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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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auf Kunst und Religion verdanken wir ihm manche Erweiterung des Begriffs,
deren sich später die Philosophie bemächtigen konnte. ' '

So ist in Hegels Religionsphilosophie die Polemik gegen den Rationalismus
ebenso ernsthaft gemeint, wie bei-den Romantikern; ja sie ist viel schärfer, als
die Polemik gegen die letzteren, was sich sehr leicht daraus begreifen läßt, daß
die Trivialitäten der deutschen Aufklärer nicht nur das philosophische Princip,
sondern vor allen Dingen auch den guten Geschmack beleidigten. Das dürfen
wir heute, wo wir dem Princip der Aufklärung näher stehen, nicht vergessen;
die Träger der Aufklärung namentlich in Deutschland machten eine recht trau¬
rige Gesellschaft aus, die sich an dem höhern Begriff des Lebens ebenso ver¬
sündigte, wie on der Kunst. -- Aber Hegel hat ebensowenig seinen Gegensatz
gegen die Romantiker in Zweifel gelassen. Auch die Romantiker waren in
ihrem Glauben keineswegs naiv; sie hatte ihn sich durch Bildung und Re¬
flexion vermittelt, und ihr Witz und Verstand hatte sich sowenig unbedingt
dem Glauben gefangen gegeben, daß sie sich alle Augenblicke veranlaßt sahen,
sich durch Ironie zu entschädigen. Diese innere Haltlosigkeit ihres Gemüths
hat in neuerer Zeit, wo die religiöse Partei es nicht mehr für nöthig hält, ihre
Sache von Seiten der Phantasie und des guten Geschmacks dem Publicum zu
empfehlen, zu der Ueberzeugung geführt, daß nichts entgegengesetzter sein könnte,
als die Romantik und das echte Christenthum.

Hegels ernstes Gemüth konnte sich mit dieser Methode, den Zwiespalt
zwischen der Phantasie und der Bildung spielend zu umgehen, nicht befreunden.
Unsre classischen Dichter waren mit unsren romantischen Dichtern darin überein¬
gekommen, daß, wie das Ideal von der Wirklichkeit, so auch der Inhalt der
Kunst von dem Inhalt des Lebens getrennt sein müsse, Indem Hegel gegen
dies Princip mit Entschiedenheit zu Felde zog, konnte er den thatsächlichen
Zwiespalt zwischen der poetischen und der prosaischen Welt nicht anders auf¬
heben, als durch historische Perspektive und Gliederung. Die Romantiker hatten
sich gegen die Macht der Idee durch Ironie schützen müssen, weil sie keinen
Sinn für geschichtliche Architektonik hatten, weil die Religionsgestalten der ver¬
schiedenen weltgeschichtlichen Perioden sie in bunter, gestaltloser Verwirrung
umdrängten. Hegel wußte in dieses Reich des Uebersinnlichen, in diese Welt
der Ideale Ordnung und Gesetz zu bringen. Sowie in dem Leben des einzel¬
nen Menschen verschiedene Ideale einander ablösen, ohne daß eins daS andere
widerlegte, da jedes aus einem bestimmten Alter des Herzens naturgemäß her¬
vorgeht, so wies er es auch im Leben der Menschheit nach, die er wie gesagt
als eine Individualität auffaßte. Wir können uns hier bei den einzelnen
Meligionsformen nicht aufhalten, wir weisen nur auf diejenige Seite des Christen¬
thums hin, die er als charakteristisch für seine welthistorische Erscheinung vorzugs¬
weise hervorhob.


auf Kunst und Religion verdanken wir ihm manche Erweiterung des Begriffs,
deren sich später die Philosophie bemächtigen konnte. ' '

So ist in Hegels Religionsphilosophie die Polemik gegen den Rationalismus
ebenso ernsthaft gemeint, wie bei-den Romantikern; ja sie ist viel schärfer, als
die Polemik gegen die letzteren, was sich sehr leicht daraus begreifen läßt, daß
die Trivialitäten der deutschen Aufklärer nicht nur das philosophische Princip,
sondern vor allen Dingen auch den guten Geschmack beleidigten. Das dürfen
wir heute, wo wir dem Princip der Aufklärung näher stehen, nicht vergessen;
die Träger der Aufklärung namentlich in Deutschland machten eine recht trau¬
rige Gesellschaft aus, die sich an dem höhern Begriff des Lebens ebenso ver¬
sündigte, wie on der Kunst. — Aber Hegel hat ebensowenig seinen Gegensatz
gegen die Romantiker in Zweifel gelassen. Auch die Romantiker waren in
ihrem Glauben keineswegs naiv; sie hatte ihn sich durch Bildung und Re¬
flexion vermittelt, und ihr Witz und Verstand hatte sich sowenig unbedingt
dem Glauben gefangen gegeben, daß sie sich alle Augenblicke veranlaßt sahen,
sich durch Ironie zu entschädigen. Diese innere Haltlosigkeit ihres Gemüths
hat in neuerer Zeit, wo die religiöse Partei es nicht mehr für nöthig hält, ihre
Sache von Seiten der Phantasie und des guten Geschmacks dem Publicum zu
empfehlen, zu der Ueberzeugung geführt, daß nichts entgegengesetzter sein könnte,
als die Romantik und das echte Christenthum.

Hegels ernstes Gemüth konnte sich mit dieser Methode, den Zwiespalt
zwischen der Phantasie und der Bildung spielend zu umgehen, nicht befreunden.
Unsre classischen Dichter waren mit unsren romantischen Dichtern darin überein¬
gekommen, daß, wie das Ideal von der Wirklichkeit, so auch der Inhalt der
Kunst von dem Inhalt des Lebens getrennt sein müsse, Indem Hegel gegen
dies Princip mit Entschiedenheit zu Felde zog, konnte er den thatsächlichen
Zwiespalt zwischen der poetischen und der prosaischen Welt nicht anders auf¬
heben, als durch historische Perspektive und Gliederung. Die Romantiker hatten
sich gegen die Macht der Idee durch Ironie schützen müssen, weil sie keinen
Sinn für geschichtliche Architektonik hatten, weil die Religionsgestalten der ver¬
schiedenen weltgeschichtlichen Perioden sie in bunter, gestaltloser Verwirrung
umdrängten. Hegel wußte in dieses Reich des Uebersinnlichen, in diese Welt
der Ideale Ordnung und Gesetz zu bringen. Sowie in dem Leben des einzel¬
nen Menschen verschiedene Ideale einander ablösen, ohne daß eins daS andere
widerlegte, da jedes aus einem bestimmten Alter des Herzens naturgemäß her¬
vorgeht, so wies er es auch im Leben der Menschheit nach, die er wie gesagt
als eine Individualität auffaßte. Wir können uns hier bei den einzelnen
Meligionsformen nicht aufhalten, wir weisen nur auf diejenige Seite des Christen¬
thums hin, die er als charakteristisch für seine welthistorische Erscheinung vorzugs¬
weise hervorhob.


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[0258] auf Kunst und Religion verdanken wir ihm manche Erweiterung des Begriffs, deren sich später die Philosophie bemächtigen konnte. ' ' So ist in Hegels Religionsphilosophie die Polemik gegen den Rationalismus ebenso ernsthaft gemeint, wie bei-den Romantikern; ja sie ist viel schärfer, als die Polemik gegen die letzteren, was sich sehr leicht daraus begreifen läßt, daß die Trivialitäten der deutschen Aufklärer nicht nur das philosophische Princip, sondern vor allen Dingen auch den guten Geschmack beleidigten. Das dürfen wir heute, wo wir dem Princip der Aufklärung näher stehen, nicht vergessen; die Träger der Aufklärung namentlich in Deutschland machten eine recht trau¬ rige Gesellschaft aus, die sich an dem höhern Begriff des Lebens ebenso ver¬ sündigte, wie on der Kunst. — Aber Hegel hat ebensowenig seinen Gegensatz gegen die Romantiker in Zweifel gelassen. Auch die Romantiker waren in ihrem Glauben keineswegs naiv; sie hatte ihn sich durch Bildung und Re¬ flexion vermittelt, und ihr Witz und Verstand hatte sich sowenig unbedingt dem Glauben gefangen gegeben, daß sie sich alle Augenblicke veranlaßt sahen, sich durch Ironie zu entschädigen. Diese innere Haltlosigkeit ihres Gemüths hat in neuerer Zeit, wo die religiöse Partei es nicht mehr für nöthig hält, ihre Sache von Seiten der Phantasie und des guten Geschmacks dem Publicum zu empfehlen, zu der Ueberzeugung geführt, daß nichts entgegengesetzter sein könnte, als die Romantik und das echte Christenthum. Hegels ernstes Gemüth konnte sich mit dieser Methode, den Zwiespalt zwischen der Phantasie und der Bildung spielend zu umgehen, nicht befreunden. Unsre classischen Dichter waren mit unsren romantischen Dichtern darin überein¬ gekommen, daß, wie das Ideal von der Wirklichkeit, so auch der Inhalt der Kunst von dem Inhalt des Lebens getrennt sein müsse, Indem Hegel gegen dies Princip mit Entschiedenheit zu Felde zog, konnte er den thatsächlichen Zwiespalt zwischen der poetischen und der prosaischen Welt nicht anders auf¬ heben, als durch historische Perspektive und Gliederung. Die Romantiker hatten sich gegen die Macht der Idee durch Ironie schützen müssen, weil sie keinen Sinn für geschichtliche Architektonik hatten, weil die Religionsgestalten der ver¬ schiedenen weltgeschichtlichen Perioden sie in bunter, gestaltloser Verwirrung umdrängten. Hegel wußte in dieses Reich des Uebersinnlichen, in diese Welt der Ideale Ordnung und Gesetz zu bringen. Sowie in dem Leben des einzel¬ nen Menschen verschiedene Ideale einander ablösen, ohne daß eins daS andere widerlegte, da jedes aus einem bestimmten Alter des Herzens naturgemäß her¬ vorgeht, so wies er es auch im Leben der Menschheit nach, die er wie gesagt als eine Individualität auffaßte. Wir können uns hier bei den einzelnen Meligionsformen nicht aufhalten, wir weisen nur auf diejenige Seite des Christen¬ thums hin, die er als charakteristisch für seine welthistorische Erscheinung vorzugs¬ weise hervorhob.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/258>, abgerufen am 29.06.2024.