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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Korrespondenzen.
Kvnstantillvpel,

-- Drei Punkte sind es in diesem Augen¬
blick, in welchen die geschiedenen Actionen dieses Krieges ihre Centren finden:
Konstantinopel, Varna und das Terrain vor Sewastopol. Letzteres ist Entscheidungs-
stelle; erstere sind Vorbereitungsstätten. Gleichwie Konstantinopel der letzte Stations¬
platz ans der langen Linie von England und Frankreich nach der Krim ist und
zwischen hier und dort in letzter Instanz vermittelt, so ist Varna ein Bindeglied
zwischen den Hilfsmitteln und Streitkräften nordwärts vom Balkan und dem tau-
rischen Kriegsschauplatz.

Sollte Oestreich mit Rußland definitiv brechen, so würde es um vieles wahr¬
scheinlicher sein, daß seine Streitkräfte sich bei Varna wie a" der Donau, oder gar
am Prnth, mit denen der Verbündeten die Hand reichten: die letzteren sind nämlich,
wie sich mehr und mehr herausstellt, unfähig zu tiefer ins Land eingreifenden Opera¬
tionen; der Gcstadekrcis des Pontus wird, sofern man ihren Train nicht beweg¬
lich macht, zugleich die Grenze ihrer Bewegungen bleiben; ja es kann in Zweifel
gezogen werden, ob die vor Sewastopol, engagirten Divisionen jemals imstande-
gcwcsen sein würden, den Marsch von Eupatoria nach Perekop zu vollführen. Ge¬
genwärtig sind sie dies notorisch nicht.

Wie ich höre, ist neuerdings diese Sachlage in Paris gewürdigt worden und
es sollen Maßregeln getroffen worden sein, um den Krieg französisch-englischerseits
für den Fall, daß eine Ausgleichung nicht zustandekommt, mit Hilfe eines neuorga-
nisirten Transport' und Verpflegungssystems im verbesserten Stile fortzusetzen.
Hierauf deuten anch einige Vorkehrungen hin, welche in den letzten Wochen am
hiesigen Orte getroffen wurden und die sich in Varna wiederholten. Man errichtet
nämlich sranzofischerscits große Werkstätten, behufs der schnellen Herstellung einer
großen Anzahl von Fouragewagen; im Lande reisen weit und breit Offiziere und
militärische Agenten umher, um einheimische Zugpferde anzukaufen; außerdem wer¬
den große Massen lebenden Viehs angekauft und einstweilen aus den großen Wiesen-
gründen, die sich am Busen von Saros um Eros her ausdehnen, ernährt.

Gewinnen die Operationen in der Krim im nächsten Frühjahr neues Leben,
so ist es daher sehr wahrscheinlich, daß wir andre Actionen wie die seitherigen er¬
leben, und nicht nur eine verbündete Armee dort wissen werden, welche sich tapfer
zu schlage", sondern auch dem Feind aus den Fersen zu folgen weiß.

Nachrichten von Interesse sind aus der wünschen Halbinsel jüngst nicht hier
eingegangen. Dagegen bezeugen die zahlreich hierher gebrachten Soldaten mit er¬
frorenen Armen und Beinen,'daß der Frost dort von weit intensiverer Natur, wie
in Stambul ist. Die Baracken langen endlich in großer Anzahl an, und in diesem
Augenblick dürsten sich bereits mindestens 23,000 Mann wohlgesichert und warm
unter Dach und Fach befinden. Auch das Material für die Eisenbahn von Balakava
zum Lager soll zum größeren Theil in jenem Hafenort eingetroffen sein .... ob
auch ausgeladen ist freilich eine andre Frage.

Man ist hier nicht ohne Sorge um das Geschick der bei Eupatoria ausgeschifften
Armee Omer Paschas. Dumpfen Gerüchten nach würde russischerseits gegen dieselbe


Korrespondenzen.
Kvnstantillvpel,

— Drei Punkte sind es in diesem Augen¬
blick, in welchen die geschiedenen Actionen dieses Krieges ihre Centren finden:
Konstantinopel, Varna und das Terrain vor Sewastopol. Letzteres ist Entscheidungs-
stelle; erstere sind Vorbereitungsstätten. Gleichwie Konstantinopel der letzte Stations¬
platz ans der langen Linie von England und Frankreich nach der Krim ist und
zwischen hier und dort in letzter Instanz vermittelt, so ist Varna ein Bindeglied
zwischen den Hilfsmitteln und Streitkräften nordwärts vom Balkan und dem tau-
rischen Kriegsschauplatz.

Sollte Oestreich mit Rußland definitiv brechen, so würde es um vieles wahr¬
scheinlicher sein, daß seine Streitkräfte sich bei Varna wie a» der Donau, oder gar
am Prnth, mit denen der Verbündeten die Hand reichten: die letzteren sind nämlich,
wie sich mehr und mehr herausstellt, unfähig zu tiefer ins Land eingreifenden Opera¬
tionen; der Gcstadekrcis des Pontus wird, sofern man ihren Train nicht beweg¬
lich macht, zugleich die Grenze ihrer Bewegungen bleiben; ja es kann in Zweifel
gezogen werden, ob die vor Sewastopol, engagirten Divisionen jemals imstande-
gcwcsen sein würden, den Marsch von Eupatoria nach Perekop zu vollführen. Ge¬
genwärtig sind sie dies notorisch nicht.

Wie ich höre, ist neuerdings diese Sachlage in Paris gewürdigt worden und
es sollen Maßregeln getroffen worden sein, um den Krieg französisch-englischerseits
für den Fall, daß eine Ausgleichung nicht zustandekommt, mit Hilfe eines neuorga-
nisirten Transport' und Verpflegungssystems im verbesserten Stile fortzusetzen.
Hierauf deuten anch einige Vorkehrungen hin, welche in den letzten Wochen am
hiesigen Orte getroffen wurden und die sich in Varna wiederholten. Man errichtet
nämlich sranzofischerscits große Werkstätten, behufs der schnellen Herstellung einer
großen Anzahl von Fouragewagen; im Lande reisen weit und breit Offiziere und
militärische Agenten umher, um einheimische Zugpferde anzukaufen; außerdem wer¬
den große Massen lebenden Viehs angekauft und einstweilen aus den großen Wiesen-
gründen, die sich am Busen von Saros um Eros her ausdehnen, ernährt.

Gewinnen die Operationen in der Krim im nächsten Frühjahr neues Leben,
so ist es daher sehr wahrscheinlich, daß wir andre Actionen wie die seitherigen er¬
leben, und nicht nur eine verbündete Armee dort wissen werden, welche sich tapfer
zu schlage», sondern auch dem Feind aus den Fersen zu folgen weiß.

Nachrichten von Interesse sind aus der wünschen Halbinsel jüngst nicht hier
eingegangen. Dagegen bezeugen die zahlreich hierher gebrachten Soldaten mit er¬
frorenen Armen und Beinen,'daß der Frost dort von weit intensiverer Natur, wie
in Stambul ist. Die Baracken langen endlich in großer Anzahl an, und in diesem
Augenblick dürsten sich bereits mindestens 23,000 Mann wohlgesichert und warm
unter Dach und Fach befinden. Auch das Material für die Eisenbahn von Balakava
zum Lager soll zum größeren Theil in jenem Hafenort eingetroffen sein .... ob
auch ausgeladen ist freilich eine andre Frage.

Man ist hier nicht ohne Sorge um das Geschick der bei Eupatoria ausgeschifften
Armee Omer Paschas. Dumpfen Gerüchten nach würde russischerseits gegen dieselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/319>, abgerufen am 29.06.2024.