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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Auffallend war es mir, in der Nähe der Dörfer auf dieser Reisestrecke
häufig eingefriedigte Baumgärten, offenbar für die Obstzucht, zu finden. Die
Trefflichkeit der Aepfel dieser Gegend kannte ich aus eigner Erfahrung von
Kratovo her; die Birnen aber sollen sie noch übertreffen. Dabei erscheint es
wahrscheinlich, daß man das Veredeln der Bäume durch Pfropfen gar nicht
kennt oder mindestens doch nicht betreibt. Man sagte mir, hier sei auch d.le
Heimat der sonst so berühmten türkischen Pflaumen. Im Handel bezieht
man dieselben von Salonik her.

Am Nachmittag trafen wir aus einen leidlich guten Han, der hart links
.an unsrem Wege lag. Die Nachricht, es gebe Milch, Honig, Eier, selbst
Fleisch, war für uns dermaßen verlockend, daß wir uns entschieden, hier min-
. bestens eine Stunde zu verweilen. Der Himmel war heiter und die Spät-
octobersonne strahlte noch ziemlich kräftig. Unter einer Gruppe grüner, dicht¬
belaubter Bäume breitete man uns eine Anzahl Matten aus, und bald hatten
wir uns unsrer großen Reitstiefeln entledigt,' um nach Landesbrauch uns am
Boden niederzulassen.

Alle meine Erfahrungen stimmen darin überein, daß man in diesen Ge¬
genden außerordentlich genügsam ist, daß man nicht nur der Quantität, son¬
dern auch den Gattungen nach weit weniger als etwa in Deutschland produ-
cirt und daß Wohlstand, nach unsren Begriffen, hier ausnahmelos fehlt, näm¬
lich jener behagliche Zustand, der eine Rückwirkung erst des Besitzes ist und
welchem der englische Begriff Comfort in mancher Hinsicht entspricht. 'Wenn
in diesen Gegenden jemand reich genannt wird, so geschieht es, weil man von
ihm weiß, daß er tausend Stück Dukaten "in seinem Leibgurt trägt. Man
scheint noch nicht soweit gediehen zu sein, um nur den Gedanken des Pro-
ductivmachens eines Vermögens durch Ausleihen auf Zins oder durch sonstige
Anlegung zu fassen. In den Handelsstädten ist das freilich schon ganz anders.
Aber mehr ist es doch auch da das Dasein einer für den Geldverkehr besonders
inclinirenden Race, der Juden oder Gaudi, wie man sie hier nennt, was die¬
sen Unterschied hervorbringt, als daß die Bevölkerung selbst sich auf einer
höhern Stufe der Einsicht, befände. Das nun aber ist das charakteristische
Merkmal der Griechen und wodurch sie sich von den hier in Rede stehenden
Stämmen (Bulgaren, Albanesen, Arnauten) unterscheiden, daß sie der Zwischen-
kunft der Juden nicht bedürfen, sondern im Gegentheil für alles das Güter¬
leben Angehende eine scharfe Auffassungsgabe und einen vielseitigen Spccu-
lationssinn besitzen. Die Juden sind also gleichsam eine Nothwendigkeit für
die Landstriche, in denen das griechische Volkselement nicht Hauptelement ist.
Sie sind die nothwendige Ergänzung zur dortigen Bevölkerung, welcher ohne
ihre Vermittlung mehr noch fehlen würde, als man gemeiniglich vermu¬
then mag.


Auffallend war es mir, in der Nähe der Dörfer auf dieser Reisestrecke
häufig eingefriedigte Baumgärten, offenbar für die Obstzucht, zu finden. Die
Trefflichkeit der Aepfel dieser Gegend kannte ich aus eigner Erfahrung von
Kratovo her; die Birnen aber sollen sie noch übertreffen. Dabei erscheint es
wahrscheinlich, daß man das Veredeln der Bäume durch Pfropfen gar nicht
kennt oder mindestens doch nicht betreibt. Man sagte mir, hier sei auch d.le
Heimat der sonst so berühmten türkischen Pflaumen. Im Handel bezieht
man dieselben von Salonik her.

Am Nachmittag trafen wir aus einen leidlich guten Han, der hart links
.an unsrem Wege lag. Die Nachricht, es gebe Milch, Honig, Eier, selbst
Fleisch, war für uns dermaßen verlockend, daß wir uns entschieden, hier min-
. bestens eine Stunde zu verweilen. Der Himmel war heiter und die Spät-
octobersonne strahlte noch ziemlich kräftig. Unter einer Gruppe grüner, dicht¬
belaubter Bäume breitete man uns eine Anzahl Matten aus, und bald hatten
wir uns unsrer großen Reitstiefeln entledigt,' um nach Landesbrauch uns am
Boden niederzulassen.

Alle meine Erfahrungen stimmen darin überein, daß man in diesen Ge¬
genden außerordentlich genügsam ist, daß man nicht nur der Quantität, son¬
dern auch den Gattungen nach weit weniger als etwa in Deutschland produ-
cirt und daß Wohlstand, nach unsren Begriffen, hier ausnahmelos fehlt, näm¬
lich jener behagliche Zustand, der eine Rückwirkung erst des Besitzes ist und
welchem der englische Begriff Comfort in mancher Hinsicht entspricht. 'Wenn
in diesen Gegenden jemand reich genannt wird, so geschieht es, weil man von
ihm weiß, daß er tausend Stück Dukaten "in seinem Leibgurt trägt. Man
scheint noch nicht soweit gediehen zu sein, um nur den Gedanken des Pro-
ductivmachens eines Vermögens durch Ausleihen auf Zins oder durch sonstige
Anlegung zu fassen. In den Handelsstädten ist das freilich schon ganz anders.
Aber mehr ist es doch auch da das Dasein einer für den Geldverkehr besonders
inclinirenden Race, der Juden oder Gaudi, wie man sie hier nennt, was die¬
sen Unterschied hervorbringt, als daß die Bevölkerung selbst sich auf einer
höhern Stufe der Einsicht, befände. Das nun aber ist das charakteristische
Merkmal der Griechen und wodurch sie sich von den hier in Rede stehenden
Stämmen (Bulgaren, Albanesen, Arnauten) unterscheiden, daß sie der Zwischen-
kunft der Juden nicht bedürfen, sondern im Gegentheil für alles das Güter¬
leben Angehende eine scharfe Auffassungsgabe und einen vielseitigen Spccu-
lationssinn besitzen. Die Juden sind also gleichsam eine Nothwendigkeit für
die Landstriche, in denen das griechische Volkselement nicht Hauptelement ist.
Sie sind die nothwendige Ergänzung zur dortigen Bevölkerung, welcher ohne
ihre Vermittlung mehr noch fehlen würde, als man gemeiniglich vermu¬
then mag.


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[0277] Auffallend war es mir, in der Nähe der Dörfer auf dieser Reisestrecke häufig eingefriedigte Baumgärten, offenbar für die Obstzucht, zu finden. Die Trefflichkeit der Aepfel dieser Gegend kannte ich aus eigner Erfahrung von Kratovo her; die Birnen aber sollen sie noch übertreffen. Dabei erscheint es wahrscheinlich, daß man das Veredeln der Bäume durch Pfropfen gar nicht kennt oder mindestens doch nicht betreibt. Man sagte mir, hier sei auch d.le Heimat der sonst so berühmten türkischen Pflaumen. Im Handel bezieht man dieselben von Salonik her. Am Nachmittag trafen wir aus einen leidlich guten Han, der hart links .an unsrem Wege lag. Die Nachricht, es gebe Milch, Honig, Eier, selbst Fleisch, war für uns dermaßen verlockend, daß wir uns entschieden, hier min- . bestens eine Stunde zu verweilen. Der Himmel war heiter und die Spät- octobersonne strahlte noch ziemlich kräftig. Unter einer Gruppe grüner, dicht¬ belaubter Bäume breitete man uns eine Anzahl Matten aus, und bald hatten wir uns unsrer großen Reitstiefeln entledigt,' um nach Landesbrauch uns am Boden niederzulassen. Alle meine Erfahrungen stimmen darin überein, daß man in diesen Ge¬ genden außerordentlich genügsam ist, daß man nicht nur der Quantität, son¬ dern auch den Gattungen nach weit weniger als etwa in Deutschland produ- cirt und daß Wohlstand, nach unsren Begriffen, hier ausnahmelos fehlt, näm¬ lich jener behagliche Zustand, der eine Rückwirkung erst des Besitzes ist und welchem der englische Begriff Comfort in mancher Hinsicht entspricht. 'Wenn in diesen Gegenden jemand reich genannt wird, so geschieht es, weil man von ihm weiß, daß er tausend Stück Dukaten "in seinem Leibgurt trägt. Man scheint noch nicht soweit gediehen zu sein, um nur den Gedanken des Pro- ductivmachens eines Vermögens durch Ausleihen auf Zins oder durch sonstige Anlegung zu fassen. In den Handelsstädten ist das freilich schon ganz anders. Aber mehr ist es doch auch da das Dasein einer für den Geldverkehr besonders inclinirenden Race, der Juden oder Gaudi, wie man sie hier nennt, was die¬ sen Unterschied hervorbringt, als daß die Bevölkerung selbst sich auf einer höhern Stufe der Einsicht, befände. Das nun aber ist das charakteristische Merkmal der Griechen und wodurch sie sich von den hier in Rede stehenden Stämmen (Bulgaren, Albanesen, Arnauten) unterscheiden, daß sie der Zwischen- kunft der Juden nicht bedürfen, sondern im Gegentheil für alles das Güter¬ leben Angehende eine scharfe Auffassungsgabe und einen vielseitigen Spccu- lationssinn besitzen. Die Juden sind also gleichsam eine Nothwendigkeit für die Landstriche, in denen das griechische Volkselement nicht Hauptelement ist. Sie sind die nothwendige Ergänzung zur dortigen Bevölkerung, welcher ohne ihre Vermittlung mehr noch fehlen würde, als man gemeiniglich vermu¬ then mag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/277>, abgerufen am 29.06.2024.