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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Statuen, Bauten u. s. w. zeichnen sich weniger durch starke und strenge
Hervorhebung der Principien, als durch eine wohlwollende Darstellung aus,
Und wenn dieser Umstand für die Wirksamkeit der Kritik zu der Zeit, da sie
erschien, weniger förderlich war, so ist er uns jetzt um so willkommner, da
vieles von den künstlerischen Werken jener Zeit bereits verschollen ist, und da
wir nun umständlich erfahren, was es für eine Bewandtniß damit hatte. --
Das ganze Werk, welches natürlich nicht zur Lectüre, sondern zum Nach¬
schlagen bestimmt ist, darf der Bibliothek keines Kunstfreundes fehlen. --

Wenn wir diese Gelegenheit benutzen, um auf ein früheres Werk dessel¬
ben Verfassers einzugehen, welches unter allen Sachverständigen so anerkannt
ist, daß es unsres Lobes nicht bedarf, so hat das zum Theil einen äußerlichen
Grund. Das deutsche Publicum hat eine wunderliche Eigenschaft, eS nimmt
wol Notiz von den bedeutenden Erscheinungen der Literatur, aber es fühlt
kein Bedürfniß, sie sich anzueignen. ES wird bei uns grade nicht weniger
gelesen, als in England, aber wenn man den Absatz der wichtigen Werke,
namentlich aus der wissenschaftlichen Literatur, in Vergleich zieht, so ergibt sich
zwischen den beiden Völkern ein für uns recht niederschlagendes Verhältniß.
Als Kuglers "Geschichte der Malerei" im Jahre 1837 zum ersten Mal erschien,
fand sie sogleich eine allgemeine und gerechte Anerkennung; trotzdem dauerte
es zehn Jahre, bevor eine neue Auslage nöthig wurde. Für das Buch selbst
war diese lange Pause ein Gewinn, denn die Studien der Kunstgeschichte hatten
in dieser Zeit sehr bedeutende Fortschritte gemacht, und der principielle Stand¬
punkt, den man der Geschichte gegenüber einnahm, war ein anderer geworben.
"Ohne daß wir es uns deutlich bewußt waren," sagt der Verfasser in der
Vorrede zur zweiten Auflage, "standen wir damals noch am Ausgang der¬
jenigen Periode, welche.....die Herzensergießungen eines kunstliebenden
Klosterbruders eingeleitet hatte.....Poetisches Interesse und'mannig¬
facher in seinen Resultaten' immer beachtenswerther Dilettantismus hatten uns
die reiche Welt der mittelalterlichen Kunstgebilde wieder erschlossen, die Wissen¬
schaft hatte angefangen, für die Geschichte der letzteren feste Anknüpfungspunkte
zu gewinnen.....Die neuen Ansichten und Forschungen vereinigten sich
mit den ältern nicht mehr in wünschenswerther Weise; es war das Bedürfniß
vorhanden, eine Uebersicht zu gewinnen, in welcher auch dem Neuen an ge¬
bührender Stelle sein Recht eingeräumt werde. Mein Handbuch entstand aus
den Blättern, die zunächst zum eignen Studium, sodann als Leitfaden sür
öffentliche Vorlesungen niedergeschrieben waren ..... Das Buch war, ich
da"f es jetzt wol gestehen, nicht ohne etwas verwegene Schnelligkeit ab¬
geschlossen .....Inzwischen wurden die kunsthistorischen Forschungen eifrig
fortgesetzt; in Büchern und einzelnen Aufsätzen bereicherte sich das Material,
namentlich für die dunklem Zeiten der Geschichte der Malerei aus die er-


Greuzboten. I. ->8klü. 37

Statuen, Bauten u. s. w. zeichnen sich weniger durch starke und strenge
Hervorhebung der Principien, als durch eine wohlwollende Darstellung aus,
Und wenn dieser Umstand für die Wirksamkeit der Kritik zu der Zeit, da sie
erschien, weniger förderlich war, so ist er uns jetzt um so willkommner, da
vieles von den künstlerischen Werken jener Zeit bereits verschollen ist, und da
wir nun umständlich erfahren, was es für eine Bewandtniß damit hatte. —
Das ganze Werk, welches natürlich nicht zur Lectüre, sondern zum Nach¬
schlagen bestimmt ist, darf der Bibliothek keines Kunstfreundes fehlen. —

Wenn wir diese Gelegenheit benutzen, um auf ein früheres Werk dessel¬
ben Verfassers einzugehen, welches unter allen Sachverständigen so anerkannt
ist, daß es unsres Lobes nicht bedarf, so hat das zum Theil einen äußerlichen
Grund. Das deutsche Publicum hat eine wunderliche Eigenschaft, eS nimmt
wol Notiz von den bedeutenden Erscheinungen der Literatur, aber es fühlt
kein Bedürfniß, sie sich anzueignen. ES wird bei uns grade nicht weniger
gelesen, als in England, aber wenn man den Absatz der wichtigen Werke,
namentlich aus der wissenschaftlichen Literatur, in Vergleich zieht, so ergibt sich
zwischen den beiden Völkern ein für uns recht niederschlagendes Verhältniß.
Als Kuglers „Geschichte der Malerei" im Jahre 1837 zum ersten Mal erschien,
fand sie sogleich eine allgemeine und gerechte Anerkennung; trotzdem dauerte
es zehn Jahre, bevor eine neue Auslage nöthig wurde. Für das Buch selbst
war diese lange Pause ein Gewinn, denn die Studien der Kunstgeschichte hatten
in dieser Zeit sehr bedeutende Fortschritte gemacht, und der principielle Stand¬
punkt, den man der Geschichte gegenüber einnahm, war ein anderer geworben.
„Ohne daß wir es uns deutlich bewußt waren," sagt der Verfasser in der
Vorrede zur zweiten Auflage, „standen wir damals noch am Ausgang der¬
jenigen Periode, welche.....die Herzensergießungen eines kunstliebenden
Klosterbruders eingeleitet hatte.....Poetisches Interesse und'mannig¬
facher in seinen Resultaten' immer beachtenswerther Dilettantismus hatten uns
die reiche Welt der mittelalterlichen Kunstgebilde wieder erschlossen, die Wissen¬
schaft hatte angefangen, für die Geschichte der letzteren feste Anknüpfungspunkte
zu gewinnen.....Die neuen Ansichten und Forschungen vereinigten sich
mit den ältern nicht mehr in wünschenswerther Weise; es war das Bedürfniß
vorhanden, eine Uebersicht zu gewinnen, in welcher auch dem Neuen an ge¬
bührender Stelle sein Recht eingeräumt werde. Mein Handbuch entstand aus
den Blättern, die zunächst zum eignen Studium, sodann als Leitfaden sür
öffentliche Vorlesungen niedergeschrieben waren ..... Das Buch war, ich
da»f es jetzt wol gestehen, nicht ohne etwas verwegene Schnelligkeit ab¬
geschlossen .....Inzwischen wurden die kunsthistorischen Forschungen eifrig
fortgesetzt; in Büchern und einzelnen Aufsätzen bereicherte sich das Material,
namentlich für die dunklem Zeiten der Geschichte der Malerei aus die er-


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[0297] Statuen, Bauten u. s. w. zeichnen sich weniger durch starke und strenge Hervorhebung der Principien, als durch eine wohlwollende Darstellung aus, Und wenn dieser Umstand für die Wirksamkeit der Kritik zu der Zeit, da sie erschien, weniger förderlich war, so ist er uns jetzt um so willkommner, da vieles von den künstlerischen Werken jener Zeit bereits verschollen ist, und da wir nun umständlich erfahren, was es für eine Bewandtniß damit hatte. — Das ganze Werk, welches natürlich nicht zur Lectüre, sondern zum Nach¬ schlagen bestimmt ist, darf der Bibliothek keines Kunstfreundes fehlen. — Wenn wir diese Gelegenheit benutzen, um auf ein früheres Werk dessel¬ ben Verfassers einzugehen, welches unter allen Sachverständigen so anerkannt ist, daß es unsres Lobes nicht bedarf, so hat das zum Theil einen äußerlichen Grund. Das deutsche Publicum hat eine wunderliche Eigenschaft, eS nimmt wol Notiz von den bedeutenden Erscheinungen der Literatur, aber es fühlt kein Bedürfniß, sie sich anzueignen. ES wird bei uns grade nicht weniger gelesen, als in England, aber wenn man den Absatz der wichtigen Werke, namentlich aus der wissenschaftlichen Literatur, in Vergleich zieht, so ergibt sich zwischen den beiden Völkern ein für uns recht niederschlagendes Verhältniß. Als Kuglers „Geschichte der Malerei" im Jahre 1837 zum ersten Mal erschien, fand sie sogleich eine allgemeine und gerechte Anerkennung; trotzdem dauerte es zehn Jahre, bevor eine neue Auslage nöthig wurde. Für das Buch selbst war diese lange Pause ein Gewinn, denn die Studien der Kunstgeschichte hatten in dieser Zeit sehr bedeutende Fortschritte gemacht, und der principielle Stand¬ punkt, den man der Geschichte gegenüber einnahm, war ein anderer geworben. „Ohne daß wir es uns deutlich bewußt waren," sagt der Verfasser in der Vorrede zur zweiten Auflage, „standen wir damals noch am Ausgang der¬ jenigen Periode, welche.....die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders eingeleitet hatte.....Poetisches Interesse und'mannig¬ facher in seinen Resultaten' immer beachtenswerther Dilettantismus hatten uns die reiche Welt der mittelalterlichen Kunstgebilde wieder erschlossen, die Wissen¬ schaft hatte angefangen, für die Geschichte der letzteren feste Anknüpfungspunkte zu gewinnen.....Die neuen Ansichten und Forschungen vereinigten sich mit den ältern nicht mehr in wünschenswerther Weise; es war das Bedürfniß vorhanden, eine Uebersicht zu gewinnen, in welcher auch dem Neuen an ge¬ bührender Stelle sein Recht eingeräumt werde. Mein Handbuch entstand aus den Blättern, die zunächst zum eignen Studium, sodann als Leitfaden sür öffentliche Vorlesungen niedergeschrieben waren ..... Das Buch war, ich da»f es jetzt wol gestehen, nicht ohne etwas verwegene Schnelligkeit ab¬ geschlossen .....Inzwischen wurden die kunsthistorischen Forschungen eifrig fortgesetzt; in Büchern und einzelnen Aufsätzen bereicherte sich das Material, namentlich für die dunklem Zeiten der Geschichte der Malerei aus die er- Greuzboten. I. ->8klü. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/297>, abgerufen am 29.06.2024.