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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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nach ihren Arbeitskräften erfahren; die Standesbedürfnisse sind höchst gering;
ein fleißiger und zuverlässiger Mann findet auf Jahrzehnte eine gesicherte
Stellung in einem Etablissement, wo sich außer dem vereinbarten Lohne noch
manche Vortheile für ihn ergeben. Von den Fabrikarbeitern laßt sich
allerdings nicht ein Gleiches wie von den übrigen Erwerbsständen behaupten;
allein sie sind es ja eben , welche den Handwerkern am nächsten stehen; den¬
noch hat der Fabrikarbeiter vor den meisten Handwerkern dies voraus, daß er
kein Risiko übernimmt, daß er im Falle seiner Brauchbarkeit aus lange Zeit hinaus
gesicherte Einnahme hat; daß die Arbeitgeber jemehr und mehr auf Schulen
für ihre Kinder, auf Unterstützungskassen, wozu sie selbst ein Namhaftes bei¬
tragen, auf die Herstellung guter Wohnungen für sie u. f. f. bedacht sind.
Allerdings können durch Absatzstockungen große Massen von Fabrikarbeitern
plötzlich brotlos werden, und sind die Handwerker nicht so wie sie von einer
Persönlichkeit abhängig; allein durch jene Stockungen werden meist auch die
Handwerker auf das empfindlichste getroffen, und ihnen wird der Uebergang
zur Arbeit an Eisenbahnen u. s. w. immer schwerer. Daß der Stand der Dienst¬
boten, welche als Glieder eines Hauswesens zu betrachten sind, sich in einer
gesicherten Lage befindet, bedarf keines Beweises, wenn auch das Einkommen
nicht hoch ist. Dasselbe gilt natürlich von dem Stande der Beamten, welche
sich vor der Einführung der beamtenlosen Proudhonschen Anarchie vorläufig
nicht zu fürchten brauchen. Im Begriffe des Fabrikanten liegt es, daß
ihm wenigstens einiges Capital zugebotesteht und die Zukunft ist grade
diesem Stand, sowie den mit ihm in Verbindung stehenden Ingenieuren,
Coloristen, Werkführern u. f. w. ausnehmend günstig. Unter einer glänzen¬
den Kaufmannsfirma verbirgt sich zwar manches Elend und mancher fast
schon im Schuldthurme sitzende Bankrott, allein der Handel erwirbt oft in
einer Stunde hundert Procent, während das Handwerk in dieser Zeit nicht
eins verdient und die Vorsicht kann zehn Verlusten aus dem Wege gehen,
während das unbeschränkte Gebiet der Speculation die Möglichkeit zu zwanzig
vortheilhaften Geschäften bietet.

In welcher Position finden wir dagegen das Handwerk? Das Hand¬
werk ist die capitallose Arbeit, welche gleichwol zum Erlernen, zum Ein¬
kauf von Materialien u. f. w. Capital erheischt, und so zwischen Hand¬
arbeit und Fabrik mitten inne steht. Die verhältnißmäßig geringe Zahl der
wohlhabenden Handwerker kommt hierbei wenig in Betracht, oder ist zu der
Stellung des Fabrikanten fortgeschritten. Das Handwerk recrutirt sich großen-
theils aus solchen, welche keine Capitalien besitzen, resp, aus den mittellosen
Brüdern derer, welchen ein Landgut als Erbe zufällt. Um eine Schuhmacher¬
oder Schneiderwerkstätte einzurichten, reichen fast Nadel und Pfriemen hin,
und hat die Braut ein Bett, so wird geheirathet. Das Wohnen in der Stadt


nach ihren Arbeitskräften erfahren; die Standesbedürfnisse sind höchst gering;
ein fleißiger und zuverlässiger Mann findet auf Jahrzehnte eine gesicherte
Stellung in einem Etablissement, wo sich außer dem vereinbarten Lohne noch
manche Vortheile für ihn ergeben. Von den Fabrikarbeitern laßt sich
allerdings nicht ein Gleiches wie von den übrigen Erwerbsständen behaupten;
allein sie sind es ja eben , welche den Handwerkern am nächsten stehen; den¬
noch hat der Fabrikarbeiter vor den meisten Handwerkern dies voraus, daß er
kein Risiko übernimmt, daß er im Falle seiner Brauchbarkeit aus lange Zeit hinaus
gesicherte Einnahme hat; daß die Arbeitgeber jemehr und mehr auf Schulen
für ihre Kinder, auf Unterstützungskassen, wozu sie selbst ein Namhaftes bei¬
tragen, auf die Herstellung guter Wohnungen für sie u. f. f. bedacht sind.
Allerdings können durch Absatzstockungen große Massen von Fabrikarbeitern
plötzlich brotlos werden, und sind die Handwerker nicht so wie sie von einer
Persönlichkeit abhängig; allein durch jene Stockungen werden meist auch die
Handwerker auf das empfindlichste getroffen, und ihnen wird der Uebergang
zur Arbeit an Eisenbahnen u. s. w. immer schwerer. Daß der Stand der Dienst¬
boten, welche als Glieder eines Hauswesens zu betrachten sind, sich in einer
gesicherten Lage befindet, bedarf keines Beweises, wenn auch das Einkommen
nicht hoch ist. Dasselbe gilt natürlich von dem Stande der Beamten, welche
sich vor der Einführung der beamtenlosen Proudhonschen Anarchie vorläufig
nicht zu fürchten brauchen. Im Begriffe des Fabrikanten liegt es, daß
ihm wenigstens einiges Capital zugebotesteht und die Zukunft ist grade
diesem Stand, sowie den mit ihm in Verbindung stehenden Ingenieuren,
Coloristen, Werkführern u. f. w. ausnehmend günstig. Unter einer glänzen¬
den Kaufmannsfirma verbirgt sich zwar manches Elend und mancher fast
schon im Schuldthurme sitzende Bankrott, allein der Handel erwirbt oft in
einer Stunde hundert Procent, während das Handwerk in dieser Zeit nicht
eins verdient und die Vorsicht kann zehn Verlusten aus dem Wege gehen,
während das unbeschränkte Gebiet der Speculation die Möglichkeit zu zwanzig
vortheilhaften Geschäften bietet.

In welcher Position finden wir dagegen das Handwerk? Das Hand¬
werk ist die capitallose Arbeit, welche gleichwol zum Erlernen, zum Ein¬
kauf von Materialien u. f. w. Capital erheischt, und so zwischen Hand¬
arbeit und Fabrik mitten inne steht. Die verhältnißmäßig geringe Zahl der
wohlhabenden Handwerker kommt hierbei wenig in Betracht, oder ist zu der
Stellung des Fabrikanten fortgeschritten. Das Handwerk recrutirt sich großen-
theils aus solchen, welche keine Capitalien besitzen, resp, aus den mittellosen
Brüdern derer, welchen ein Landgut als Erbe zufällt. Um eine Schuhmacher¬
oder Schneiderwerkstätte einzurichten, reichen fast Nadel und Pfriemen hin,
und hat die Braut ein Bett, so wird geheirathet. Das Wohnen in der Stadt


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[0330] nach ihren Arbeitskräften erfahren; die Standesbedürfnisse sind höchst gering; ein fleißiger und zuverlässiger Mann findet auf Jahrzehnte eine gesicherte Stellung in einem Etablissement, wo sich außer dem vereinbarten Lohne noch manche Vortheile für ihn ergeben. Von den Fabrikarbeitern laßt sich allerdings nicht ein Gleiches wie von den übrigen Erwerbsständen behaupten; allein sie sind es ja eben , welche den Handwerkern am nächsten stehen; den¬ noch hat der Fabrikarbeiter vor den meisten Handwerkern dies voraus, daß er kein Risiko übernimmt, daß er im Falle seiner Brauchbarkeit aus lange Zeit hinaus gesicherte Einnahme hat; daß die Arbeitgeber jemehr und mehr auf Schulen für ihre Kinder, auf Unterstützungskassen, wozu sie selbst ein Namhaftes bei¬ tragen, auf die Herstellung guter Wohnungen für sie u. f. f. bedacht sind. Allerdings können durch Absatzstockungen große Massen von Fabrikarbeitern plötzlich brotlos werden, und sind die Handwerker nicht so wie sie von einer Persönlichkeit abhängig; allein durch jene Stockungen werden meist auch die Handwerker auf das empfindlichste getroffen, und ihnen wird der Uebergang zur Arbeit an Eisenbahnen u. s. w. immer schwerer. Daß der Stand der Dienst¬ boten, welche als Glieder eines Hauswesens zu betrachten sind, sich in einer gesicherten Lage befindet, bedarf keines Beweises, wenn auch das Einkommen nicht hoch ist. Dasselbe gilt natürlich von dem Stande der Beamten, welche sich vor der Einführung der beamtenlosen Proudhonschen Anarchie vorläufig nicht zu fürchten brauchen. Im Begriffe des Fabrikanten liegt es, daß ihm wenigstens einiges Capital zugebotesteht und die Zukunft ist grade diesem Stand, sowie den mit ihm in Verbindung stehenden Ingenieuren, Coloristen, Werkführern u. f. w. ausnehmend günstig. Unter einer glänzen¬ den Kaufmannsfirma verbirgt sich zwar manches Elend und mancher fast schon im Schuldthurme sitzende Bankrott, allein der Handel erwirbt oft in einer Stunde hundert Procent, während das Handwerk in dieser Zeit nicht eins verdient und die Vorsicht kann zehn Verlusten aus dem Wege gehen, während das unbeschränkte Gebiet der Speculation die Möglichkeit zu zwanzig vortheilhaften Geschäften bietet. In welcher Position finden wir dagegen das Handwerk? Das Hand¬ werk ist die capitallose Arbeit, welche gleichwol zum Erlernen, zum Ein¬ kauf von Materialien u. f. w. Capital erheischt, und so zwischen Hand¬ arbeit und Fabrik mitten inne steht. Die verhältnißmäßig geringe Zahl der wohlhabenden Handwerker kommt hierbei wenig in Betracht, oder ist zu der Stellung des Fabrikanten fortgeschritten. Das Handwerk recrutirt sich großen- theils aus solchen, welche keine Capitalien besitzen, resp, aus den mittellosen Brüdern derer, welchen ein Landgut als Erbe zufällt. Um eine Schuhmacher¬ oder Schneiderwerkstätte einzurichten, reichen fast Nadel und Pfriemen hin, und hat die Braut ein Bett, so wird geheirathet. Das Wohnen in der Stadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/330>, abgerufen am 29.06.2024.