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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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hiervon in vielen Punkten nicht verschieden; der Hauptunterschied wird immer
darin liegen, daß auf der einen Seite einer da ist, welcher mit Hilfe seines
Capitals und seiner Intelligenz eine Anzahl von Arbeitskräften einheitlich ver¬
bindet, während auf der anderen Seite seine Arbeiter oder Gehilfen stehen.
Der Ausdruck "Gehilfe" hat sich offenbar gebildet, um denjenigen zu bezeichnen,
der nicht mehr Gesell (gebundener Hilfsarbeiter), aber auch nicht Meister
(selbstständiger Unternehmer) ist. Selbst der Name "Gehilfe" genügt den fort¬
geschrittenen Verhältnissen nicht mehr, und wo die Dinge am meisten von den
alten Zuständen sich entfernt haben, da sind Meister, Geselle, Gehilfe ver¬
schwunden, und das ganze Verhältniß dreht sich um die beiden sprachlichen
und industriellen Pole des "Arbeiters", d. i. des Mannes ohne Capital, und
des "Unternehmers", d. i. des Arbeiters mit Capital; denn man wird dem
Unternehmer die Ehre, ein Arbeiter, ja der erste, thätigste, unermüdlichste Ar¬
beiter zu sein, im Ernste nicht absprechen wollen. So liegt schon in der
Sprache, auch in der deutschen, die Bezeichnung des Standpunktes, welchen
die gewerblichen Verhältnisse bereits eingenommen haben oder einzunehmen auf
dem geraden oder gewundenen Wege sind, selbst in der Weise, daß auch die
Ackerbauindustrie sich der städtischen immer mehr nähert. Und sonderbar! Der
Name "Knecht", wodurch jetzt der ländliche Arbeiter bezeichnet wird, bedeutete
einst im mittelalterlichen Handwerk den Gesellen. Warum sollte einst nicht
der jetzige Knecht auf dem Lande sich Gesell nennen? Doch wir wollen die
Analogie zwischen der landwirthschaftlichen und der städtischen Industrie, zwi¬
schen der Erzeugung und der Verarbeitung der Nohproducte hier nicht weiter
verfolgen.

Trotz der vorstehenden Ausführung wird sich manches Handwerk noch
lange oder vielleicht für eine unabsehbare Zeit in einer Weise erhalten, welche
ein gewisses Verhältniß zwischen Meister und Gesellen, mag man beide nennen
wie man will, fortbestehen läßt, wenn auch in genäherter Verwandtschaft
mit dem Fabrikwesen. Der Meister oder wie man ihn sonst nennen will,
wird der sein, welcher Capital, Local, Material hergibt und die fertigen Pro-
ducte an das Publicum verkauft, während der Gesell vermittelst der dem Mei¬
ster gehörigen Werkzeuge dessen Rohmaterialien verarbeitet und keinen Verkauf
effectuirt. Es kommt manchem Deutschen ein Grauen an, wenn er daran
denkt, daß auch in Deutschland wie in Nordamerika jeder, mag er alt-oder
blutjung sein, ohne Prüfung und ohne die deutsche Concessionsurkunde ein
selbstständiges Geschäft auf Verkauf eröffnen dürste; allein auch dieses
Geschick wird sich in der Zukunft erfüllen und man (d. h. die Gesellschaft) hat
sich im Grunde davor nicht zu fürchten. Wenn zunächst unsre Gewohnheiten
und Gesetze noch nicht soweit vorgeschritten sind, so frage man sich im Ernste,
ob wol etwa ein entlaufener Lehrbursche, der hinter den Ohren noch nicht


hiervon in vielen Punkten nicht verschieden; der Hauptunterschied wird immer
darin liegen, daß auf der einen Seite einer da ist, welcher mit Hilfe seines
Capitals und seiner Intelligenz eine Anzahl von Arbeitskräften einheitlich ver¬
bindet, während auf der anderen Seite seine Arbeiter oder Gehilfen stehen.
Der Ausdruck „Gehilfe" hat sich offenbar gebildet, um denjenigen zu bezeichnen,
der nicht mehr Gesell (gebundener Hilfsarbeiter), aber auch nicht Meister
(selbstständiger Unternehmer) ist. Selbst der Name „Gehilfe" genügt den fort¬
geschrittenen Verhältnissen nicht mehr, und wo die Dinge am meisten von den
alten Zuständen sich entfernt haben, da sind Meister, Geselle, Gehilfe ver¬
schwunden, und das ganze Verhältniß dreht sich um die beiden sprachlichen
und industriellen Pole des „Arbeiters", d. i. des Mannes ohne Capital, und
des „Unternehmers", d. i. des Arbeiters mit Capital; denn man wird dem
Unternehmer die Ehre, ein Arbeiter, ja der erste, thätigste, unermüdlichste Ar¬
beiter zu sein, im Ernste nicht absprechen wollen. So liegt schon in der
Sprache, auch in der deutschen, die Bezeichnung des Standpunktes, welchen
die gewerblichen Verhältnisse bereits eingenommen haben oder einzunehmen auf
dem geraden oder gewundenen Wege sind, selbst in der Weise, daß auch die
Ackerbauindustrie sich der städtischen immer mehr nähert. Und sonderbar! Der
Name „Knecht", wodurch jetzt der ländliche Arbeiter bezeichnet wird, bedeutete
einst im mittelalterlichen Handwerk den Gesellen. Warum sollte einst nicht
der jetzige Knecht auf dem Lande sich Gesell nennen? Doch wir wollen die
Analogie zwischen der landwirthschaftlichen und der städtischen Industrie, zwi¬
schen der Erzeugung und der Verarbeitung der Nohproducte hier nicht weiter
verfolgen.

Trotz der vorstehenden Ausführung wird sich manches Handwerk noch
lange oder vielleicht für eine unabsehbare Zeit in einer Weise erhalten, welche
ein gewisses Verhältniß zwischen Meister und Gesellen, mag man beide nennen
wie man will, fortbestehen läßt, wenn auch in genäherter Verwandtschaft
mit dem Fabrikwesen. Der Meister oder wie man ihn sonst nennen will,
wird der sein, welcher Capital, Local, Material hergibt und die fertigen Pro-
ducte an das Publicum verkauft, während der Gesell vermittelst der dem Mei¬
ster gehörigen Werkzeuge dessen Rohmaterialien verarbeitet und keinen Verkauf
effectuirt. Es kommt manchem Deutschen ein Grauen an, wenn er daran
denkt, daß auch in Deutschland wie in Nordamerika jeder, mag er alt-oder
blutjung sein, ohne Prüfung und ohne die deutsche Concessionsurkunde ein
selbstständiges Geschäft auf Verkauf eröffnen dürste; allein auch dieses
Geschick wird sich in der Zukunft erfüllen und man (d. h. die Gesellschaft) hat
sich im Grunde davor nicht zu fürchten. Wenn zunächst unsre Gewohnheiten
und Gesetze noch nicht soweit vorgeschritten sind, so frage man sich im Ernste,
ob wol etwa ein entlaufener Lehrbursche, der hinter den Ohren noch nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/334>, abgerufen am 29.06.2024.