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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ergießungen" von dem mystischen Schwulst und von dem süßlichen, gezierten
Wesen abstrahirt, so bleibt der an sich vollkommen richtige Grundgedanke übrig,
daß ein Künstler, der das Herz der Zuschauer erregen will, mit seinem Gemüts)
wirklich bei der Sache sein muß, daß es keineswegs genügt, sich ein beliebiges
Kunstideal vor Augen zu stellen und dasselbe technisch zu verarbeiten, sondern daß
man daran glauben muß, wenn man schaffen will. Es war vollkommen richtig,
wenn man bei den großen Malern deS 10, Jahrhunderts darauf aufmerksam
machte, daß sie so Großes geleistet, weil sie wirklich an ihre Ideale glaubten.
Correggio glaubte in der That ebenso innig an die segenspendende Mutter
Gottes, die alle Welt mit Jubel und trunkener Lust erfüllt, wie an die grie¬
chische Aphrodite, der er in seiner Leda und Jo so schöne Opfer dargebracht.
An eine unbedingte Wiederaufnahme der altchristlichen Glaubensideale konnte
damals die Schule umsoweniger denken, da sie damit umging, eine neue Religion
zu schaffen, die alle Voraussetzungen der modernen Bildung ebenso befriedigen
sollte, als alle Bedürfnisse der modernen Dichtung. Erst nachdem sie sich von
der Eitelkeit dieses Vorhabens überzeugt, tritt auch in ihrer Kunstansicht die
Reaction ein. Es ist sehr interessant, im Athenäum und in der Europa diese
allmäligen Umwandlungen ihrer Kunsttheorien zu verfolgen. Zuerst gehen sie
ganz zu Werke, wie Georg Förster in seinen Ansichten vom Niederrhein; sie beschrei¬
ben die Gemälde der Dresdner Galerie, .dann die der Wiener und der Pariser,
die man damals sämmtlich für das größere Publieum erst neu entdecken mußte,
nicht vom Standpunkt einer abstracten Idee aus, sondern mit concreten, leb¬
haften Farben; sie suchen ein allseitiges Urtheil zu finden, und ihre Beschreibung
ist zuweilen vortrefflich. Erst in den letzten Heften der Europa zeigt sich der
Wendepunkt. Allmälig kommt man dahinter, daß die absolute Trennung des
Ideals von der Wirklichkeit, der Kunst vom Leben, nicht durchzuführen sei,
und wenn man früher den Katholicismus nur aus artistischen Rücksichten em¬
pfohlen hatte, so wird man sich jetzt auch praktisch den Eonsequenzen seiner
ästhetischen Vorliebe bequemen müssen. Zudem wurde damals die Entdeckung
gemacht, daß es noch eine christliche Kunst gebe, die zu der griechischen Kunst
gar keine Beziehung hätte, was man von der nachrafaelischen Zeit keineswegs
behaupten konnte. Schlegel wurde in Paris mit dem jungen Boisferie bekannt,
der die Schätze der altdeutschen Kunst am Rhein aus dem Schutt wiederher-
vorgesucht hatte. Hier war nun das Factum einer spiritualistischen Kunst vor¬
handen, die sich gegen die Naturform gradezu empörte, und der Philosoph und
der Empiriker konnten sich gegenseitig fördern. Schlegel kehrte mit Boisserve nach
Köln zurück, wurde dort bekanntlich katholisch, und die christlich-germanische Schule,
die in der Politik und Religion damals so starke Wurzeln schlug, wurde nun
auch für die bildende Kunst begründet. Wenn sich Goethe zu Anfang von
diesem künstlerischen Nazarenerthum mit Abscheu abwandte, so hat auch er sei-


ergießungen" von dem mystischen Schwulst und von dem süßlichen, gezierten
Wesen abstrahirt, so bleibt der an sich vollkommen richtige Grundgedanke übrig,
daß ein Künstler, der das Herz der Zuschauer erregen will, mit seinem Gemüts)
wirklich bei der Sache sein muß, daß es keineswegs genügt, sich ein beliebiges
Kunstideal vor Augen zu stellen und dasselbe technisch zu verarbeiten, sondern daß
man daran glauben muß, wenn man schaffen will. Es war vollkommen richtig,
wenn man bei den großen Malern deS 10, Jahrhunderts darauf aufmerksam
machte, daß sie so Großes geleistet, weil sie wirklich an ihre Ideale glaubten.
Correggio glaubte in der That ebenso innig an die segenspendende Mutter
Gottes, die alle Welt mit Jubel und trunkener Lust erfüllt, wie an die grie¬
chische Aphrodite, der er in seiner Leda und Jo so schöne Opfer dargebracht.
An eine unbedingte Wiederaufnahme der altchristlichen Glaubensideale konnte
damals die Schule umsoweniger denken, da sie damit umging, eine neue Religion
zu schaffen, die alle Voraussetzungen der modernen Bildung ebenso befriedigen
sollte, als alle Bedürfnisse der modernen Dichtung. Erst nachdem sie sich von
der Eitelkeit dieses Vorhabens überzeugt, tritt auch in ihrer Kunstansicht die
Reaction ein. Es ist sehr interessant, im Athenäum und in der Europa diese
allmäligen Umwandlungen ihrer Kunsttheorien zu verfolgen. Zuerst gehen sie
ganz zu Werke, wie Georg Förster in seinen Ansichten vom Niederrhein; sie beschrei¬
ben die Gemälde der Dresdner Galerie, .dann die der Wiener und der Pariser,
die man damals sämmtlich für das größere Publieum erst neu entdecken mußte,
nicht vom Standpunkt einer abstracten Idee aus, sondern mit concreten, leb¬
haften Farben; sie suchen ein allseitiges Urtheil zu finden, und ihre Beschreibung
ist zuweilen vortrefflich. Erst in den letzten Heften der Europa zeigt sich der
Wendepunkt. Allmälig kommt man dahinter, daß die absolute Trennung des
Ideals von der Wirklichkeit, der Kunst vom Leben, nicht durchzuführen sei,
und wenn man früher den Katholicismus nur aus artistischen Rücksichten em¬
pfohlen hatte, so wird man sich jetzt auch praktisch den Eonsequenzen seiner
ästhetischen Vorliebe bequemen müssen. Zudem wurde damals die Entdeckung
gemacht, daß es noch eine christliche Kunst gebe, die zu der griechischen Kunst
gar keine Beziehung hätte, was man von der nachrafaelischen Zeit keineswegs
behaupten konnte. Schlegel wurde in Paris mit dem jungen Boisferie bekannt,
der die Schätze der altdeutschen Kunst am Rhein aus dem Schutt wiederher-
vorgesucht hatte. Hier war nun das Factum einer spiritualistischen Kunst vor¬
handen, die sich gegen die Naturform gradezu empörte, und der Philosoph und
der Empiriker konnten sich gegenseitig fördern. Schlegel kehrte mit Boisserve nach
Köln zurück, wurde dort bekanntlich katholisch, und die christlich-germanische Schule,
die in der Politik und Religion damals so starke Wurzeln schlug, wurde nun
auch für die bildende Kunst begründet. Wenn sich Goethe zu Anfang von
diesem künstlerischen Nazarenerthum mit Abscheu abwandte, so hat auch er sei-


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[0301] ergießungen" von dem mystischen Schwulst und von dem süßlichen, gezierten Wesen abstrahirt, so bleibt der an sich vollkommen richtige Grundgedanke übrig, daß ein Künstler, der das Herz der Zuschauer erregen will, mit seinem Gemüts) wirklich bei der Sache sein muß, daß es keineswegs genügt, sich ein beliebiges Kunstideal vor Augen zu stellen und dasselbe technisch zu verarbeiten, sondern daß man daran glauben muß, wenn man schaffen will. Es war vollkommen richtig, wenn man bei den großen Malern deS 10, Jahrhunderts darauf aufmerksam machte, daß sie so Großes geleistet, weil sie wirklich an ihre Ideale glaubten. Correggio glaubte in der That ebenso innig an die segenspendende Mutter Gottes, die alle Welt mit Jubel und trunkener Lust erfüllt, wie an die grie¬ chische Aphrodite, der er in seiner Leda und Jo so schöne Opfer dargebracht. An eine unbedingte Wiederaufnahme der altchristlichen Glaubensideale konnte damals die Schule umsoweniger denken, da sie damit umging, eine neue Religion zu schaffen, die alle Voraussetzungen der modernen Bildung ebenso befriedigen sollte, als alle Bedürfnisse der modernen Dichtung. Erst nachdem sie sich von der Eitelkeit dieses Vorhabens überzeugt, tritt auch in ihrer Kunstansicht die Reaction ein. Es ist sehr interessant, im Athenäum und in der Europa diese allmäligen Umwandlungen ihrer Kunsttheorien zu verfolgen. Zuerst gehen sie ganz zu Werke, wie Georg Förster in seinen Ansichten vom Niederrhein; sie beschrei¬ ben die Gemälde der Dresdner Galerie, .dann die der Wiener und der Pariser, die man damals sämmtlich für das größere Publieum erst neu entdecken mußte, nicht vom Standpunkt einer abstracten Idee aus, sondern mit concreten, leb¬ haften Farben; sie suchen ein allseitiges Urtheil zu finden, und ihre Beschreibung ist zuweilen vortrefflich. Erst in den letzten Heften der Europa zeigt sich der Wendepunkt. Allmälig kommt man dahinter, daß die absolute Trennung des Ideals von der Wirklichkeit, der Kunst vom Leben, nicht durchzuführen sei, und wenn man früher den Katholicismus nur aus artistischen Rücksichten em¬ pfohlen hatte, so wird man sich jetzt auch praktisch den Eonsequenzen seiner ästhetischen Vorliebe bequemen müssen. Zudem wurde damals die Entdeckung gemacht, daß es noch eine christliche Kunst gebe, die zu der griechischen Kunst gar keine Beziehung hätte, was man von der nachrafaelischen Zeit keineswegs behaupten konnte. Schlegel wurde in Paris mit dem jungen Boisferie bekannt, der die Schätze der altdeutschen Kunst am Rhein aus dem Schutt wiederher- vorgesucht hatte. Hier war nun das Factum einer spiritualistischen Kunst vor¬ handen, die sich gegen die Naturform gradezu empörte, und der Philosoph und der Empiriker konnten sich gegenseitig fördern. Schlegel kehrte mit Boisserve nach Köln zurück, wurde dort bekanntlich katholisch, und die christlich-germanische Schule, die in der Politik und Religion damals so starke Wurzeln schlug, wurde nun auch für die bildende Kunst begründet. Wenn sich Goethe zu Anfang von diesem künstlerischen Nazarenerthum mit Abscheu abwandte, so hat auch er sei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/301>, abgerufen am 29.06.2024.