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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Altäre errichten, werden wir imstandesein, die Schönheit für die Kunst
wiederzuerobern. Wackenroder dagegen glaubt den echten Idealismus der Kunst
nur dadurch zu gewinnen, daß die Künstler alle Sinnlichkeit ertödten und
lediglich ein geistiges Leben führen. Der Gegensatz der beiden Ansichten liegt
zunächst in der individuellen Natur der Verfasser, allein-es ist in diesen krank¬
haften Extremen doch zugleich der Ausdruckst zwei entgegenstrebende Richtungen
der allgemeinen deutschen Bildung. - Zuvörderst ist zu bemerken, daß beide
Männer Idealisten sind, beide in der Verwerfung des modernen Lebens mit¬
einander übereinstimmen, Heinse findet für sein ideales Künstlerthum keine
andere Stätte, als die glückseligen Inseln im Archipelagus, wo-seine-Kunst¬
freunde das ehrenwerthe Gewerbe von Piraten treiben, und Wackenroder zieht
sich mit seinen Idealen in ein Kloster zurück. Daß beide Ansichten Berührungs¬
punkte haben, ersieht man aus Fr. Schlegels Lucinde, die sich gleichfalls viel
i'nit Kunsttheorien beschäftigt und den Cultus der Sinnlichkeit ebenso zutreiben
empfiehlt, als den des Geistes.

Die griechischen Tendenzen in der bildenden Kunst, die ebensowenig mit
dem akademischen Stil der Franzosen vollständig zusammenfallen, als die Gräko-
manie unsrer Dichter mit Racine und Boileau, hängt mit dem allgemeinen
Kampf des freien Geistes in Deutschland gegen die bisherige Theologie zu¬
sammen. Darin stehen Winkelmann, Lessing, Voß, Wieland und Goethe völlig
auf gleichem Boden. Durch die sinnliche Wiederherstellung der Antike, die wir
vorzugsweise Winkelmann und Voß verdanken, wurde uns auch das Verständniß
der griechischen Literatur vermittelt, und es war natürlich, daß die Liebe zur
griechischen Dichtung auch wieder Ms die neuen Tendenzen in der bildenden
Kunst zurückwirkte. Goethe war namentlich in der Zeit seiner Propyläen der
entschiedenste Vertreter dieser Richt.ung; wie er auf dem Theater und im Gedicht
die griechischen Formen wiederherzustellen > strebte, so wirkte er im Verein mit
den übrigen Kunstfreunden mit der ganzen Unbeugsamkeit seiner Natur dahin,
auch die Malerei wieder auf die Darstellung der nackten Schönheit und auf
die griechischen Formen und Stoffe zurückzuführen.. Wie bedeutend diese Rich¬
tung auch in der Baukunst hervortrat, und wie daraus jener charakterlose, mo¬
derne Baustil entstand, dem wir uns jetzt allmälig zu entwinden streben, ist
allgemein bekannt. In der Malerei konnten diese Versuche trotz aller Ab¬
mühung zu keinem bedeutenden Resultat führen. Am deutlichsten sühlt man
das heraus, wenn man Goethes Berichte über die Preisausschreibungen von
Weimar durchliest.

Nun würde man irren, wenn man annähme, die romantische Schule hätte
von vornherein ihr christliches Ideal dein mittelalterlichen entgegengestellt. Wie
in der Poesie, so gingen auch in der Auffassung der bildenden Kunst die Ro¬
mantiker mit den Klassikern Hand in Hand. Wenn man in den "Herzens-


Altäre errichten, werden wir imstandesein, die Schönheit für die Kunst
wiederzuerobern. Wackenroder dagegen glaubt den echten Idealismus der Kunst
nur dadurch zu gewinnen, daß die Künstler alle Sinnlichkeit ertödten und
lediglich ein geistiges Leben führen. Der Gegensatz der beiden Ansichten liegt
zunächst in der individuellen Natur der Verfasser, allein-es ist in diesen krank¬
haften Extremen doch zugleich der Ausdruckst zwei entgegenstrebende Richtungen
der allgemeinen deutschen Bildung. - Zuvörderst ist zu bemerken, daß beide
Männer Idealisten sind, beide in der Verwerfung des modernen Lebens mit¬
einander übereinstimmen, Heinse findet für sein ideales Künstlerthum keine
andere Stätte, als die glückseligen Inseln im Archipelagus, wo-seine-Kunst¬
freunde das ehrenwerthe Gewerbe von Piraten treiben, und Wackenroder zieht
sich mit seinen Idealen in ein Kloster zurück. Daß beide Ansichten Berührungs¬
punkte haben, ersieht man aus Fr. Schlegels Lucinde, die sich gleichfalls viel
i'nit Kunsttheorien beschäftigt und den Cultus der Sinnlichkeit ebenso zutreiben
empfiehlt, als den des Geistes.

Die griechischen Tendenzen in der bildenden Kunst, die ebensowenig mit
dem akademischen Stil der Franzosen vollständig zusammenfallen, als die Gräko-
manie unsrer Dichter mit Racine und Boileau, hängt mit dem allgemeinen
Kampf des freien Geistes in Deutschland gegen die bisherige Theologie zu¬
sammen. Darin stehen Winkelmann, Lessing, Voß, Wieland und Goethe völlig
auf gleichem Boden. Durch die sinnliche Wiederherstellung der Antike, die wir
vorzugsweise Winkelmann und Voß verdanken, wurde uns auch das Verständniß
der griechischen Literatur vermittelt, und es war natürlich, daß die Liebe zur
griechischen Dichtung auch wieder Ms die neuen Tendenzen in der bildenden
Kunst zurückwirkte. Goethe war namentlich in der Zeit seiner Propyläen der
entschiedenste Vertreter dieser Richt.ung; wie er auf dem Theater und im Gedicht
die griechischen Formen wiederherzustellen > strebte, so wirkte er im Verein mit
den übrigen Kunstfreunden mit der ganzen Unbeugsamkeit seiner Natur dahin,
auch die Malerei wieder auf die Darstellung der nackten Schönheit und auf
die griechischen Formen und Stoffe zurückzuführen.. Wie bedeutend diese Rich¬
tung auch in der Baukunst hervortrat, und wie daraus jener charakterlose, mo¬
derne Baustil entstand, dem wir uns jetzt allmälig zu entwinden streben, ist
allgemein bekannt. In der Malerei konnten diese Versuche trotz aller Ab¬
mühung zu keinem bedeutenden Resultat führen. Am deutlichsten sühlt man
das heraus, wenn man Goethes Berichte über die Preisausschreibungen von
Weimar durchliest.

Nun würde man irren, wenn man annähme, die romantische Schule hätte
von vornherein ihr christliches Ideal dein mittelalterlichen entgegengestellt. Wie
in der Poesie, so gingen auch in der Auffassung der bildenden Kunst die Ro¬
mantiker mit den Klassikern Hand in Hand. Wenn man in den „Herzens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/300>, abgerufen am 29.06.2024.