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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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nen T.ig von Dama-skus. Am gründlichsten unterrichtet man sich darüber in
dem Briefwechsel mit Reinhard, der seine Bekanntschaft mit Boisserve vermit¬
telte. Nicht daß er die Griechen geopfert hätte, sondern er wies den christlich-
germanischen Heiligen gleichfalls einen Platz in seinem Pantheon an. Unter
diesen Einflüssen ist auch "Wahrheit und Dichtung" geschrieben. Man wird
die Apologie der katholischen Sacramente, die in diesem schönen Werk wol
manchen in Verwunderung gesetzt haben wird, begreifen, wenn man die sym¬
bolische Richtung seiner neugewonnenen Kunstansicht in Erwägung zieht. Die
Stimmung der Zeit war Herr über ihn geworden; aus der sinnlichklaren Plastik
zog er sich in das Nebelgebiet der Symbolik zurück, wenn er sich auch hier mit
seiner ewig unvergänglichen Jugendkraft so plastisch einzurichten verstand, als
es unter den Umständen möglich war.

Weder die classischen noch die romantischen Dichter haben diesen Umschlag
in der Gesinnung hervorgebracht. Auch die freiesten Genies sprechen doch im¬
mer nur aus, was die Zeit dunkel in ihnen erregt. Am Ende des vorigen
Jahrhunderts waren die Dichter Heiden geworden, um der verknöcherten Wort¬
gläubigkeit und dem weinerlichen Pietismus zu entgehen; sie bekehrten sich-zum
Glauben, als die-Söhne der heidnischen Revolution Deutschland verwüsteten,
als die Noth sie beten lehrte. Als E. M. Arndt auf die Frage: "wer ist ein
Mann?" die Antwort gab: "der beten kann", eine Antwort, die bei Wieland,
Winkelmann, Heinse und Goethe in seiner früheren Periode' gewiß ganz anders
ausgefallen sein würde, so war das nicht eine Spielerei, sondern sehr ernst ge¬
meint und drückte den Kern der neuen Ueberzeugung aus, die sich bei den Ro¬
mantikern nur fratzenhaft äußerte.

Was in dieser Zeit der Gährung über die Geschichte der Kunst festgestellt
wurde, hatte, wie gesagt, nur den Zweck, mustergiltige Vorbilder für die prak¬
tische Ausübung der Kunst zu finden; aber die Einseitigkeit der Principien ist
für die Ausübung nicht förderlich. Weder die modernen Heiden noch die mo¬
dernen Nazarener haben in der Kunst etwas Bedeutendes geleistet, und als in
der Düsseldorfer und Münchener Schule die Kunst wirklich aufblühte, zeigte
sie zwar im Stoff wie in der Form zahlreiche Reminiscenzen aus der Romantik,
in der Hauptsache zeigte sie aber das Streben nach einer Symbolik der mo¬
dernen Ideen, die man gar nicht ungeschickt als protestantische Ideen bezeichnet
hat, Ideen, die wir bei Cornelius ebenso nachzuweisen unternehmen, als bei
Lessing oder Kaulbach.

Mittlerweile war die Philosophie der Geschichte ausgebildet worden, die
in jedem Zeitalter ein berechtigtes Princip nachzuweisen strebte. Die Anwen¬
dung auf die Geschichte der Malerei konnte nicht ausbleiben. Wir haben jetzt
gelernt, die Kunstgeschichte ebenso als ein Moment der allgemeinen Cultur¬
geschichte, d. l). als ein einzelnes Symbol von der allgemeinen Entwicklung deS


nen T.ig von Dama-skus. Am gründlichsten unterrichtet man sich darüber in
dem Briefwechsel mit Reinhard, der seine Bekanntschaft mit Boisserve vermit¬
telte. Nicht daß er die Griechen geopfert hätte, sondern er wies den christlich-
germanischen Heiligen gleichfalls einen Platz in seinem Pantheon an. Unter
diesen Einflüssen ist auch „Wahrheit und Dichtung" geschrieben. Man wird
die Apologie der katholischen Sacramente, die in diesem schönen Werk wol
manchen in Verwunderung gesetzt haben wird, begreifen, wenn man die sym¬
bolische Richtung seiner neugewonnenen Kunstansicht in Erwägung zieht. Die
Stimmung der Zeit war Herr über ihn geworden; aus der sinnlichklaren Plastik
zog er sich in das Nebelgebiet der Symbolik zurück, wenn er sich auch hier mit
seiner ewig unvergänglichen Jugendkraft so plastisch einzurichten verstand, als
es unter den Umständen möglich war.

Weder die classischen noch die romantischen Dichter haben diesen Umschlag
in der Gesinnung hervorgebracht. Auch die freiesten Genies sprechen doch im¬
mer nur aus, was die Zeit dunkel in ihnen erregt. Am Ende des vorigen
Jahrhunderts waren die Dichter Heiden geworden, um der verknöcherten Wort¬
gläubigkeit und dem weinerlichen Pietismus zu entgehen; sie bekehrten sich-zum
Glauben, als die-Söhne der heidnischen Revolution Deutschland verwüsteten,
als die Noth sie beten lehrte. Als E. M. Arndt auf die Frage: „wer ist ein
Mann?" die Antwort gab: „der beten kann", eine Antwort, die bei Wieland,
Winkelmann, Heinse und Goethe in seiner früheren Periode' gewiß ganz anders
ausgefallen sein würde, so war das nicht eine Spielerei, sondern sehr ernst ge¬
meint und drückte den Kern der neuen Ueberzeugung aus, die sich bei den Ro¬
mantikern nur fratzenhaft äußerte.

Was in dieser Zeit der Gährung über die Geschichte der Kunst festgestellt
wurde, hatte, wie gesagt, nur den Zweck, mustergiltige Vorbilder für die prak¬
tische Ausübung der Kunst zu finden; aber die Einseitigkeit der Principien ist
für die Ausübung nicht förderlich. Weder die modernen Heiden noch die mo¬
dernen Nazarener haben in der Kunst etwas Bedeutendes geleistet, und als in
der Düsseldorfer und Münchener Schule die Kunst wirklich aufblühte, zeigte
sie zwar im Stoff wie in der Form zahlreiche Reminiscenzen aus der Romantik,
in der Hauptsache zeigte sie aber das Streben nach einer Symbolik der mo¬
dernen Ideen, die man gar nicht ungeschickt als protestantische Ideen bezeichnet
hat, Ideen, die wir bei Cornelius ebenso nachzuweisen unternehmen, als bei
Lessing oder Kaulbach.

Mittlerweile war die Philosophie der Geschichte ausgebildet worden, die
in jedem Zeitalter ein berechtigtes Princip nachzuweisen strebte. Die Anwen¬
dung auf die Geschichte der Malerei konnte nicht ausbleiben. Wir haben jetzt
gelernt, die Kunstgeschichte ebenso als ein Moment der allgemeinen Cultur¬
geschichte, d. l). als ein einzelnes Symbol von der allgemeinen Entwicklung deS


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/302>, abgerufen am 29.06.2024.