Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Analog den bereits vorhandenen Bildungen schaffen wir in der lebendigen
Rede aus den vorhandenen Wörtern sowol Substantiva als Verba ebenso
nothwendig, als wir zu den uns geläufigen Vorstellungen und Gedanken täg¬
lich neue erfinden und die vorhandenen neu combiniren. Für ein Wörterbuch
werden deshalb die im Bedürfniß deS Tages zusammengeschobenen Wörter in
der Regel eine verhältnißmäßig geringe Wichtigkeit haben, in vielen Fällen
wird die einfache Aufzeichnung derselben genügen. Dagegen sind die Stämme
und wichtigern Ableitungen, sowie alle Bildungen, an denen etwas Seltenes,
Originelles oder Charakteristisches haftet, in dem vorliegenden Werke mit einer
Ausführlichkeit und Gelehrsamkeit behandelt, welche in den meisten Fällen nichts
zu wünschen übrigläßt, oft bewunderungswürdig genannt werden muß. Und
der reiche Schatz von angeführten Schriftsteller gewährt bei ihnen zugleich ein
Bild von der Entwicklung des einzelnen Worts und der Bildung der verschie¬
denen Zeiten.

Der Plan des Wörterbuchs war, das innere Leben der einzelnen Wörter
darzustellen seit dem Entstehen der neuhochdeutschen Sprache, also ungefähr
seit dem Ende des 1ü. Jahrhunderts, aber doch ist bei allen wichtigen Wörtern
weiter zurückgegangen und ihr Leben kurz dargestellt seit dem Anfange unsrer
Schriftsprache, sowie ihre Urverwandtschaft mit den entsprechenden Stämmen
verwandter Sprachen.

Wie groß die Bedeutung dieses Werkes auch sür unsre künftige Sprach¬
bildung sein wird, vermag man schon jetzt, wo die ersten großen Buchstaben
deS Alphabets vorliegen, zu beurtheilen, wenn man im Fall einer grammati¬
schen Unsicherheit, wie sie jedem kommt, die betreffenden Artikel nachschlägt.
Daß die Lectüre vieler einzelnen für den gebildeten Freund seiner Sprache
vom höchsten wissenschaftlichen Nutzen ist, versteht sich von selbst. Und wenn
wir ein Recht haben, mit Selbstgefühl aus das riesige Werk zu blicken, welches
die Kraft unsrer Gelehrten unternommen hat, so wird dies Behagen noch durch
den Gedanken vermehrt, daß ein solches Werk möglich war ohne die Unter¬
stützung begünstigter Akademien und ohne außerordentliche Zuschüsse der Re¬
gierungen. Es ist die warme Theilnahme des Volkes selbst, welche das kost¬
bare Unternehmen trägt und seine Fortsetzung möglich macht. Durch ganz
Deutschland und tausende von Meilen über die Greirzen unsrer engern Hei¬
mat geht das Wörterbuch als ein Zeugniß dafür, baß die Deutschen, wo
sie auch leben, ein Gefühl sür das Gemeinsame, was sie mit ihren Lands¬
leuten verbindet, nicht verloren haben, ein Zeugniß auch dafür, wie gern sie
stolz sind, wo sie ein Recht dazu haben. > -

Die letzten beiden Hefte beschließen bis auf wenige noch zu erwartende
Bogen den Buchstaben B. Wie aus allen deutschen Wörterbüchern zu sehen,
sind die beiden Wörterscharen A und B ungewöhnlich stark an Mannschaft. Von


Grenzboten. I. I83ö. 39

Analog den bereits vorhandenen Bildungen schaffen wir in der lebendigen
Rede aus den vorhandenen Wörtern sowol Substantiva als Verba ebenso
nothwendig, als wir zu den uns geläufigen Vorstellungen und Gedanken täg¬
lich neue erfinden und die vorhandenen neu combiniren. Für ein Wörterbuch
werden deshalb die im Bedürfniß deS Tages zusammengeschobenen Wörter in
der Regel eine verhältnißmäßig geringe Wichtigkeit haben, in vielen Fällen
wird die einfache Aufzeichnung derselben genügen. Dagegen sind die Stämme
und wichtigern Ableitungen, sowie alle Bildungen, an denen etwas Seltenes,
Originelles oder Charakteristisches haftet, in dem vorliegenden Werke mit einer
Ausführlichkeit und Gelehrsamkeit behandelt, welche in den meisten Fällen nichts
zu wünschen übrigläßt, oft bewunderungswürdig genannt werden muß. Und
der reiche Schatz von angeführten Schriftsteller gewährt bei ihnen zugleich ein
Bild von der Entwicklung des einzelnen Worts und der Bildung der verschie¬
denen Zeiten.

Der Plan des Wörterbuchs war, das innere Leben der einzelnen Wörter
darzustellen seit dem Entstehen der neuhochdeutschen Sprache, also ungefähr
seit dem Ende des 1ü. Jahrhunderts, aber doch ist bei allen wichtigen Wörtern
weiter zurückgegangen und ihr Leben kurz dargestellt seit dem Anfange unsrer
Schriftsprache, sowie ihre Urverwandtschaft mit den entsprechenden Stämmen
verwandter Sprachen.

Wie groß die Bedeutung dieses Werkes auch sür unsre künftige Sprach¬
bildung sein wird, vermag man schon jetzt, wo die ersten großen Buchstaben
deS Alphabets vorliegen, zu beurtheilen, wenn man im Fall einer grammati¬
schen Unsicherheit, wie sie jedem kommt, die betreffenden Artikel nachschlägt.
Daß die Lectüre vieler einzelnen für den gebildeten Freund seiner Sprache
vom höchsten wissenschaftlichen Nutzen ist, versteht sich von selbst. Und wenn
wir ein Recht haben, mit Selbstgefühl aus das riesige Werk zu blicken, welches
die Kraft unsrer Gelehrten unternommen hat, so wird dies Behagen noch durch
den Gedanken vermehrt, daß ein solches Werk möglich war ohne die Unter¬
stützung begünstigter Akademien und ohne außerordentliche Zuschüsse der Re¬
gierungen. Es ist die warme Theilnahme des Volkes selbst, welche das kost¬
bare Unternehmen trägt und seine Fortsetzung möglich macht. Durch ganz
Deutschland und tausende von Meilen über die Greirzen unsrer engern Hei¬
mat geht das Wörterbuch als ein Zeugniß dafür, baß die Deutschen, wo
sie auch leben, ein Gefühl sür das Gemeinsame, was sie mit ihren Lands¬
leuten verbindet, nicht verloren haben, ein Zeugniß auch dafür, wie gern sie
stolz sind, wo sie ein Recht dazu haben. > -

Die letzten beiden Hefte beschließen bis auf wenige noch zu erwartende
Bogen den Buchstaben B. Wie aus allen deutschen Wörterbüchern zu sehen,
sind die beiden Wörterscharen A und B ungewöhnlich stark an Mannschaft. Von


Grenzboten. I. I83ö. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99165"/>
          <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086"> Analog den bereits vorhandenen Bildungen schaffen wir in der lebendigen<lb/>
Rede aus den vorhandenen Wörtern sowol Substantiva als Verba ebenso<lb/>
nothwendig, als wir zu den uns geläufigen Vorstellungen und Gedanken täg¬<lb/>
lich neue erfinden und die vorhandenen neu combiniren. Für ein Wörterbuch<lb/>
werden deshalb die im Bedürfniß deS Tages zusammengeschobenen Wörter in<lb/>
der Regel eine verhältnißmäßig geringe Wichtigkeit haben, in vielen Fällen<lb/>
wird die einfache Aufzeichnung derselben genügen. Dagegen sind die Stämme<lb/>
und wichtigern Ableitungen, sowie alle Bildungen, an denen etwas Seltenes,<lb/>
Originelles oder Charakteristisches haftet, in dem vorliegenden Werke mit einer<lb/>
Ausführlichkeit und Gelehrsamkeit behandelt, welche in den meisten Fällen nichts<lb/>
zu wünschen übrigläßt, oft bewunderungswürdig genannt werden muß. Und<lb/>
der reiche Schatz von angeführten Schriftsteller gewährt bei ihnen zugleich ein<lb/>
Bild von der Entwicklung des einzelnen Worts und der Bildung der verschie¬<lb/>
denen Zeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088"> Der Plan des Wörterbuchs war, das innere Leben der einzelnen Wörter<lb/>
darzustellen seit dem Entstehen der neuhochdeutschen Sprache, also ungefähr<lb/>
seit dem Ende des 1ü. Jahrhunderts, aber doch ist bei allen wichtigen Wörtern<lb/>
weiter zurückgegangen und ihr Leben kurz dargestellt seit dem Anfange unsrer<lb/>
Schriftsprache, sowie ihre Urverwandtschaft mit den entsprechenden Stämmen<lb/>
verwandter Sprachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1089"> Wie groß die Bedeutung dieses Werkes auch sür unsre künftige Sprach¬<lb/>
bildung sein wird, vermag man schon jetzt, wo die ersten großen Buchstaben<lb/>
deS Alphabets vorliegen, zu beurtheilen, wenn man im Fall einer grammati¬<lb/>
schen Unsicherheit, wie sie jedem kommt, die betreffenden Artikel nachschlägt.<lb/>
Daß die Lectüre vieler einzelnen für den gebildeten Freund seiner Sprache<lb/>
vom höchsten wissenschaftlichen Nutzen ist, versteht sich von selbst. Und wenn<lb/>
wir ein Recht haben, mit Selbstgefühl aus das riesige Werk zu blicken, welches<lb/>
die Kraft unsrer Gelehrten unternommen hat, so wird dies Behagen noch durch<lb/>
den Gedanken vermehrt, daß ein solches Werk möglich war ohne die Unter¬<lb/>
stützung begünstigter Akademien und ohne außerordentliche Zuschüsse der Re¬<lb/>
gierungen. Es ist die warme Theilnahme des Volkes selbst, welche das kost¬<lb/>
bare Unternehmen trägt und seine Fortsetzung möglich macht. Durch ganz<lb/>
Deutschland und tausende von Meilen über die Greirzen unsrer engern Hei¬<lb/>
mat geht das Wörterbuch als ein Zeugniß dafür, baß die Deutschen, wo<lb/>
sie auch leben, ein Gefühl sür das Gemeinsame, was sie mit ihren Lands¬<lb/>
leuten verbindet, nicht verloren haben, ein Zeugniß auch dafür, wie gern sie<lb/>
stolz sind, wo sie ein Recht dazu haben. &gt; -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" next="#ID_1091"> Die letzten beiden Hefte beschließen bis auf wenige noch zu erwartende<lb/>
Bogen den Buchstaben B. Wie aus allen deutschen Wörterbüchern zu sehen,<lb/>
sind die beiden Wörterscharen A und B ungewöhnlich stark an Mannschaft. Von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. I83ö. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] Analog den bereits vorhandenen Bildungen schaffen wir in der lebendigen Rede aus den vorhandenen Wörtern sowol Substantiva als Verba ebenso nothwendig, als wir zu den uns geläufigen Vorstellungen und Gedanken täg¬ lich neue erfinden und die vorhandenen neu combiniren. Für ein Wörterbuch werden deshalb die im Bedürfniß deS Tages zusammengeschobenen Wörter in der Regel eine verhältnißmäßig geringe Wichtigkeit haben, in vielen Fällen wird die einfache Aufzeichnung derselben genügen. Dagegen sind die Stämme und wichtigern Ableitungen, sowie alle Bildungen, an denen etwas Seltenes, Originelles oder Charakteristisches haftet, in dem vorliegenden Werke mit einer Ausführlichkeit und Gelehrsamkeit behandelt, welche in den meisten Fällen nichts zu wünschen übrigläßt, oft bewunderungswürdig genannt werden muß. Und der reiche Schatz von angeführten Schriftsteller gewährt bei ihnen zugleich ein Bild von der Entwicklung des einzelnen Worts und der Bildung der verschie¬ denen Zeiten. Der Plan des Wörterbuchs war, das innere Leben der einzelnen Wörter darzustellen seit dem Entstehen der neuhochdeutschen Sprache, also ungefähr seit dem Ende des 1ü. Jahrhunderts, aber doch ist bei allen wichtigen Wörtern weiter zurückgegangen und ihr Leben kurz dargestellt seit dem Anfange unsrer Schriftsprache, sowie ihre Urverwandtschaft mit den entsprechenden Stämmen verwandter Sprachen. Wie groß die Bedeutung dieses Werkes auch sür unsre künftige Sprach¬ bildung sein wird, vermag man schon jetzt, wo die ersten großen Buchstaben deS Alphabets vorliegen, zu beurtheilen, wenn man im Fall einer grammati¬ schen Unsicherheit, wie sie jedem kommt, die betreffenden Artikel nachschlägt. Daß die Lectüre vieler einzelnen für den gebildeten Freund seiner Sprache vom höchsten wissenschaftlichen Nutzen ist, versteht sich von selbst. Und wenn wir ein Recht haben, mit Selbstgefühl aus das riesige Werk zu blicken, welches die Kraft unsrer Gelehrten unternommen hat, so wird dies Behagen noch durch den Gedanken vermehrt, daß ein solches Werk möglich war ohne die Unter¬ stützung begünstigter Akademien und ohne außerordentliche Zuschüsse der Re¬ gierungen. Es ist die warme Theilnahme des Volkes selbst, welche das kost¬ bare Unternehmen trägt und seine Fortsetzung möglich macht. Durch ganz Deutschland und tausende von Meilen über die Greirzen unsrer engern Hei¬ mat geht das Wörterbuch als ein Zeugniß dafür, baß die Deutschen, wo sie auch leben, ein Gefühl sür das Gemeinsame, was sie mit ihren Lands¬ leuten verbindet, nicht verloren haben, ein Zeugniß auch dafür, wie gern sie stolz sind, wo sie ein Recht dazu haben. > - Die letzten beiden Hefte beschließen bis auf wenige noch zu erwartende Bogen den Buchstaben B. Wie aus allen deutschen Wörterbüchern zu sehen, sind die beiden Wörterscharen A und B ungewöhnlich stark an Mannschaft. Von Grenzboten. I. I83ö. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/313>, abgerufen am 29.06.2024.