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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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des Kaisers, innerlich und äußerlich ist aller Bestand zerstört und ein Tod
. der Endlichkeit eingetreten, indem die Fortuna des einen Reiches selbst auch
unterliegt. Die Buße der Welt, das Abthun der Endlichkeit und die im Geiste
der Welt überhandnehmende Verzweiflung, in der Zeitlichkeit und Endlichkeit
Befriedigung zu finden, -- das alles diente zur Bereitung des Bodens für
die wahrhafte, geistige Religion, einer Bereitung, die von Seiten der Menschen
vollbracht werden mußte, damit "die Zeit erfüllt werde".

Indem nun Hegel dieses große und epochemachende Princip mit eiserner
Consequenz in die Construction der Weltgeschichte einführte, mußte ihm be¬
gegnen, was bei der philosophischen Auffassung der Geschichte überhaupt schwer
zu vermelden sein wird, daß er von der endlichen Erscheinung nur diejenigen
Seiten hervorkehrte, die seinem Gedankengang entsprachen. Daraus ist bei
seiner Darstellung der römischen Geschichte die heftige Opposition zu erklären,
die er gegen Niebuhr und die historische Schule erhob. Niebuhr leitete aus
den historischen Analogien die Unmöglichkeit her, daß ein welterobernder Staat
auf künstliche Weise entstanden sein könne; er ging also von der bisherigen
Tradition der römischen Geschichte ab. Für Hegel war dagegen grade die
künstliche Entstehung und Fortbildung des Staats die sicherste Bürgschaft für
seine welthistorische Bedeutung; er nahm die Tradition wieder auf und stellte
in kühnen und glänzenden Zügen ein Gemälde zusammen, welches durch seine
gewaltige innere Consequenz imponirt, aber freilich auch nur einer Seite des
Gegenstandes gerecht wird. Daß die historische und die philosophische Aus¬
fassung einander keineswegs ausschließen, sondern sich ergänzen müssen, haben
wir bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt.

In gleicher Weise bildet Hegel in seiner Geschichte des Mittelalters einen
entschiedenen Gegensatz gegen die Germanisten und Romantiker. Die letztern
hatten das Mittelalter verherrlicht um seiner einzelnen glänzenden Erscheinungen
halber; die Germanisten hatten das Innere des deutschen Gemüths in sinnlicher
Klarheit zur Erscheinung gebracht. Hegel legte auf diese Forschungen wenig
Gewicht, weil es ihm nur darauf ankam, im Mittelalter den Fortbildungs¬
proceß von der alten zur neuen Zeit darzustellen; und so dürftig im allgemeinen
sein Abriß des Mittelalters ist, so hat er doch einen Umstand glänzend und
mit vollkommener Wahrheit hervorgehoben, daß das Mittelalter in seinem
innersten Wesen ein Reich der Lüge war. Als die Barbaren das Christenthum
annahmen, setzten sie sich damit ein Ideal, das nicht aus ihren innern Gemüth
hervorgequollen war, sondern ihnen als etwas absolut Fremdes gegenüberstand.
Das Ideal machte nicht den wirklichen Inhalt des Lebens aus, sondern ver¬
klärte dasselbe nur mit einem unheimlichen Schimmer, in welchem' der Geist
ein Grauen vor sich selbst empfand. Erst im allmäligen Durchbildungsproceß
haben die beiden Gegensätze sich ineinander eingebildet, bis endlich in der


des Kaisers, innerlich und äußerlich ist aller Bestand zerstört und ein Tod
. der Endlichkeit eingetreten, indem die Fortuna des einen Reiches selbst auch
unterliegt. Die Buße der Welt, das Abthun der Endlichkeit und die im Geiste
der Welt überhandnehmende Verzweiflung, in der Zeitlichkeit und Endlichkeit
Befriedigung zu finden, — das alles diente zur Bereitung des Bodens für
die wahrhafte, geistige Religion, einer Bereitung, die von Seiten der Menschen
vollbracht werden mußte, damit „die Zeit erfüllt werde".

Indem nun Hegel dieses große und epochemachende Princip mit eiserner
Consequenz in die Construction der Weltgeschichte einführte, mußte ihm be¬
gegnen, was bei der philosophischen Auffassung der Geschichte überhaupt schwer
zu vermelden sein wird, daß er von der endlichen Erscheinung nur diejenigen
Seiten hervorkehrte, die seinem Gedankengang entsprachen. Daraus ist bei
seiner Darstellung der römischen Geschichte die heftige Opposition zu erklären,
die er gegen Niebuhr und die historische Schule erhob. Niebuhr leitete aus
den historischen Analogien die Unmöglichkeit her, daß ein welterobernder Staat
auf künstliche Weise entstanden sein könne; er ging also von der bisherigen
Tradition der römischen Geschichte ab. Für Hegel war dagegen grade die
künstliche Entstehung und Fortbildung des Staats die sicherste Bürgschaft für
seine welthistorische Bedeutung; er nahm die Tradition wieder auf und stellte
in kühnen und glänzenden Zügen ein Gemälde zusammen, welches durch seine
gewaltige innere Consequenz imponirt, aber freilich auch nur einer Seite des
Gegenstandes gerecht wird. Daß die historische und die philosophische Aus¬
fassung einander keineswegs ausschließen, sondern sich ergänzen müssen, haben
wir bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt.

In gleicher Weise bildet Hegel in seiner Geschichte des Mittelalters einen
entschiedenen Gegensatz gegen die Germanisten und Romantiker. Die letztern
hatten das Mittelalter verherrlicht um seiner einzelnen glänzenden Erscheinungen
halber; die Germanisten hatten das Innere des deutschen Gemüths in sinnlicher
Klarheit zur Erscheinung gebracht. Hegel legte auf diese Forschungen wenig
Gewicht, weil es ihm nur darauf ankam, im Mittelalter den Fortbildungs¬
proceß von der alten zur neuen Zeit darzustellen; und so dürftig im allgemeinen
sein Abriß des Mittelalters ist, so hat er doch einen Umstand glänzend und
mit vollkommener Wahrheit hervorgehoben, daß das Mittelalter in seinem
innersten Wesen ein Reich der Lüge war. Als die Barbaren das Christenthum
annahmen, setzten sie sich damit ein Ideal, das nicht aus ihren innern Gemüth
hervorgequollen war, sondern ihnen als etwas absolut Fremdes gegenüberstand.
Das Ideal machte nicht den wirklichen Inhalt des Lebens aus, sondern ver¬
klärte dasselbe nur mit einem unheimlichen Schimmer, in welchem' der Geist
ein Grauen vor sich selbst empfand. Erst im allmäligen Durchbildungsproceß
haben die beiden Gegensätze sich ineinander eingebildet, bis endlich in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/260>, abgerufen am 29.06.2024.