Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Handschellen anlegen. Aber die Fabriken sind ja schon solche Freistätten der
Arbeit, und wie will man sie beseitigen? Und ist nicht zwischen kleinen und
großen Meistern, welche letztere das Geschäft fabrikmäßig betreiben, und jene
zu Fabrikarbeitern gemacht haben, fast derselbe Gegensatz, dieselbe Spannung,
wie zwischen Handwerk und Fabrik? Der Unterschied ist das Capital, sehr
oft auch das Talent, zuweilen die Solidität.

Man hat zunächst gar nicht zu fragen, ob es etwas Gutes, Heilbringen¬
des, Wünschenswertes sei, daß der fabrikmäßige Betrieb des Hand¬
werks sich vielfach geltendmacht; es steht die Thatsache sest, daß er un¬
widerstehlich um sich greift. Da hilft keine Klage, da nützt kein Gesetz, keine
Deklamation über den goldenen Boden, über den Brautschatz von Goldschmidts
Töchterlein im Mittelalter. Da gilt es: entweder untergehen oder vorwärts¬
gehen. Da hilft zwar das Examen, die erhöhete Lehrzeit u. s. w. etwas,
sofern dadurch auf indirectem Wege der Zudrang zum Handwerk aufgehalten
wird; aber das Gesetz hierüber und seine Praxis würde ein bedenkliches Loch
im. goldenen Boden haben, wenn man nicht gleichzeitig eine strenge Arbeits-
befugniß festhält und den Fabriken eine gleiche Vorschrift auferlegt. Es er¬
füllt sich unabwendbar das Geschick, daß viele Meister werden müssen, was
ihre Gesellen sind oder was sie selbst als Gesellen waren. -- Ja das Ver¬
hältniß zwischen Meistern und Gesellen hat sich innerhalb des Hand¬
werks auch eigenthümlich gestaltet! Es ist zwischen beiden viel Spannung
und zum Theil Feindschaft. Al'er diese Spannung ist nicht erst in dem Wochen¬
bett der Gewerbefreiheit geboren. Sie war schon im Mittelalter da, nur daß
damals die Meisterschaft eine größere Macht des Gesetzes und -- beide sind
unzertrennlich verbunden -- der Gewohnheit über die Gesellen hatte. Es war
mehr ein väterliches Verhältniß; aber in dem väterlichen lag auch das unvä¬
terliche. Es ist unverkennbar, daß der Geselle an Selbstständigkeit dem Mei¬
ster wie der menschlichen Gesellschaft und dem Gesetz gegenüber gewonnen hat.
Die Emancipation durch die Auflösung des Zunftwesens machte ihn zwar zu¬
gleich roher und ungesitteter; aber nur ein Blinder sieht nicht, daß diese Roh-
heit gegenwärtig in starker Umkehr zur Gesittung begriffen ist. Aus der grö¬
ßeren Selbstständigkeit des Gescllenstandes folgt, daß sich das Verhältniß zwi¬
schen Meister und Gesellen mehr und mehr zu einem freien Contracte gestaltet,
welcher lediglich die Fertigung von Arbeiten und die Bezahlung dafür betrifft,
wobei es an sich einerlei ist, ob Meister oder Gesell das Material, das Werk¬
zeug, das Local zur Arbeit u. s. w. hergeben.

Aber -- so kann man hier fragen -- wäre hierdurch nicht der Geselle
zum Meister so gestellt, wie etwa der kleine Meister zum großen, für den er
arbeitet, oder wie der Fabrikarbeiter zum Fabrikherrn? Allerdings ist die zu¬
künftige und zum Theil die gegenwärtige Stellung des Gesellen zum Meister


Handschellen anlegen. Aber die Fabriken sind ja schon solche Freistätten der
Arbeit, und wie will man sie beseitigen? Und ist nicht zwischen kleinen und
großen Meistern, welche letztere das Geschäft fabrikmäßig betreiben, und jene
zu Fabrikarbeitern gemacht haben, fast derselbe Gegensatz, dieselbe Spannung,
wie zwischen Handwerk und Fabrik? Der Unterschied ist das Capital, sehr
oft auch das Talent, zuweilen die Solidität.

Man hat zunächst gar nicht zu fragen, ob es etwas Gutes, Heilbringen¬
des, Wünschenswertes sei, daß der fabrikmäßige Betrieb des Hand¬
werks sich vielfach geltendmacht; es steht die Thatsache sest, daß er un¬
widerstehlich um sich greift. Da hilft keine Klage, da nützt kein Gesetz, keine
Deklamation über den goldenen Boden, über den Brautschatz von Goldschmidts
Töchterlein im Mittelalter. Da gilt es: entweder untergehen oder vorwärts¬
gehen. Da hilft zwar das Examen, die erhöhete Lehrzeit u. s. w. etwas,
sofern dadurch auf indirectem Wege der Zudrang zum Handwerk aufgehalten
wird; aber das Gesetz hierüber und seine Praxis würde ein bedenkliches Loch
im. goldenen Boden haben, wenn man nicht gleichzeitig eine strenge Arbeits-
befugniß festhält und den Fabriken eine gleiche Vorschrift auferlegt. Es er¬
füllt sich unabwendbar das Geschick, daß viele Meister werden müssen, was
ihre Gesellen sind oder was sie selbst als Gesellen waren. — Ja das Ver¬
hältniß zwischen Meistern und Gesellen hat sich innerhalb des Hand¬
werks auch eigenthümlich gestaltet! Es ist zwischen beiden viel Spannung
und zum Theil Feindschaft. Al'er diese Spannung ist nicht erst in dem Wochen¬
bett der Gewerbefreiheit geboren. Sie war schon im Mittelalter da, nur daß
damals die Meisterschaft eine größere Macht des Gesetzes und — beide sind
unzertrennlich verbunden — der Gewohnheit über die Gesellen hatte. Es war
mehr ein väterliches Verhältniß; aber in dem väterlichen lag auch das unvä¬
terliche. Es ist unverkennbar, daß der Geselle an Selbstständigkeit dem Mei¬
ster wie der menschlichen Gesellschaft und dem Gesetz gegenüber gewonnen hat.
Die Emancipation durch die Auflösung des Zunftwesens machte ihn zwar zu¬
gleich roher und ungesitteter; aber nur ein Blinder sieht nicht, daß diese Roh-
heit gegenwärtig in starker Umkehr zur Gesittung begriffen ist. Aus der grö¬
ßeren Selbstständigkeit des Gescllenstandes folgt, daß sich das Verhältniß zwi¬
schen Meister und Gesellen mehr und mehr zu einem freien Contracte gestaltet,
welcher lediglich die Fertigung von Arbeiten und die Bezahlung dafür betrifft,
wobei es an sich einerlei ist, ob Meister oder Gesell das Material, das Werk¬
zeug, das Local zur Arbeit u. s. w. hergeben.

Aber — so kann man hier fragen — wäre hierdurch nicht der Geselle
zum Meister so gestellt, wie etwa der kleine Meister zum großen, für den er
arbeitet, oder wie der Fabrikarbeiter zum Fabrikherrn? Allerdings ist die zu¬
künftige und zum Theil die gegenwärtige Stellung des Gesellen zum Meister


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99185"/>
          <p xml:id="ID_1149" prev="#ID_1148"> Handschellen anlegen. Aber die Fabriken sind ja schon solche Freistätten der<lb/>
Arbeit, und wie will man sie beseitigen? Und ist nicht zwischen kleinen und<lb/>
großen Meistern, welche letztere das Geschäft fabrikmäßig betreiben, und jene<lb/>
zu Fabrikarbeitern gemacht haben, fast derselbe Gegensatz, dieselbe Spannung,<lb/>
wie zwischen Handwerk und Fabrik? Der Unterschied ist das Capital, sehr<lb/>
oft auch das Talent, zuweilen die Solidität.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1150"> Man hat zunächst gar nicht zu fragen, ob es etwas Gutes, Heilbringen¬<lb/>
des, Wünschenswertes sei, daß der fabrikmäßige Betrieb des Hand¬<lb/>
werks sich vielfach geltendmacht; es steht die Thatsache sest, daß er un¬<lb/>
widerstehlich um sich greift. Da hilft keine Klage, da nützt kein Gesetz, keine<lb/>
Deklamation über den goldenen Boden, über den Brautschatz von Goldschmidts<lb/>
Töchterlein im Mittelalter. Da gilt es: entweder untergehen oder vorwärts¬<lb/>
gehen. Da hilft zwar das Examen, die erhöhete Lehrzeit u. s. w. etwas,<lb/>
sofern dadurch auf indirectem Wege der Zudrang zum Handwerk aufgehalten<lb/>
wird; aber das Gesetz hierüber und seine Praxis würde ein bedenkliches Loch<lb/>
im. goldenen Boden haben, wenn man nicht gleichzeitig eine strenge Arbeits-<lb/>
befugniß festhält und den Fabriken eine gleiche Vorschrift auferlegt. Es er¬<lb/>
füllt sich unabwendbar das Geschick, daß viele Meister werden müssen, was<lb/>
ihre Gesellen sind oder was sie selbst als Gesellen waren. &#x2014; Ja das Ver¬<lb/>
hältniß zwischen Meistern und Gesellen hat sich innerhalb des Hand¬<lb/>
werks auch eigenthümlich gestaltet! Es ist zwischen beiden viel Spannung<lb/>
und zum Theil Feindschaft. Al'er diese Spannung ist nicht erst in dem Wochen¬<lb/>
bett der Gewerbefreiheit geboren. Sie war schon im Mittelalter da, nur daß<lb/>
damals die Meisterschaft eine größere Macht des Gesetzes und &#x2014; beide sind<lb/>
unzertrennlich verbunden &#x2014; der Gewohnheit über die Gesellen hatte. Es war<lb/>
mehr ein väterliches Verhältniß; aber in dem väterlichen lag auch das unvä¬<lb/>
terliche. Es ist unverkennbar, daß der Geselle an Selbstständigkeit dem Mei¬<lb/>
ster wie der menschlichen Gesellschaft und dem Gesetz gegenüber gewonnen hat.<lb/>
Die Emancipation durch die Auflösung des Zunftwesens machte ihn zwar zu¬<lb/>
gleich roher und ungesitteter; aber nur ein Blinder sieht nicht, daß diese Roh-<lb/>
heit gegenwärtig in starker Umkehr zur Gesittung begriffen ist. Aus der grö¬<lb/>
ßeren Selbstständigkeit des Gescllenstandes folgt, daß sich das Verhältniß zwi¬<lb/>
schen Meister und Gesellen mehr und mehr zu einem freien Contracte gestaltet,<lb/>
welcher lediglich die Fertigung von Arbeiten und die Bezahlung dafür betrifft,<lb/>
wobei es an sich einerlei ist, ob Meister oder Gesell das Material, das Werk¬<lb/>
zeug, das Local zur Arbeit u. s. w. hergeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1151" next="#ID_1152"> Aber &#x2014; so kann man hier fragen &#x2014; wäre hierdurch nicht der Geselle<lb/>
zum Meister so gestellt, wie etwa der kleine Meister zum großen, für den er<lb/>
arbeitet, oder wie der Fabrikarbeiter zum Fabrikherrn? Allerdings ist die zu¬<lb/>
künftige und zum Theil die gegenwärtige Stellung des Gesellen zum Meister</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] Handschellen anlegen. Aber die Fabriken sind ja schon solche Freistätten der Arbeit, und wie will man sie beseitigen? Und ist nicht zwischen kleinen und großen Meistern, welche letztere das Geschäft fabrikmäßig betreiben, und jene zu Fabrikarbeitern gemacht haben, fast derselbe Gegensatz, dieselbe Spannung, wie zwischen Handwerk und Fabrik? Der Unterschied ist das Capital, sehr oft auch das Talent, zuweilen die Solidität. Man hat zunächst gar nicht zu fragen, ob es etwas Gutes, Heilbringen¬ des, Wünschenswertes sei, daß der fabrikmäßige Betrieb des Hand¬ werks sich vielfach geltendmacht; es steht die Thatsache sest, daß er un¬ widerstehlich um sich greift. Da hilft keine Klage, da nützt kein Gesetz, keine Deklamation über den goldenen Boden, über den Brautschatz von Goldschmidts Töchterlein im Mittelalter. Da gilt es: entweder untergehen oder vorwärts¬ gehen. Da hilft zwar das Examen, die erhöhete Lehrzeit u. s. w. etwas, sofern dadurch auf indirectem Wege der Zudrang zum Handwerk aufgehalten wird; aber das Gesetz hierüber und seine Praxis würde ein bedenkliches Loch im. goldenen Boden haben, wenn man nicht gleichzeitig eine strenge Arbeits- befugniß festhält und den Fabriken eine gleiche Vorschrift auferlegt. Es er¬ füllt sich unabwendbar das Geschick, daß viele Meister werden müssen, was ihre Gesellen sind oder was sie selbst als Gesellen waren. — Ja das Ver¬ hältniß zwischen Meistern und Gesellen hat sich innerhalb des Hand¬ werks auch eigenthümlich gestaltet! Es ist zwischen beiden viel Spannung und zum Theil Feindschaft. Al'er diese Spannung ist nicht erst in dem Wochen¬ bett der Gewerbefreiheit geboren. Sie war schon im Mittelalter da, nur daß damals die Meisterschaft eine größere Macht des Gesetzes und — beide sind unzertrennlich verbunden — der Gewohnheit über die Gesellen hatte. Es war mehr ein väterliches Verhältniß; aber in dem väterlichen lag auch das unvä¬ terliche. Es ist unverkennbar, daß der Geselle an Selbstständigkeit dem Mei¬ ster wie der menschlichen Gesellschaft und dem Gesetz gegenüber gewonnen hat. Die Emancipation durch die Auflösung des Zunftwesens machte ihn zwar zu¬ gleich roher und ungesitteter; aber nur ein Blinder sieht nicht, daß diese Roh- heit gegenwärtig in starker Umkehr zur Gesittung begriffen ist. Aus der grö¬ ßeren Selbstständigkeit des Gescllenstandes folgt, daß sich das Verhältniß zwi¬ schen Meister und Gesellen mehr und mehr zu einem freien Contracte gestaltet, welcher lediglich die Fertigung von Arbeiten und die Bezahlung dafür betrifft, wobei es an sich einerlei ist, ob Meister oder Gesell das Material, das Werk¬ zeug, das Local zur Arbeit u. s. w. hergeben. Aber — so kann man hier fragen — wäre hierdurch nicht der Geselle zum Meister so gestellt, wie etwa der kleine Meister zum großen, für den er arbeitet, oder wie der Fabrikarbeiter zum Fabrikherrn? Allerdings ist die zu¬ künftige und zum Theil die gegenwärtige Stellung des Gesellen zum Meister

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/333>, abgerufen am 28.09.2024.