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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu sein. Das wollen wir keineswegs so verstehen, als ob der frivole Nachwuchs
der Hegelschen Schule darin recht habe, in seiner Auffassung des Christenthums
nur die negative Seite zu sehen, im Gegentheil war es ihm mit seiner Verehrung
des Christenthums vollkommen Ernst, wie denn auch wol jedes Gemüth, wel¬
ches überhaupt Sinn für das Große und Erhabene hat, vor der größten und
fruchtbarsten Erscheinung der Weltgeschichte sich wird beugen müssen; aber
ein Punkt trennt ihn allerdings von den specifischen Christen. Den letztern
ist die Offenbarung ein Wunder, das heißt das Hereintreten einer fremden
Macht, die sich bisher an dem Fortgang, der Weltgeschichte nicht betheiligt hat,
in den Kreis derselben, die absolute Unterbrechung des natürlichen Zusammen¬
hanges der Welt: für Hegel dagegen ist das Christenthum, die Offenbarung,
die Menschwerdung Gottes u. s. w. eine ebenso nothwendige Evolution des
menschlichen Geistes in seinem Streben nach dem Absoluten, als jede andere
Evolution in der Weltgeschichte. >

Jede Philosophie hat ihre endliche Seite; sie wird bedingt durch Be¬
ziehungen auf Gegensätze, die in der Zeit liegen. Für Hegels Philosophie ist
der doppelte Gegensatz gegen die Rationalisten und Gefühlsphilosophen einer¬
seits, gegen die Romantiker andererseits charakteristisch. Die ersteren stellten
in der Geschichte eine allmälige Fortbildung der Menschen bis zu der Höhe
des gegenwärtigen Zeitalters dar, in welchem man Spitäler, Arbeitshäuser
und Baumwollenmaschinen anlegte, nebenbei den guten Gott im Himmel wal¬
ten ließ, damit nicht die Erde eines schönen Morgens aus ihren Angeln fiele,
und sich mit einer Hoffnung auf eine weitere Fortsetzung der irdischen Be¬
strebungen in einem Jenseits vertröstete, wo man weniger dem Schnupfen aus¬
gesetzt wäre und sich schneller von einem Ort zum andern bewegen könnte, um
die Mechanik des Himmels näher in Augenschein zu nehmen und sie zu nütz¬
lichen Zwecken zu verwerthen. Alles, was in diesen dürftigen Zusammenhang
nicht passen wollte, wurde als Irrthum, Betrug, oder Leidenschaft beklagt und
Alexander der Große nicht weniger aus dem normalen Lauf der Geschichte aus¬
gestrichen, als Christus oder Mahomed. -- Die Romantiker machten es um¬
gekehrt. Für sie war der paradiesische Zustand der Menschheit, wo der Mensch
noch mit den Göttern verkehrte, der 'ursprüngliche, und der weitere Verlauf der
Geschichte ein fortgesetzter Sündenfall, mit Ausnahme des Christenthums, wel¬
ches in die Welt kam, um dieselbe zu erlösen, aber in dieser Absicht nicht sehr
glücklich war, da augenblicklich der Krebsgang wieder anging und namentlich
seit ver Reformation die Menschheit wieder mit Sturmeseile dem Abgrund ent¬
gegenging. So unphilosophisch und unmenschlich dieses Princip "us erscheinen
muß, wenn man es im Großen und Ganzen auffaßt, so hat es doch das Ver¬
dienst gehabt, im Einzelnen manche historische Größe wiederherzustellen, die von
der Nüchternheit der Aufklärung verkannt wurde, und namentlich in Beziehung'


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zu sein. Das wollen wir keineswegs so verstehen, als ob der frivole Nachwuchs
der Hegelschen Schule darin recht habe, in seiner Auffassung des Christenthums
nur die negative Seite zu sehen, im Gegentheil war es ihm mit seiner Verehrung
des Christenthums vollkommen Ernst, wie denn auch wol jedes Gemüth, wel¬
ches überhaupt Sinn für das Große und Erhabene hat, vor der größten und
fruchtbarsten Erscheinung der Weltgeschichte sich wird beugen müssen; aber
ein Punkt trennt ihn allerdings von den specifischen Christen. Den letztern
ist die Offenbarung ein Wunder, das heißt das Hereintreten einer fremden
Macht, die sich bisher an dem Fortgang, der Weltgeschichte nicht betheiligt hat,
in den Kreis derselben, die absolute Unterbrechung des natürlichen Zusammen¬
hanges der Welt: für Hegel dagegen ist das Christenthum, die Offenbarung,
die Menschwerdung Gottes u. s. w. eine ebenso nothwendige Evolution des
menschlichen Geistes in seinem Streben nach dem Absoluten, als jede andere
Evolution in der Weltgeschichte. >

Jede Philosophie hat ihre endliche Seite; sie wird bedingt durch Be¬
ziehungen auf Gegensätze, die in der Zeit liegen. Für Hegels Philosophie ist
der doppelte Gegensatz gegen die Rationalisten und Gefühlsphilosophen einer¬
seits, gegen die Romantiker andererseits charakteristisch. Die ersteren stellten
in der Geschichte eine allmälige Fortbildung der Menschen bis zu der Höhe
des gegenwärtigen Zeitalters dar, in welchem man Spitäler, Arbeitshäuser
und Baumwollenmaschinen anlegte, nebenbei den guten Gott im Himmel wal¬
ten ließ, damit nicht die Erde eines schönen Morgens aus ihren Angeln fiele,
und sich mit einer Hoffnung auf eine weitere Fortsetzung der irdischen Be¬
strebungen in einem Jenseits vertröstete, wo man weniger dem Schnupfen aus¬
gesetzt wäre und sich schneller von einem Ort zum andern bewegen könnte, um
die Mechanik des Himmels näher in Augenschein zu nehmen und sie zu nütz¬
lichen Zwecken zu verwerthen. Alles, was in diesen dürftigen Zusammenhang
nicht passen wollte, wurde als Irrthum, Betrug, oder Leidenschaft beklagt und
Alexander der Große nicht weniger aus dem normalen Lauf der Geschichte aus¬
gestrichen, als Christus oder Mahomed. — Die Romantiker machten es um¬
gekehrt. Für sie war der paradiesische Zustand der Menschheit, wo der Mensch
noch mit den Göttern verkehrte, der 'ursprüngliche, und der weitere Verlauf der
Geschichte ein fortgesetzter Sündenfall, mit Ausnahme des Christenthums, wel¬
ches in die Welt kam, um dieselbe zu erlösen, aber in dieser Absicht nicht sehr
glücklich war, da augenblicklich der Krebsgang wieder anging und namentlich
seit ver Reformation die Menschheit wieder mit Sturmeseile dem Abgrund ent¬
gegenging. So unphilosophisch und unmenschlich dieses Princip »us erscheinen
muß, wenn man es im Großen und Ganzen auffaßt, so hat es doch das Ver¬
dienst gehabt, im Einzelnen manche historische Größe wiederherzustellen, die von
der Nüchternheit der Aufklärung verkannt wurde, und namentlich in Beziehung'


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[0257] zu sein. Das wollen wir keineswegs so verstehen, als ob der frivole Nachwuchs der Hegelschen Schule darin recht habe, in seiner Auffassung des Christenthums nur die negative Seite zu sehen, im Gegentheil war es ihm mit seiner Verehrung des Christenthums vollkommen Ernst, wie denn auch wol jedes Gemüth, wel¬ ches überhaupt Sinn für das Große und Erhabene hat, vor der größten und fruchtbarsten Erscheinung der Weltgeschichte sich wird beugen müssen; aber ein Punkt trennt ihn allerdings von den specifischen Christen. Den letztern ist die Offenbarung ein Wunder, das heißt das Hereintreten einer fremden Macht, die sich bisher an dem Fortgang, der Weltgeschichte nicht betheiligt hat, in den Kreis derselben, die absolute Unterbrechung des natürlichen Zusammen¬ hanges der Welt: für Hegel dagegen ist das Christenthum, die Offenbarung, die Menschwerdung Gottes u. s. w. eine ebenso nothwendige Evolution des menschlichen Geistes in seinem Streben nach dem Absoluten, als jede andere Evolution in der Weltgeschichte. > Jede Philosophie hat ihre endliche Seite; sie wird bedingt durch Be¬ ziehungen auf Gegensätze, die in der Zeit liegen. Für Hegels Philosophie ist der doppelte Gegensatz gegen die Rationalisten und Gefühlsphilosophen einer¬ seits, gegen die Romantiker andererseits charakteristisch. Die ersteren stellten in der Geschichte eine allmälige Fortbildung der Menschen bis zu der Höhe des gegenwärtigen Zeitalters dar, in welchem man Spitäler, Arbeitshäuser und Baumwollenmaschinen anlegte, nebenbei den guten Gott im Himmel wal¬ ten ließ, damit nicht die Erde eines schönen Morgens aus ihren Angeln fiele, und sich mit einer Hoffnung auf eine weitere Fortsetzung der irdischen Be¬ strebungen in einem Jenseits vertröstete, wo man weniger dem Schnupfen aus¬ gesetzt wäre und sich schneller von einem Ort zum andern bewegen könnte, um die Mechanik des Himmels näher in Augenschein zu nehmen und sie zu nütz¬ lichen Zwecken zu verwerthen. Alles, was in diesen dürftigen Zusammenhang nicht passen wollte, wurde als Irrthum, Betrug, oder Leidenschaft beklagt und Alexander der Große nicht weniger aus dem normalen Lauf der Geschichte aus¬ gestrichen, als Christus oder Mahomed. — Die Romantiker machten es um¬ gekehrt. Für sie war der paradiesische Zustand der Menschheit, wo der Mensch noch mit den Göttern verkehrte, der 'ursprüngliche, und der weitere Verlauf der Geschichte ein fortgesetzter Sündenfall, mit Ausnahme des Christenthums, wel¬ ches in die Welt kam, um dieselbe zu erlösen, aber in dieser Absicht nicht sehr glücklich war, da augenblicklich der Krebsgang wieder anging und namentlich seit ver Reformation die Menschheit wieder mit Sturmeseile dem Abgrund ent¬ gegenging. So unphilosophisch und unmenschlich dieses Princip »us erscheinen muß, wenn man es im Großen und Ganzen auffaßt, so hat es doch das Ver¬ dienst gehabt, im Einzelnen manche historische Größe wiederherzustellen, die von der Nüchternheit der Aufklärung verkannt wurde, und namentlich in Beziehung' Grenzboten. I. >LL!>. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/257>, abgerufen am 29.06.2024.