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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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bietet gesellschaftliche und andre Genüsse, hat aber auch eine Menge von Be¬
dürfnissen, welche man auf dem Lande kaum dem Namen nach kennt, im Ge¬
folge. Die Handarbeit läßt sich nicht vervielfältigen und wird mit dem Alter
matter und schlechter, während die Kinderzahl wächst. Dazu kommt leider oft,
daß der kleine Handwerker zu schlechtem Material greift, eine Ablieferung ver¬
spricht, die er nicht innehalten kann u. s. w., so daß die Kundschaft wegbleibt,
und ist diese einmal weg, so vermag der Handwerker weit schwerer neue Arbeit
zu finden, als etwa der Handarbeiter. Indeß sind nicht alle Handwerke in
einer so schlimmen Lage, namentlich wenn das Geschäft ohne Capital gar
nicht begründet werden konnte. Wo aber die mangelnde Capitalnothwendigkeit
eine unbeschränkte Concurrenz zuläßt, wo der fabrikmäßige Betrieb mit immer
gewaltigeren Armen um sich greift, da ist die Lage eine höchst bedenkliche,
z. B. für Schneider, Tischler, Weber, Nagelschmiede, Messerschmiede. Während
wir Baumeister, Bäcker, Fleischer, Brauer u. s. w. kaum zu den Handwerkern
rechnen können, sind grade diejenigen Handwerker, welche, wie Maurer und
Zimmerleute, sich einerseits der Lage der Handarbeiter nähern, andrerseits
nicht Meister werden können, in einer nicht herabgekommenen Lage, weil frei
von Risiko und von der Fatalität unverkauft lagernder Waare. Letztere haben
zwar eine vielfach nicht beneidenswerthe Stellung; allein soviel steht fest, daß
grade sie in den letzten Jahren Vortheile (im Lohne, in der Arbeitszeit) er¬
rungen haben, welche zu erringen dem eigentlichen Handwerksmeister nicht
gelungen ist.

Was der Handwerker producirt: Tische, Kleider, Schlüssel, Nägel u. s. w.,
die Arbeit an sich hat eine Zukunft wie jede andre Production unentbehrlicher
Objecte; die Nachfrage darnach wird progressiv steigen; aber die Art und
Weise der Production, das Geschäft ist für viele Handwerke in einer
gewaltigen Aenderung begriffen; der Einfluß des Capitals, der Arbeits¬
theilung und der Maschinen wird auch bei uns noch Dinge hervorrufen, wo¬
von sich mancher jetzt nichts träumen läßt, und das Handwerk in eine ganz
andre Lage drängen. Was in den größeren Städten Frankreichs, was in
Belgien, in England und in Nordamerika bereits in vollem Maße sich ver¬
wirklicht hat: der fabrikmäßige Betrieb durch einzelne Unternehmer, oder
Kapitalisten und die Freiheit für jeZen, zu arbeiten, was er will, ist bereits
in der Einwanderung nach Deutschland begriffen, und findet namentlich an
dem erleichterten Verkehr und Transport durch die Eisenbahnen einen mäch¬
tigen Bundesgenossen. Gegen diese Mächte hilft für die Dauer keine will¬
kürliche und unnatürliche Gesetzgebung, kein restaurirtes Innungswesen, kein
Protest der Meister oder Gesellen. Soll Deutschland in seiner industriellen
Bewegung nicht hinter den Ländern zurückbleiben, welche notorisch hierin am
meisten vorgeschritten sind, sollen die Capitalien nicht nach jenen Ländern


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bietet gesellschaftliche und andre Genüsse, hat aber auch eine Menge von Be¬
dürfnissen, welche man auf dem Lande kaum dem Namen nach kennt, im Ge¬
folge. Die Handarbeit läßt sich nicht vervielfältigen und wird mit dem Alter
matter und schlechter, während die Kinderzahl wächst. Dazu kommt leider oft,
daß der kleine Handwerker zu schlechtem Material greift, eine Ablieferung ver¬
spricht, die er nicht innehalten kann u. s. w., so daß die Kundschaft wegbleibt,
und ist diese einmal weg, so vermag der Handwerker weit schwerer neue Arbeit
zu finden, als etwa der Handarbeiter. Indeß sind nicht alle Handwerke in
einer so schlimmen Lage, namentlich wenn das Geschäft ohne Capital gar
nicht begründet werden konnte. Wo aber die mangelnde Capitalnothwendigkeit
eine unbeschränkte Concurrenz zuläßt, wo der fabrikmäßige Betrieb mit immer
gewaltigeren Armen um sich greift, da ist die Lage eine höchst bedenkliche,
z. B. für Schneider, Tischler, Weber, Nagelschmiede, Messerschmiede. Während
wir Baumeister, Bäcker, Fleischer, Brauer u. s. w. kaum zu den Handwerkern
rechnen können, sind grade diejenigen Handwerker, welche, wie Maurer und
Zimmerleute, sich einerseits der Lage der Handarbeiter nähern, andrerseits
nicht Meister werden können, in einer nicht herabgekommenen Lage, weil frei
von Risiko und von der Fatalität unverkauft lagernder Waare. Letztere haben
zwar eine vielfach nicht beneidenswerthe Stellung; allein soviel steht fest, daß
grade sie in den letzten Jahren Vortheile (im Lohne, in der Arbeitszeit) er¬
rungen haben, welche zu erringen dem eigentlichen Handwerksmeister nicht
gelungen ist.

Was der Handwerker producirt: Tische, Kleider, Schlüssel, Nägel u. s. w.,
die Arbeit an sich hat eine Zukunft wie jede andre Production unentbehrlicher
Objecte; die Nachfrage darnach wird progressiv steigen; aber die Art und
Weise der Production, das Geschäft ist für viele Handwerke in einer
gewaltigen Aenderung begriffen; der Einfluß des Capitals, der Arbeits¬
theilung und der Maschinen wird auch bei uns noch Dinge hervorrufen, wo¬
von sich mancher jetzt nichts träumen läßt, und das Handwerk in eine ganz
andre Lage drängen. Was in den größeren Städten Frankreichs, was in
Belgien, in England und in Nordamerika bereits in vollem Maße sich ver¬
wirklicht hat: der fabrikmäßige Betrieb durch einzelne Unternehmer, oder
Kapitalisten und die Freiheit für jeZen, zu arbeiten, was er will, ist bereits
in der Einwanderung nach Deutschland begriffen, und findet namentlich an
dem erleichterten Verkehr und Transport durch die Eisenbahnen einen mäch¬
tigen Bundesgenossen. Gegen diese Mächte hilft für die Dauer keine will¬
kürliche und unnatürliche Gesetzgebung, kein restaurirtes Innungswesen, kein
Protest der Meister oder Gesellen. Soll Deutschland in seiner industriellen
Bewegung nicht hinter den Ländern zurückbleiben, welche notorisch hierin am
meisten vorgeschritten sind, sollen die Capitalien nicht nach jenen Ländern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/331>, abgerufen am 28.09.2024.