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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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von einem militärisch organisirten LandgensdarmeriecvrpS, den sogenannten
Saptivs, ausgeübt. Dieselben haben den dreifachen Sold des türkischen ge¬
meinen Soldaten, sind beritten, werden von Unteroffizieren, Lieutenants und
Hauptleuten, in höchster Instanz aber von den Gouverneuren der Provinzen
befehligt, und sind in den Gegenden, welche ich durchreiste, ausnahmelos aus
dem Stamme der Arnauten und Albanesen entnommen. Von drei zu drei
Stunden trifft man auf den frequentesten Straßen einen Karakoll oder ein
Wachthaus, welches meist so gelegen ist, daß es die Gegend weit umher
beobachten kann.

Wir ritten früh von Palanga ab, als noch die Morgennebel im Thale
lagen und die Dämmerung, mit ihnen vereint, einen engen Gesichtskreis um
uns zog. Der Wind kam gleichwie von der Höhe des von unsrem Pfade
linkswärts streichenden Gebirges und schnitt eisig durch Mark und Bein. Mehr
und mehr ward es uns fühlbar, daß wir uns auf der Grenzscheide einer an¬
dern klimatischen Zone und merklich hoch über dem Meere befänden. Bis
hierhin etwa oder doch wenig nur darüber hinaus reichte das alte macedoni-
sche Reich. Soweit scheint auch nur der blaue Himmel zu reichen, der den
Gegenden, durch welche wir jüngst hingezogen waren, eigenthümlich ist. In
dieser Hinsicht kann man sagen, daß das Griechenthum im Gegensatz zum
Römerthum sich wie eine in eine bestimmte enge Zone hingewiesene Pflanze
zur andern, innerhalb weiterer Erdgürtel gedeihenden verhält. Die Griechen,
wenn sie das geistig bindende Element gewesen sind, welches naturgemäß sich
zuvor über die antike Welt ausbreiten mußte, ehe Rom erscheinen durfte, um
politisch alles zu einigen, haben dennoch in dieser Weise nur den festen in¬
nern Kern, die homogene, wenig ausgedehnte Mitte zu formiren vermocht.
Universal im räumlichen Sinne waren sie weniger als manche andere Völker
der alten Welt. Wir sahen gleichsam wie an den Berggipfeln hängend düster
gefärbte Wolken, die aus einer andern klimatischen Region über den Gebirgs-
kamm hinüberschausen.

Nahe am Wege sahen wir ein aus einer Anzahl Hütten bestehendes
Zigeunerlager aufgeschlagen. Dieses wunderbare Wandervolk findet sich in
keinem Reiche so zahlreich vor, wie'im türkischen. Die Hütten oder Baracken
waren unendlich elend; man kochte soeben zu Mittag und der inwendig ver¬
breitete Rauch hatte die Bewohner hinausgetrieben. Sie saßen den Tschibuck
rauchend vor den Thüren. Weiber, mit Kindern beschäftigt, hockten zu den
Füßen der Männer. Wie ich hörte ist bei den Türken nicht minder wie bei
uns die Sage verbreitet, daß die Zigeuner im Besitze böser Zauberkünste seien.
Ihre Erwerbsquellen sind der Bettel, Tanzen, Musiciren, endlich Diebstahl.
Sich wahrsagen zu lassen scheint gegen die religiösen Vorschriften der Türken
zu sein.


von einem militärisch organisirten LandgensdarmeriecvrpS, den sogenannten
Saptivs, ausgeübt. Dieselben haben den dreifachen Sold des türkischen ge¬
meinen Soldaten, sind beritten, werden von Unteroffizieren, Lieutenants und
Hauptleuten, in höchster Instanz aber von den Gouverneuren der Provinzen
befehligt, und sind in den Gegenden, welche ich durchreiste, ausnahmelos aus
dem Stamme der Arnauten und Albanesen entnommen. Von drei zu drei
Stunden trifft man auf den frequentesten Straßen einen Karakoll oder ein
Wachthaus, welches meist so gelegen ist, daß es die Gegend weit umher
beobachten kann.

Wir ritten früh von Palanga ab, als noch die Morgennebel im Thale
lagen und die Dämmerung, mit ihnen vereint, einen engen Gesichtskreis um
uns zog. Der Wind kam gleichwie von der Höhe des von unsrem Pfade
linkswärts streichenden Gebirges und schnitt eisig durch Mark und Bein. Mehr
und mehr ward es uns fühlbar, daß wir uns auf der Grenzscheide einer an¬
dern klimatischen Zone und merklich hoch über dem Meere befänden. Bis
hierhin etwa oder doch wenig nur darüber hinaus reichte das alte macedoni-
sche Reich. Soweit scheint auch nur der blaue Himmel zu reichen, der den
Gegenden, durch welche wir jüngst hingezogen waren, eigenthümlich ist. In
dieser Hinsicht kann man sagen, daß das Griechenthum im Gegensatz zum
Römerthum sich wie eine in eine bestimmte enge Zone hingewiesene Pflanze
zur andern, innerhalb weiterer Erdgürtel gedeihenden verhält. Die Griechen,
wenn sie das geistig bindende Element gewesen sind, welches naturgemäß sich
zuvor über die antike Welt ausbreiten mußte, ehe Rom erscheinen durfte, um
politisch alles zu einigen, haben dennoch in dieser Weise nur den festen in¬
nern Kern, die homogene, wenig ausgedehnte Mitte zu formiren vermocht.
Universal im räumlichen Sinne waren sie weniger als manche andere Völker
der alten Welt. Wir sahen gleichsam wie an den Berggipfeln hängend düster
gefärbte Wolken, die aus einer andern klimatischen Region über den Gebirgs-
kamm hinüberschausen.

Nahe am Wege sahen wir ein aus einer Anzahl Hütten bestehendes
Zigeunerlager aufgeschlagen. Dieses wunderbare Wandervolk findet sich in
keinem Reiche so zahlreich vor, wie'im türkischen. Die Hütten oder Baracken
waren unendlich elend; man kochte soeben zu Mittag und der inwendig ver¬
breitete Rauch hatte die Bewohner hinausgetrieben. Sie saßen den Tschibuck
rauchend vor den Thüren. Weiber, mit Kindern beschäftigt, hockten zu den
Füßen der Männer. Wie ich hörte ist bei den Türken nicht minder wie bei
uns die Sage verbreitet, daß die Zigeuner im Besitze böser Zauberkünste seien.
Ihre Erwerbsquellen sind der Bettel, Tanzen, Musiciren, endlich Diebstahl.
Sich wahrsagen zu lassen scheint gegen die religiösen Vorschriften der Türken
zu sein.


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[0276] von einem militärisch organisirten LandgensdarmeriecvrpS, den sogenannten Saptivs, ausgeübt. Dieselben haben den dreifachen Sold des türkischen ge¬ meinen Soldaten, sind beritten, werden von Unteroffizieren, Lieutenants und Hauptleuten, in höchster Instanz aber von den Gouverneuren der Provinzen befehligt, und sind in den Gegenden, welche ich durchreiste, ausnahmelos aus dem Stamme der Arnauten und Albanesen entnommen. Von drei zu drei Stunden trifft man auf den frequentesten Straßen einen Karakoll oder ein Wachthaus, welches meist so gelegen ist, daß es die Gegend weit umher beobachten kann. Wir ritten früh von Palanga ab, als noch die Morgennebel im Thale lagen und die Dämmerung, mit ihnen vereint, einen engen Gesichtskreis um uns zog. Der Wind kam gleichwie von der Höhe des von unsrem Pfade linkswärts streichenden Gebirges und schnitt eisig durch Mark und Bein. Mehr und mehr ward es uns fühlbar, daß wir uns auf der Grenzscheide einer an¬ dern klimatischen Zone und merklich hoch über dem Meere befänden. Bis hierhin etwa oder doch wenig nur darüber hinaus reichte das alte macedoni- sche Reich. Soweit scheint auch nur der blaue Himmel zu reichen, der den Gegenden, durch welche wir jüngst hingezogen waren, eigenthümlich ist. In dieser Hinsicht kann man sagen, daß das Griechenthum im Gegensatz zum Römerthum sich wie eine in eine bestimmte enge Zone hingewiesene Pflanze zur andern, innerhalb weiterer Erdgürtel gedeihenden verhält. Die Griechen, wenn sie das geistig bindende Element gewesen sind, welches naturgemäß sich zuvor über die antike Welt ausbreiten mußte, ehe Rom erscheinen durfte, um politisch alles zu einigen, haben dennoch in dieser Weise nur den festen in¬ nern Kern, die homogene, wenig ausgedehnte Mitte zu formiren vermocht. Universal im räumlichen Sinne waren sie weniger als manche andere Völker der alten Welt. Wir sahen gleichsam wie an den Berggipfeln hängend düster gefärbte Wolken, die aus einer andern klimatischen Region über den Gebirgs- kamm hinüberschausen. Nahe am Wege sahen wir ein aus einer Anzahl Hütten bestehendes Zigeunerlager aufgeschlagen. Dieses wunderbare Wandervolk findet sich in keinem Reiche so zahlreich vor, wie'im türkischen. Die Hütten oder Baracken waren unendlich elend; man kochte soeben zu Mittag und der inwendig ver¬ breitete Rauch hatte die Bewohner hinausgetrieben. Sie saßen den Tschibuck rauchend vor den Thüren. Weiber, mit Kindern beschäftigt, hockten zu den Füßen der Männer. Wie ich hörte ist bei den Türken nicht minder wie bei uns die Sage verbreitet, daß die Zigeuner im Besitze böser Zauberkünste seien. Ihre Erwerbsquellen sind der Bettel, Tanzen, Musiciren, endlich Diebstahl. Sich wahrsagen zu lassen scheint gegen die religiösen Vorschriften der Türken zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/276>, abgerufen am 29.06.2024.