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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Schlosse in Berry und die Personen ihrer ländlichen Umgebung drängen sich
ihrer dichterischen Gestaltung von selbst auf. Die Nebenpersonen in allen
ihren Dorsromanen sind nach der Natur gezeichnete Typen, an denen alles,
selbst der Name, beibehalten ist. Denis im Champi hat es sogar sehr übel
genommen, daß man ihn zur Unsterblichkeit gebracht und er hat sich arg dar?
über beschwert. Andere Bauern sind stolz darauf, eine Rolle in den Büchern
ihrer guten Freundin zu spielen und Bernnt, der Gastwirth vom rothen Ochsen
in La Ch-Arc, wollte es sich wol hundert Thaler kosten lassen, wenn man ihm
die Ehre erwiese, in einem Roman seiner zu gedenken. Georges Sand, der
dieser ehrgeizige Wunsch zu Ohren gekommen, erfüllte ihn, indem sie Herrn
Benoit eine kleine Rolle in ihren Nallreg sonnsars anwies.

Wie geliebt Madame Sand von den Bewohnern ihrer Provinz ist, da¬
von kann sich nur der einen Begriff machen, der weiß, in welchem Maße
die berühmte Frau der Schutzengel der leidenden Classen ist. Sie hört von
keinem unverdienten Unglück in ihrer geliebten Provinz, ohne helfend einzu¬
schreiten. Ihr Einfluß hatte zahlreiche Opfer des zweiten December der Frei¬
heit wiedergegeben, ihre Einkünfte werden zum großen Theil durch Wohlthätig-
keitsspendcn an arme Familien in ihrer Umgebung aufgezehrt. Sie schickt
ihre Gaben meist ohne wissen zu lassen, von wem sie kommen, aber sie kann
niemand täuschen und sie hat jedes Mal die Dankesergießungen der von ihr
bedachten Familien zurückzuweisen. Mehr noch als durch ihre reiche Mild¬
thätigkeit erwirbt sie sich Freunde durch ihren persönlichen Rath, durch ihre
werkihätige Hilfe in Zeiten der Noth. Im Jahre 1849, so erzählte mir ein
intimer Freund von Sand, ein Hausgenosse des Schlosses von Nohaut, opferte
Madame Sand einen vollen Monat der Pflege der Cholerakranken. Sie that
den kranken Frauen Dienstleistungen, vor welchen nur die nächsten Verwandten
nicht zurückschrecken, während der genannte'Freund dieselbe Aufgabe bei den
Männern hatte. Sie hat viele Hunderte vou Cholerakranken gepflegt -- Hun¬
derte gerettet und Hunderte sterbend in ihren Armen aufgefangen. Sie ver¬
steht den Socialismus als Fortsetzung deö Evangeliums und so übt sie ihn
auch. Der Unglückliche weiß sie auch zu finden und wer trostbedürftig ist, der
wendet den Schritt nach dem Schlosse von Nohaut. Einer ihrer Biographen,
den man nicht vorwerfen kann, seine Heldin zu schön zu schildern, erzählt
folgenden Zug von ihr.

"Eines Tages kam ein altes Weib mit einer Art Aussatz behaftet, ihre
Hilfe in Anspruch zu nehmen. ""Sehen Sie meine gute Dame,"" sagte die
Alte, ""ich habe keinen Abscheu (Scheu) vor Ihnen, betrachten Sie den Zu¬
stand, in dem ich mich befinde."" Madame Sand ließ die Kranke in ihre
Stube treten, verband selbst den wunden Leib der Alten und pflegte sie, bis
sie vollends geheilt war."


Schlosse in Berry und die Personen ihrer ländlichen Umgebung drängen sich
ihrer dichterischen Gestaltung von selbst auf. Die Nebenpersonen in allen
ihren Dorsromanen sind nach der Natur gezeichnete Typen, an denen alles,
selbst der Name, beibehalten ist. Denis im Champi hat es sogar sehr übel
genommen, daß man ihn zur Unsterblichkeit gebracht und er hat sich arg dar?
über beschwert. Andere Bauern sind stolz darauf, eine Rolle in den Büchern
ihrer guten Freundin zu spielen und Bernnt, der Gastwirth vom rothen Ochsen
in La Ch-Arc, wollte es sich wol hundert Thaler kosten lassen, wenn man ihm
die Ehre erwiese, in einem Roman seiner zu gedenken. Georges Sand, der
dieser ehrgeizige Wunsch zu Ohren gekommen, erfüllte ihn, indem sie Herrn
Benoit eine kleine Rolle in ihren Nallreg sonnsars anwies.

Wie geliebt Madame Sand von den Bewohnern ihrer Provinz ist, da¬
von kann sich nur der einen Begriff machen, der weiß, in welchem Maße
die berühmte Frau der Schutzengel der leidenden Classen ist. Sie hört von
keinem unverdienten Unglück in ihrer geliebten Provinz, ohne helfend einzu¬
schreiten. Ihr Einfluß hatte zahlreiche Opfer des zweiten December der Frei¬
heit wiedergegeben, ihre Einkünfte werden zum großen Theil durch Wohlthätig-
keitsspendcn an arme Familien in ihrer Umgebung aufgezehrt. Sie schickt
ihre Gaben meist ohne wissen zu lassen, von wem sie kommen, aber sie kann
niemand täuschen und sie hat jedes Mal die Dankesergießungen der von ihr
bedachten Familien zurückzuweisen. Mehr noch als durch ihre reiche Mild¬
thätigkeit erwirbt sie sich Freunde durch ihren persönlichen Rath, durch ihre
werkihätige Hilfe in Zeiten der Noth. Im Jahre 1849, so erzählte mir ein
intimer Freund von Sand, ein Hausgenosse des Schlosses von Nohaut, opferte
Madame Sand einen vollen Monat der Pflege der Cholerakranken. Sie that
den kranken Frauen Dienstleistungen, vor welchen nur die nächsten Verwandten
nicht zurückschrecken, während der genannte'Freund dieselbe Aufgabe bei den
Männern hatte. Sie hat viele Hunderte vou Cholerakranken gepflegt — Hun¬
derte gerettet und Hunderte sterbend in ihren Armen aufgefangen. Sie ver¬
steht den Socialismus als Fortsetzung deö Evangeliums und so übt sie ihn
auch. Der Unglückliche weiß sie auch zu finden und wer trostbedürftig ist, der
wendet den Schritt nach dem Schlosse von Nohaut. Einer ihrer Biographen,
den man nicht vorwerfen kann, seine Heldin zu schön zu schildern, erzählt
folgenden Zug von ihr.

„Eines Tages kam ein altes Weib mit einer Art Aussatz behaftet, ihre
Hilfe in Anspruch zu nehmen. „„Sehen Sie meine gute Dame,"" sagte die
Alte, „„ich habe keinen Abscheu (Scheu) vor Ihnen, betrachten Sie den Zu¬
stand, in dem ich mich befinde."" Madame Sand ließ die Kranke in ihre
Stube treten, verband selbst den wunden Leib der Alten und pflegte sie, bis
sie vollends geheilt war."


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[0266] Schlosse in Berry und die Personen ihrer ländlichen Umgebung drängen sich ihrer dichterischen Gestaltung von selbst auf. Die Nebenpersonen in allen ihren Dorsromanen sind nach der Natur gezeichnete Typen, an denen alles, selbst der Name, beibehalten ist. Denis im Champi hat es sogar sehr übel genommen, daß man ihn zur Unsterblichkeit gebracht und er hat sich arg dar? über beschwert. Andere Bauern sind stolz darauf, eine Rolle in den Büchern ihrer guten Freundin zu spielen und Bernnt, der Gastwirth vom rothen Ochsen in La Ch-Arc, wollte es sich wol hundert Thaler kosten lassen, wenn man ihm die Ehre erwiese, in einem Roman seiner zu gedenken. Georges Sand, der dieser ehrgeizige Wunsch zu Ohren gekommen, erfüllte ihn, indem sie Herrn Benoit eine kleine Rolle in ihren Nallreg sonnsars anwies. Wie geliebt Madame Sand von den Bewohnern ihrer Provinz ist, da¬ von kann sich nur der einen Begriff machen, der weiß, in welchem Maße die berühmte Frau der Schutzengel der leidenden Classen ist. Sie hört von keinem unverdienten Unglück in ihrer geliebten Provinz, ohne helfend einzu¬ schreiten. Ihr Einfluß hatte zahlreiche Opfer des zweiten December der Frei¬ heit wiedergegeben, ihre Einkünfte werden zum großen Theil durch Wohlthätig- keitsspendcn an arme Familien in ihrer Umgebung aufgezehrt. Sie schickt ihre Gaben meist ohne wissen zu lassen, von wem sie kommen, aber sie kann niemand täuschen und sie hat jedes Mal die Dankesergießungen der von ihr bedachten Familien zurückzuweisen. Mehr noch als durch ihre reiche Mild¬ thätigkeit erwirbt sie sich Freunde durch ihren persönlichen Rath, durch ihre werkihätige Hilfe in Zeiten der Noth. Im Jahre 1849, so erzählte mir ein intimer Freund von Sand, ein Hausgenosse des Schlosses von Nohaut, opferte Madame Sand einen vollen Monat der Pflege der Cholerakranken. Sie that den kranken Frauen Dienstleistungen, vor welchen nur die nächsten Verwandten nicht zurückschrecken, während der genannte'Freund dieselbe Aufgabe bei den Männern hatte. Sie hat viele Hunderte vou Cholerakranken gepflegt — Hun¬ derte gerettet und Hunderte sterbend in ihren Armen aufgefangen. Sie ver¬ steht den Socialismus als Fortsetzung deö Evangeliums und so übt sie ihn auch. Der Unglückliche weiß sie auch zu finden und wer trostbedürftig ist, der wendet den Schritt nach dem Schlosse von Nohaut. Einer ihrer Biographen, den man nicht vorwerfen kann, seine Heldin zu schön zu schildern, erzählt folgenden Zug von ihr. „Eines Tages kam ein altes Weib mit einer Art Aussatz behaftet, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. „„Sehen Sie meine gute Dame,"" sagte die Alte, „„ich habe keinen Abscheu (Scheu) vor Ihnen, betrachten Sie den Zu¬ stand, in dem ich mich befinde."" Madame Sand ließ die Kranke in ihre Stube treten, verband selbst den wunden Leib der Alten und pflegte sie, bis sie vollends geheilt war."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/266>, abgerufen am 28.09.2024.