Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

freulichfte Weise. Aber auch der allgemeine Standpunkt wurde ein anderer.
Je freier der wissenschaftliche Blick, je vielseitiger und unbefangener das Urtheil
war, umsoweniger konnte man sich verhehlen, daß die Auffassungsweise jener
romantischen Periode uns in zu enge Grenzen eingeschränkt hatte ..... Wir
kamen immermehr dazu, dein, was damals als allein giltig gepriesen war,
nur ein durch besondere Umstände und Zeitverhältnisse bedingtes Recht, vielem,
was man damals verworfen hatte, doch feine eigenthümliche zum Theil sehr be¬
deutende Giltigkeit zuzugestehen." --

Es war ein Glück für die zweite Ausgabe, daß der Verfasser für die
Bearbeitung derselben einen genauen Freund fand, der, in gleich gründlichen
Studien aufgewachsen und im wesentlichen von denselben Ansichten durch¬
drungen, den Vorzug hatte, mit frischen Kräften an das Werk zu gehen. Die
Freunde der Geschichte kennen Jacob Burckhardt aus dem Leben Konstantins.
Es zeigt sich in demselben ein so feines Verständniß für das Nervengeflecht
der verschiedenen geistigen Organisationen, der Religion, der Kunst und des
öffentlichen Lebens, wie es nur unsre gleichmäßig durch Philosophie und Ge¬
schichte gesättigte Bildung hervorbringen kann. Dieser Einblick in den Zu¬
sammenhang der geistigen Bewegungen zeigt sich auch in der Bearbeitung der
Kunstgeschichte. Wir finden in derselben auch für die Lectüre jene innere
Continuität, welche das blos artistische Interesse nicht hervorrufen kann.
Außerdem war aber, wie sich für ein Handbuch ziemt, der praktische Gesichts¬
punkt sehr energisch festgehalten. Das Buch war so eingerichtet, daß es als
ein Begleiter aus jeder Kunstreise dienen, daß man sich über jede neue
Erscheinung der Kunst in ihm auf eine leichte und bequeme Weise orientiren
konnte. Wenn man bedenkt, wieviel Freunde die Kunst in Deutschand jetzt
gewonnen hat, wie auf allen Reisen die Bildergalerien einen der Mittelpunkte
der Anziehung bilden, und wie sich in den Städten, die das Glück haben,
eine größere Kunstsammlung zu besitzen, alljährlich ein Kreis von Fremden
zusammendrängt, so darf man es wol eine sonderbare und auffallende Erschei¬
nung nennen, daß dieses Buch nach sieben Jahren noch keine neue Auflage
erlebt hat. Es zeigt doch, daß im größern Publicum das Interesse mehr auf
der Oberfläche schwimmt.

Wenn dies also der äußere ^weck unsrer Bemerkungen war, das Publicum
wieder einmal auf ein Werk aufmerksam zu machen, welches, um den geläufigen
Ausdruck beizubehalten, noch immer einem tiefgefühlten Bedürfniß entspricht,
so haben wir dabei noch einen innern Grund. Wir haben nämlich im vorigen
Heft darauf aufmerksam gemacht, wie durch die Hegelsche Philosophie auf die
Geschichtschreibung und Geschichtforschung ein wesentlicher Einfluß ausgeübt
wurde; wir können den nämlichen Einfluß im Gebiet der Kunstgeschichte ver¬
folgen. Im Lauf des vergangenen Jahres ist von der Vischerschen "Aesthetik"


freulichfte Weise. Aber auch der allgemeine Standpunkt wurde ein anderer.
Je freier der wissenschaftliche Blick, je vielseitiger und unbefangener das Urtheil
war, umsoweniger konnte man sich verhehlen, daß die Auffassungsweise jener
romantischen Periode uns in zu enge Grenzen eingeschränkt hatte ..... Wir
kamen immermehr dazu, dein, was damals als allein giltig gepriesen war,
nur ein durch besondere Umstände und Zeitverhältnisse bedingtes Recht, vielem,
was man damals verworfen hatte, doch feine eigenthümliche zum Theil sehr be¬
deutende Giltigkeit zuzugestehen." —

Es war ein Glück für die zweite Ausgabe, daß der Verfasser für die
Bearbeitung derselben einen genauen Freund fand, der, in gleich gründlichen
Studien aufgewachsen und im wesentlichen von denselben Ansichten durch¬
drungen, den Vorzug hatte, mit frischen Kräften an das Werk zu gehen. Die
Freunde der Geschichte kennen Jacob Burckhardt aus dem Leben Konstantins.
Es zeigt sich in demselben ein so feines Verständniß für das Nervengeflecht
der verschiedenen geistigen Organisationen, der Religion, der Kunst und des
öffentlichen Lebens, wie es nur unsre gleichmäßig durch Philosophie und Ge¬
schichte gesättigte Bildung hervorbringen kann. Dieser Einblick in den Zu¬
sammenhang der geistigen Bewegungen zeigt sich auch in der Bearbeitung der
Kunstgeschichte. Wir finden in derselben auch für die Lectüre jene innere
Continuität, welche das blos artistische Interesse nicht hervorrufen kann.
Außerdem war aber, wie sich für ein Handbuch ziemt, der praktische Gesichts¬
punkt sehr energisch festgehalten. Das Buch war so eingerichtet, daß es als
ein Begleiter aus jeder Kunstreise dienen, daß man sich über jede neue
Erscheinung der Kunst in ihm auf eine leichte und bequeme Weise orientiren
konnte. Wenn man bedenkt, wieviel Freunde die Kunst in Deutschand jetzt
gewonnen hat, wie auf allen Reisen die Bildergalerien einen der Mittelpunkte
der Anziehung bilden, und wie sich in den Städten, die das Glück haben,
eine größere Kunstsammlung zu besitzen, alljährlich ein Kreis von Fremden
zusammendrängt, so darf man es wol eine sonderbare und auffallende Erschei¬
nung nennen, daß dieses Buch nach sieben Jahren noch keine neue Auflage
erlebt hat. Es zeigt doch, daß im größern Publicum das Interesse mehr auf
der Oberfläche schwimmt.

Wenn dies also der äußere ^weck unsrer Bemerkungen war, das Publicum
wieder einmal auf ein Werk aufmerksam zu machen, welches, um den geläufigen
Ausdruck beizubehalten, noch immer einem tiefgefühlten Bedürfniß entspricht,
so haben wir dabei noch einen innern Grund. Wir haben nämlich im vorigen
Heft darauf aufmerksam gemacht, wie durch die Hegelsche Philosophie auf die
Geschichtschreibung und Geschichtforschung ein wesentlicher Einfluß ausgeübt
wurde; wir können den nämlichen Einfluß im Gebiet der Kunstgeschichte ver¬
folgen. Im Lauf des vergangenen Jahres ist von der Vischerschen „Aesthetik"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99150"/>
          <p xml:id="ID_1043" prev="#ID_1042"> freulichfte Weise. Aber auch der allgemeine Standpunkt wurde ein anderer.<lb/>
Je freier der wissenschaftliche Blick, je vielseitiger und unbefangener das Urtheil<lb/>
war, umsoweniger konnte man sich verhehlen, daß die Auffassungsweise jener<lb/>
romantischen Periode uns in zu enge Grenzen eingeschränkt hatte ..... Wir<lb/>
kamen immermehr dazu, dein, was damals als allein giltig gepriesen war,<lb/>
nur ein durch besondere Umstände und Zeitverhältnisse bedingtes Recht, vielem,<lb/>
was man damals verworfen hatte, doch feine eigenthümliche zum Theil sehr be¬<lb/>
deutende Giltigkeit zuzugestehen." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1044"> Es war ein Glück für die zweite Ausgabe, daß der Verfasser für die<lb/>
Bearbeitung derselben einen genauen Freund fand, der, in gleich gründlichen<lb/>
Studien aufgewachsen und im wesentlichen von denselben Ansichten durch¬<lb/>
drungen, den Vorzug hatte, mit frischen Kräften an das Werk zu gehen. Die<lb/>
Freunde der Geschichte kennen Jacob Burckhardt aus dem Leben Konstantins.<lb/>
Es zeigt sich in demselben ein so feines Verständniß für das Nervengeflecht<lb/>
der verschiedenen geistigen Organisationen, der Religion, der Kunst und des<lb/>
öffentlichen Lebens, wie es nur unsre gleichmäßig durch Philosophie und Ge¬<lb/>
schichte gesättigte Bildung hervorbringen kann. Dieser Einblick in den Zu¬<lb/>
sammenhang der geistigen Bewegungen zeigt sich auch in der Bearbeitung der<lb/>
Kunstgeschichte. Wir finden in derselben auch für die Lectüre jene innere<lb/>
Continuität, welche das blos artistische Interesse nicht hervorrufen kann.<lb/>
Außerdem war aber, wie sich für ein Handbuch ziemt, der praktische Gesichts¬<lb/>
punkt sehr energisch festgehalten. Das Buch war so eingerichtet, daß es als<lb/>
ein Begleiter aus jeder Kunstreise dienen, daß man sich über jede neue<lb/>
Erscheinung der Kunst in ihm auf eine leichte und bequeme Weise orientiren<lb/>
konnte. Wenn man bedenkt, wieviel Freunde die Kunst in Deutschand jetzt<lb/>
gewonnen hat, wie auf allen Reisen die Bildergalerien einen der Mittelpunkte<lb/>
der Anziehung bilden, und wie sich in den Städten, die das Glück haben,<lb/>
eine größere Kunstsammlung zu besitzen, alljährlich ein Kreis von Fremden<lb/>
zusammendrängt, so darf man es wol eine sonderbare und auffallende Erschei¬<lb/>
nung nennen, daß dieses Buch nach sieben Jahren noch keine neue Auflage<lb/>
erlebt hat. Es zeigt doch, daß im größern Publicum das Interesse mehr auf<lb/>
der Oberfläche schwimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Wenn dies also der äußere ^weck unsrer Bemerkungen war, das Publicum<lb/>
wieder einmal auf ein Werk aufmerksam zu machen, welches, um den geläufigen<lb/>
Ausdruck beizubehalten, noch immer einem tiefgefühlten Bedürfniß entspricht,<lb/>
so haben wir dabei noch einen innern Grund. Wir haben nämlich im vorigen<lb/>
Heft darauf aufmerksam gemacht, wie durch die Hegelsche Philosophie auf die<lb/>
Geschichtschreibung und Geschichtforschung ein wesentlicher Einfluß ausgeübt<lb/>
wurde; wir können den nämlichen Einfluß im Gebiet der Kunstgeschichte ver¬<lb/>
folgen.  Im Lauf des vergangenen Jahres ist von der Vischerschen &#x201E;Aesthetik"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] freulichfte Weise. Aber auch der allgemeine Standpunkt wurde ein anderer. Je freier der wissenschaftliche Blick, je vielseitiger und unbefangener das Urtheil war, umsoweniger konnte man sich verhehlen, daß die Auffassungsweise jener romantischen Periode uns in zu enge Grenzen eingeschränkt hatte ..... Wir kamen immermehr dazu, dein, was damals als allein giltig gepriesen war, nur ein durch besondere Umstände und Zeitverhältnisse bedingtes Recht, vielem, was man damals verworfen hatte, doch feine eigenthümliche zum Theil sehr be¬ deutende Giltigkeit zuzugestehen." — Es war ein Glück für die zweite Ausgabe, daß der Verfasser für die Bearbeitung derselben einen genauen Freund fand, der, in gleich gründlichen Studien aufgewachsen und im wesentlichen von denselben Ansichten durch¬ drungen, den Vorzug hatte, mit frischen Kräften an das Werk zu gehen. Die Freunde der Geschichte kennen Jacob Burckhardt aus dem Leben Konstantins. Es zeigt sich in demselben ein so feines Verständniß für das Nervengeflecht der verschiedenen geistigen Organisationen, der Religion, der Kunst und des öffentlichen Lebens, wie es nur unsre gleichmäßig durch Philosophie und Ge¬ schichte gesättigte Bildung hervorbringen kann. Dieser Einblick in den Zu¬ sammenhang der geistigen Bewegungen zeigt sich auch in der Bearbeitung der Kunstgeschichte. Wir finden in derselben auch für die Lectüre jene innere Continuität, welche das blos artistische Interesse nicht hervorrufen kann. Außerdem war aber, wie sich für ein Handbuch ziemt, der praktische Gesichts¬ punkt sehr energisch festgehalten. Das Buch war so eingerichtet, daß es als ein Begleiter aus jeder Kunstreise dienen, daß man sich über jede neue Erscheinung der Kunst in ihm auf eine leichte und bequeme Weise orientiren konnte. Wenn man bedenkt, wieviel Freunde die Kunst in Deutschand jetzt gewonnen hat, wie auf allen Reisen die Bildergalerien einen der Mittelpunkte der Anziehung bilden, und wie sich in den Städten, die das Glück haben, eine größere Kunstsammlung zu besitzen, alljährlich ein Kreis von Fremden zusammendrängt, so darf man es wol eine sonderbare und auffallende Erschei¬ nung nennen, daß dieses Buch nach sieben Jahren noch keine neue Auflage erlebt hat. Es zeigt doch, daß im größern Publicum das Interesse mehr auf der Oberfläche schwimmt. Wenn dies also der äußere ^weck unsrer Bemerkungen war, das Publicum wieder einmal auf ein Werk aufmerksam zu machen, welches, um den geläufigen Ausdruck beizubehalten, noch immer einem tiefgefühlten Bedürfniß entspricht, so haben wir dabei noch einen innern Grund. Wir haben nämlich im vorigen Heft darauf aufmerksam gemacht, wie durch die Hegelsche Philosophie auf die Geschichtschreibung und Geschichtforschung ein wesentlicher Einfluß ausgeübt wurde; wir können den nämlichen Einfluß im Gebiet der Kunstgeschichte ver¬ folgen. Im Lauf des vergangenen Jahres ist von der Vischerschen „Aesthetik"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/298>, abgerufen am 29.06.2024.