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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Zeilen von "hat nicht" bis,"und deine" nicht allein unbedenklich wegfallen,
sondern ich gehe soweit, zu behaupten, daß sie gar nicht hineingehören, und
daß Goethe sie, nachdem der Monolog schon fertig war, einrückte, blos um den
großartigen Gedanken, dessen frühere Niederschrift er vergessen, nicht verloren
gehen zu lassen.

Die Zeilen passen nicht dahin, wo sie stehen, sage ich; denn während
die vorhergehenden:

sich auf das Verhältniß des Zeus zum empfindenden Prometheus beziehen, und
das Gleiche der Fall mit den folgenden Zeilen ist:

Wähntest dn etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reisten?

wenden sich dagegen die dazwischenstehenden von "hat nicht" bis "und deine"
von diesem Gegenstande ab, und beziehen sich weder auf Zeus noch auf des
Prometheus schmerzliche Empfindungen; sie sprechen aus, wie Zeit und Schicksal
seine Manneskraft gebildet, und wenn diese Verse auch an die Gedanken der
vorhergehenden anknüpfen, so stehen sie doch in keiner Verbindung zu den nach¬
folgenden. Nicht genug! Die angeführten fünf letzten Verse ("Wähntest"
bis "reiften") müssen unmittelbar an die ersten vier ("Hast" bis "Geängsteten")
sich anschließen, wenn sie nicht überhaupt außer Zusammenhang stehen sollen;
denn Prometheus meint: hast du mich deshalb in Schmerzen und Thränen
gelassen, weil du hofftest, dadurch mich, zum Lebenshasser zu machen? --
Durch den Ausfall der vier Zeilen von "Hat" bis "deine" erhält daher der
Monolog eine Abrundung, die ihm jetzt mangelt.

Kurz, ich denke, der große Todte wird zuwinken, wenn wir das Drama
"Prometheus" nach seiner Absicht so ergänzen:

Das Selbstgespräch des Prometheus im zweiten Act: "Sieh
nieder, Zeus!" bis "Wie ich!" wird herausgeworfen. Statt des¬
sen wird das Gedicht Prometheus eingerückt, jedoch mit Wegfall
der vier Zeilen "Hat nicht mich zum Manne geschmiedet" bis
"Meine Herren und deine?"

So sollte man das Drama auch in künftigen Ausgaben der Werke Goethes
drucken und das Gedicht in seiner jetzigen Gestalt, die ebenfalls erhalten werden
muß, lediglich unter den vermischten Gedichten, wie jetzt nebenbei, stehenlassen.

Inzwischen aber möge sich bald eine Buchhandlung finden, welche zu be¬
quemeren Genusse des ergänzten Werks ankündigte:


Grenzboten. I. i86ü. 4

Zeilen von „hat nicht" bis,„und deine" nicht allein unbedenklich wegfallen,
sondern ich gehe soweit, zu behaupten, daß sie gar nicht hineingehören, und
daß Goethe sie, nachdem der Monolog schon fertig war, einrückte, blos um den
großartigen Gedanken, dessen frühere Niederschrift er vergessen, nicht verloren
gehen zu lassen.

Die Zeilen passen nicht dahin, wo sie stehen, sage ich; denn während
die vorhergehenden:

sich auf das Verhältniß des Zeus zum empfindenden Prometheus beziehen, und
das Gleiche der Fall mit den folgenden Zeilen ist:

Wähntest dn etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reisten?

wenden sich dagegen die dazwischenstehenden von „hat nicht" bis „und deine"
von diesem Gegenstande ab, und beziehen sich weder auf Zeus noch auf des
Prometheus schmerzliche Empfindungen; sie sprechen aus, wie Zeit und Schicksal
seine Manneskraft gebildet, und wenn diese Verse auch an die Gedanken der
vorhergehenden anknüpfen, so stehen sie doch in keiner Verbindung zu den nach¬
folgenden. Nicht genug! Die angeführten fünf letzten Verse („Wähntest"
bis „reiften") müssen unmittelbar an die ersten vier („Hast" bis „Geängsteten")
sich anschließen, wenn sie nicht überhaupt außer Zusammenhang stehen sollen;
denn Prometheus meint: hast du mich deshalb in Schmerzen und Thränen
gelassen, weil du hofftest, dadurch mich, zum Lebenshasser zu machen? —
Durch den Ausfall der vier Zeilen von „Hat" bis „deine" erhält daher der
Monolog eine Abrundung, die ihm jetzt mangelt.

Kurz, ich denke, der große Todte wird zuwinken, wenn wir das Drama
„Prometheus" nach seiner Absicht so ergänzen:

Das Selbstgespräch des Prometheus im zweiten Act: „Sieh
nieder, Zeus!" bis „Wie ich!" wird herausgeworfen. Statt des¬
sen wird das Gedicht Prometheus eingerückt, jedoch mit Wegfall
der vier Zeilen „Hat nicht mich zum Manne geschmiedet" bis
„Meine Herren und deine?"

So sollte man das Drama auch in künftigen Ausgaben der Werke Goethes
drucken und das Gedicht in seiner jetzigen Gestalt, die ebenfalls erhalten werden
muß, lediglich unter den vermischten Gedichten, wie jetzt nebenbei, stehenlassen.

Inzwischen aber möge sich bald eine Buchhandlung finden, welche zu be¬
quemeren Genusse des ergänzten Werks ankündigte:


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[0033] Zeilen von „hat nicht" bis,„und deine" nicht allein unbedenklich wegfallen, sondern ich gehe soweit, zu behaupten, daß sie gar nicht hineingehören, und daß Goethe sie, nachdem der Monolog schon fertig war, einrückte, blos um den großartigen Gedanken, dessen frühere Niederschrift er vergessen, nicht verloren gehen zu lassen. Die Zeilen passen nicht dahin, wo sie stehen, sage ich; denn während die vorhergehenden: sich auf das Verhältniß des Zeus zum empfindenden Prometheus beziehen, und das Gleiche der Fall mit den folgenden Zeilen ist: Wähntest dn etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehen, Weil nicht alle Blütenträume reisten? wenden sich dagegen die dazwischenstehenden von „hat nicht" bis „und deine" von diesem Gegenstande ab, und beziehen sich weder auf Zeus noch auf des Prometheus schmerzliche Empfindungen; sie sprechen aus, wie Zeit und Schicksal seine Manneskraft gebildet, und wenn diese Verse auch an die Gedanken der vorhergehenden anknüpfen, so stehen sie doch in keiner Verbindung zu den nach¬ folgenden. Nicht genug! Die angeführten fünf letzten Verse („Wähntest" bis „reiften") müssen unmittelbar an die ersten vier („Hast" bis „Geängsteten") sich anschließen, wenn sie nicht überhaupt außer Zusammenhang stehen sollen; denn Prometheus meint: hast du mich deshalb in Schmerzen und Thränen gelassen, weil du hofftest, dadurch mich, zum Lebenshasser zu machen? — Durch den Ausfall der vier Zeilen von „Hat" bis „deine" erhält daher der Monolog eine Abrundung, die ihm jetzt mangelt. Kurz, ich denke, der große Todte wird zuwinken, wenn wir das Drama „Prometheus" nach seiner Absicht so ergänzen: Das Selbstgespräch des Prometheus im zweiten Act: „Sieh nieder, Zeus!" bis „Wie ich!" wird herausgeworfen. Statt des¬ sen wird das Gedicht Prometheus eingerückt, jedoch mit Wegfall der vier Zeilen „Hat nicht mich zum Manne geschmiedet" bis „Meine Herren und deine?" So sollte man das Drama auch in künftigen Ausgaben der Werke Goethes drucken und das Gedicht in seiner jetzigen Gestalt, die ebenfalls erhalten werden muß, lediglich unter den vermischten Gedichten, wie jetzt nebenbei, stehenlassen. Inzwischen aber möge sich bald eine Buchhandlung finden, welche zu be¬ quemeren Genusse des ergänzten Werks ankündigte: Grenzboten. I. i86ü. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/33>, abgerufen am 26.06.2024.