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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Reformation die Einheit des Lebens und des Ideals, wenn auch in einer noch
nicht begriffsmäßigen Form wiederhergestellt war. Was Hegel über die Be¬
deutung der Reformation sagt, ist allseitig und erschöpfend. Hier wird er
nicht mehr durch die Abstraction der einseitigen Begriffsbestimmung verwirrt,
das Leben geht ihm als Totalität auf.

Und Hegel hat sich auch keineswegs gescheut, die Aufklärung und den
positiven Inhalt der Revolution als Consequenzen im Princip der Reformation
anzuerkennen und zu feiern, wenn er auch die scheußlichen Formen ihrer Er¬
scheinung mit vollem Recht aus andern Umständen herleitet. -- "Das sub¬
stantielle der Aufklärung war der Angriff deS vernünftigen Instincts gegen
den Zustand einer Ausartung, ja allgemeinen vollkommenen Lüge, z. B. Hegen
das Positive der verhölzcrten Religion. Man muß das Gefühl vor Augen
haben, das diese Schriftsteller zeigen, man erblickt Empörung über Unsittlichkeit^
Ihre Angriffe gingen nicht gegen das, was wir Religion nennen; sie zerstörten
nur das in sich Zerstörte. Wir haben den Franzosen gut Vorwürfe zu machen
über ihre Angriffe der Religion und des Staats, welche Religion! welcher
Staat!.....Sie haben nur allgemeine Gedanken haben können, eine ab-
stracte Idee, Gedanken dessen, wie es sein soll; nicht die Weise der Ausführung
angeben können. Was sie gegen diese greuliche Zerrüttung setzten und be-
haupteten, ist im allgemeinen, daß die Menschen nicht Laien sein sollen, Laien
weder in Bezug auf Religion, noch auf Recht; so daß es im Religiösen nicht
eine Hierarchie, geschlossene auserwählte Anzahl von Priestern, und ebenso im
Rechtlichen nicht eine ausschließende Kaste und Gesellschaft sei, in der die Er¬
kenntniß dessen, liege und eingeschränkt sei, was ewig, göttlich, wahr und recht
ist, und den andern Menschen von dieser anbefohlen und angeordnet werden
könne.....Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich mit einem
Male geltend, und dagegen konnte das alte Gerüste des Unrechts keinen
Widerstand leisten. Im.Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung
errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basirt sein.
Solange die Sonne am Firmament steht und die Planeten um sie Herumkreisen,
war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, d. i. auf
den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem anbaut. Anaragoras
hatte zuerst gesagt, daß die Vernunft die Welt regiert; nun aber ist der Mensch
dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Welt regieren solle.
Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen
haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit
geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt dmchschauert, als sei
eS zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen." --

So sprach der Philosoph, den man seiner Zeit deS Servilismus bezüchtigt
hat. Freilich ist das Unterfangen der Demagogie, sich auf seinen Namen zu


Reformation die Einheit des Lebens und des Ideals, wenn auch in einer noch
nicht begriffsmäßigen Form wiederhergestellt war. Was Hegel über die Be¬
deutung der Reformation sagt, ist allseitig und erschöpfend. Hier wird er
nicht mehr durch die Abstraction der einseitigen Begriffsbestimmung verwirrt,
das Leben geht ihm als Totalität auf.

Und Hegel hat sich auch keineswegs gescheut, die Aufklärung und den
positiven Inhalt der Revolution als Consequenzen im Princip der Reformation
anzuerkennen und zu feiern, wenn er auch die scheußlichen Formen ihrer Er¬
scheinung mit vollem Recht aus andern Umständen herleitet. — „Das sub¬
stantielle der Aufklärung war der Angriff deS vernünftigen Instincts gegen
den Zustand einer Ausartung, ja allgemeinen vollkommenen Lüge, z. B. Hegen
das Positive der verhölzcrten Religion. Man muß das Gefühl vor Augen
haben, das diese Schriftsteller zeigen, man erblickt Empörung über Unsittlichkeit^
Ihre Angriffe gingen nicht gegen das, was wir Religion nennen; sie zerstörten
nur das in sich Zerstörte. Wir haben den Franzosen gut Vorwürfe zu machen
über ihre Angriffe der Religion und des Staats, welche Religion! welcher
Staat!.....Sie haben nur allgemeine Gedanken haben können, eine ab-
stracte Idee, Gedanken dessen, wie es sein soll; nicht die Weise der Ausführung
angeben können. Was sie gegen diese greuliche Zerrüttung setzten und be-
haupteten, ist im allgemeinen, daß die Menschen nicht Laien sein sollen, Laien
weder in Bezug auf Religion, noch auf Recht; so daß es im Religiösen nicht
eine Hierarchie, geschlossene auserwählte Anzahl von Priestern, und ebenso im
Rechtlichen nicht eine ausschließende Kaste und Gesellschaft sei, in der die Er¬
kenntniß dessen, liege und eingeschränkt sei, was ewig, göttlich, wahr und recht
ist, und den andern Menschen von dieser anbefohlen und angeordnet werden
könne.....Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich mit einem
Male geltend, und dagegen konnte das alte Gerüste des Unrechts keinen
Widerstand leisten. Im.Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung
errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basirt sein.
Solange die Sonne am Firmament steht und die Planeten um sie Herumkreisen,
war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, d. i. auf
den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem anbaut. Anaragoras
hatte zuerst gesagt, daß die Vernunft die Welt regiert; nun aber ist der Mensch
dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Welt regieren solle.
Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen
haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit
geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt dmchschauert, als sei
eS zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen." —

So sprach der Philosoph, den man seiner Zeit deS Servilismus bezüchtigt
hat. Freilich ist das Unterfangen der Demagogie, sich auf seinen Namen zu


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[0261] Reformation die Einheit des Lebens und des Ideals, wenn auch in einer noch nicht begriffsmäßigen Form wiederhergestellt war. Was Hegel über die Be¬ deutung der Reformation sagt, ist allseitig und erschöpfend. Hier wird er nicht mehr durch die Abstraction der einseitigen Begriffsbestimmung verwirrt, das Leben geht ihm als Totalität auf. Und Hegel hat sich auch keineswegs gescheut, die Aufklärung und den positiven Inhalt der Revolution als Consequenzen im Princip der Reformation anzuerkennen und zu feiern, wenn er auch die scheußlichen Formen ihrer Er¬ scheinung mit vollem Recht aus andern Umständen herleitet. — „Das sub¬ stantielle der Aufklärung war der Angriff deS vernünftigen Instincts gegen den Zustand einer Ausartung, ja allgemeinen vollkommenen Lüge, z. B. Hegen das Positive der verhölzcrten Religion. Man muß das Gefühl vor Augen haben, das diese Schriftsteller zeigen, man erblickt Empörung über Unsittlichkeit^ Ihre Angriffe gingen nicht gegen das, was wir Religion nennen; sie zerstörten nur das in sich Zerstörte. Wir haben den Franzosen gut Vorwürfe zu machen über ihre Angriffe der Religion und des Staats, welche Religion! welcher Staat!.....Sie haben nur allgemeine Gedanken haben können, eine ab- stracte Idee, Gedanken dessen, wie es sein soll; nicht die Weise der Ausführung angeben können. Was sie gegen diese greuliche Zerrüttung setzten und be- haupteten, ist im allgemeinen, daß die Menschen nicht Laien sein sollen, Laien weder in Bezug auf Religion, noch auf Recht; so daß es im Religiösen nicht eine Hierarchie, geschlossene auserwählte Anzahl von Priestern, und ebenso im Rechtlichen nicht eine ausschließende Kaste und Gesellschaft sei, in der die Er¬ kenntniß dessen, liege und eingeschränkt sei, was ewig, göttlich, wahr und recht ist, und den andern Menschen von dieser anbefohlen und angeordnet werden könne.....Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich mit einem Male geltend, und dagegen konnte das alte Gerüste des Unrechts keinen Widerstand leisten. Im.Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basirt sein. Solange die Sonne am Firmament steht und die Planeten um sie Herumkreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, d. i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem anbaut. Anaragoras hatte zuerst gesagt, daß die Vernunft die Welt regiert; nun aber ist der Mensch dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Welt regieren solle. Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt dmchschauert, als sei eS zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen." — So sprach der Philosoph, den man seiner Zeit deS Servilismus bezüchtigt hat. Freilich ist das Unterfangen der Demagogie, sich auf seinen Namen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/261>, abgerufen am 29.06.2024.