den Meister abgeben oder abgeben sollen, an den
Meister, der sich um diese Oefen nicht im mindesten bekümmert. Mancher
Tischlergesell verkauft Neißbreter u. s. w. dutzendweise, mag es der Meister
resp, die Polizei wissen oder nicht. Die Prüfung des Lehrburschen wie des
Gesellen wird noch eine Zeitlang in Deutschland nothwendig sein; ab.er das
wird sich jeder Unbefangene gestehen müssen, daß es nicht sowol daraus ankommt,
ob einer — vielleicht vor einer parteiischen Prüsungscommission — eraminirt
ist, als vielmehr darauf, daß er etwas Tüchtiges gelernt hat; und diese Lehr¬
zeit kann einer eben nur bei einem tüchtigen Meister — oder heiße der Mann
anders — bestehen. Die Nothwendigkeit einer genügenden Lehrzeit ist ein
ewiges, die Prüfung ein temporäres Postulat.

Also Lehrling und Unternehmer, resp. Lehrer, das ist ein natür¬
licher bleibender Gegensatz, das dazwischenliegende Verhältniß des Gesellen
ein flüssiges, unbestimmtes. Wie oft geschieht es ni.ehe, daß ein Lehrling ganz
kurze Zeit Gesell ist und dann Meister wird, wozu wir freilich die Forderung
der Mündigkeit fügen möchten, nicht weil etwa jeder mit dem 21. oder
24. Jahre ein besonnener, tüchtiger, zuverlässiger Mensch wird, sondern weil
die Gesetzgebung, welche von der Feststellung eines solchen Termins nicht wohl
Umgang nehmen kann, viele Rechte und Pflichten mit der Mündigkeit ver¬
bindet. Aber soll nicht die Forderung einer bestimmten Wanderzeit bestehen
bleiben? In Nordamerika, England, Belgien, Frankreich, wo das Handwerk
großentheils zum Fabrikbetriebe geworden ist, hat das Wanderwesen seine
mittelalterliche Bedeutung verloren; diese Bedeutung geht und ist schon theil¬
weise auch in Deutschland verlorengegangen. Wenn im Mittelalter eine
Stadt einen Ruf hatte, daß sie z. B. vor anderen in der Sattlerarbeit hohe
Kunst besäße, so mußte man dorthin gehen, um die Kunst zu lernen, und
ehe man hinkam, mußte man wandern, d. h. langsam zu Fuß von Stadt zu
Stadt ziehen, täglich etwa 6 Stunden. Polytechnische und gewerbliche Jour¬
nale, welche schnell nach allen Seiten hin wenigstens den theoretischen Samen
der Kunst ausgestreut hätten, gab es noch nicht. Jetzt gibt es solche Journale,
jetzt kann man sich aus der Eisenbahn einen guten Arbeiter schnell kommen
lassen und thätens doch die Meister in größerem Maße, sowie mit Modellen
u. anderem ! — Jetzt braucht ein Mechaniker, um in Wien die Mechanik praktisch
zu lernen, nicht die langweilige Fußreise zu machen, wobei ihm Geschenke und


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[0335] trocken ist, einem tüchtigen Meister die Kundschaft nehmen wird. Nimmt ein solcher „Pfuscher" sie dem Meister wirklich, so muß der Pfuscher ein tüchtiger Mann und der Meister ein Pfuscher sein. Uebrigens ist das Verbot, wel¬ ches dem nicht Meister Gewordenen- den Verkauf von Handwerkserzeugnissen oder Arbeit an das Publicum untersagt, schon vielfach durchlöchert. Die Maurergesellen reinigen auf selbstständige Bestellung Oesen, obgleich sie pro forma einen Groschen an den Meister abgeben oder abgeben sollen, an den Meister, der sich um diese Oefen nicht im mindesten bekümmert. Mancher Tischlergesell verkauft Neißbreter u. s. w. dutzendweise, mag es der Meister resp, die Polizei wissen oder nicht. Die Prüfung des Lehrburschen wie des Gesellen wird noch eine Zeitlang in Deutschland nothwendig sein; ab.er das wird sich jeder Unbefangene gestehen müssen, daß es nicht sowol daraus ankommt, ob einer — vielleicht vor einer parteiischen Prüsungscommission — eraminirt ist, als vielmehr darauf, daß er etwas Tüchtiges gelernt hat; und diese Lehr¬ zeit kann einer eben nur bei einem tüchtigen Meister — oder heiße der Mann anders — bestehen. Die Nothwendigkeit einer genügenden Lehrzeit ist ein ewiges, die Prüfung ein temporäres Postulat. Also Lehrling und Unternehmer, resp. Lehrer, das ist ein natür¬ licher bleibender Gegensatz, das dazwischenliegende Verhältniß des Gesellen ein flüssiges, unbestimmtes. Wie oft geschieht es ni.ehe, daß ein Lehrling ganz kurze Zeit Gesell ist und dann Meister wird, wozu wir freilich die Forderung der Mündigkeit fügen möchten, nicht weil etwa jeder mit dem 21. oder 24. Jahre ein besonnener, tüchtiger, zuverlässiger Mensch wird, sondern weil die Gesetzgebung, welche von der Feststellung eines solchen Termins nicht wohl Umgang nehmen kann, viele Rechte und Pflichten mit der Mündigkeit ver¬ bindet. Aber soll nicht die Forderung einer bestimmten Wanderzeit bestehen bleiben? In Nordamerika, England, Belgien, Frankreich, wo das Handwerk großentheils zum Fabrikbetriebe geworden ist, hat das Wanderwesen seine mittelalterliche Bedeutung verloren; diese Bedeutung geht und ist schon theil¬ weise auch in Deutschland verlorengegangen. Wenn im Mittelalter eine Stadt einen Ruf hatte, daß sie z. B. vor anderen in der Sattlerarbeit hohe Kunst besäße, so mußte man dorthin gehen, um die Kunst zu lernen, und ehe man hinkam, mußte man wandern, d. h. langsam zu Fuß von Stadt zu Stadt ziehen, täglich etwa 6 Stunden. Polytechnische und gewerbliche Jour¬ nale, welche schnell nach allen Seiten hin wenigstens den theoretischen Samen der Kunst ausgestreut hätten, gab es noch nicht. Jetzt gibt es solche Journale, jetzt kann man sich aus der Eisenbahn einen guten Arbeiter schnell kommen lassen und thätens doch die Meister in größerem Maße, sowie mit Modellen u. anderem ! — Jetzt braucht ein Mechaniker, um in Wien die Mechanik praktisch zu lernen, nicht die langweilige Fußreise zu machen, wobei ihm Geschenke und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/335>, abgerufen am 28.09.2024.