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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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erst mit Anaragoras und den Eleaten lernte mai/das Geistige und den Begriff
als das Höchste auffassen. Indem die Eleaten jenen Grundbegriff, den man
sich bei allen Gegenständen der Vorstellung hinzudenken muß, den Begriff des
Seins, dialektisch bearbeiteten, wurden sie die Begründer der Philosophie.

Halten wir hier einen Augenblick inne. Wer ist nicht schon durch den
Anfang der Hegelschen Logik verwirrt worden, in welchem behauptet wird, das
Sein und das Nichtsein wäre identisch, und die Identität beider wäre das
Werden. Wie geistvoll und scharfsinnig die weitere Auseinandersetzung ist, der
gesunde Menschenverstand wird nie darüber hinauskommen, und jene Freude
am Dialektischen wird im Grunde nichts Anderes sein, als ein grammatisches
Spiel, denn es beruht darauf, daß das Verbum "sein" zwei Bedeutungen hat,
die Bedeutung der Copula und die Bedeutung des Existirens, von denen zwar die
erstere inhaltlos ist, die zweite aber einen bestimmten Inhalt hat. Fassen wir nun
a^r die Hegelsche Logik nicht als das, was sie in der That nicht ist, als eine Denk¬
lehre, sondern als eine idealisirte Geschichte des Denkprvcesses, welchen die Mensch¬
heit durchgemacht hat, so würde die mit jenem Spiel der Begriffe verbundene
Vorstellung folgende sein: als die Menschen sich das Absolute zuerst in der Form
des Begriffes dachten (in der Form der Borstellung hatten die verschiedenen
Religionen schon anderweitig ihre Thätigkeit ausgeübt), konnten sie sich dieses
nur in der reinsten Mstraction als das Sein denken. Ein näheres Nachdenken
mußte sie aber darauf führen, daß dieser einfachste Begriff keineswegs der höchste
und der wahrste sei, daß er vielmehr sich als das Dürftigste und Widerspruch¬
vollste von der Welt herausstelle, daß, wenn man sich die Welt als ein Wer¬
den vorstelle, darin eine viel höhere Idee liege, als wenn man sie sich als ein
Sein vorstellte. -- Um auf den historischen Sinn dieser Deduction hinzuweisen,
machen wir darauf aufmerksam, daß erst auf einer viel späteren Stufe das
Absolute als Person vorgestellt wird. Wir sind jetzt so daran gewöhnt, uns das
Absolute oder Gott als Person vorzustellen, daß wir im Stillen immer anneh¬
men, das sei zu allen Zeiten so geschehen; es ist aber vielmehr eine schon sehr
hoch entwickelte Stufe des Bewußtseins, wenn die Philosophie zu diesem con-
creten Begriff kommt, und infolge dessen mit der Vorstellung, d. h. hier mit
der Religion, Hand in Hand gehen kann.

Die Hindeutung auf diesen Parallelismus der beiden Disciplinen wird
hier, wo es uns blos auf eine Hindeutung ankommt, genügen. Wir fassen
noch die Hauptpunkte zusammen, in denen Hegel das Streben nach dem Ab¬
soluten in der Geschichte der Philosophie skizzirt hat.

Die Darstellung der griechischen Philosophie ist von einer unübertroffenen
Schönheit. Unsre eigne classische Dichtung war ganz in der Nachbildung des
griechischen Wesens aufgegangen. So Glänzendes sie darin im einzelnen lei¬
stete, so konnte- ihre Gesammtthätigkeir doch nicht mit der griechischen wetteifern,


erst mit Anaragoras und den Eleaten lernte mai/das Geistige und den Begriff
als das Höchste auffassen. Indem die Eleaten jenen Grundbegriff, den man
sich bei allen Gegenständen der Vorstellung hinzudenken muß, den Begriff des
Seins, dialektisch bearbeiteten, wurden sie die Begründer der Philosophie.

Halten wir hier einen Augenblick inne. Wer ist nicht schon durch den
Anfang der Hegelschen Logik verwirrt worden, in welchem behauptet wird, das
Sein und das Nichtsein wäre identisch, und die Identität beider wäre das
Werden. Wie geistvoll und scharfsinnig die weitere Auseinandersetzung ist, der
gesunde Menschenverstand wird nie darüber hinauskommen, und jene Freude
am Dialektischen wird im Grunde nichts Anderes sein, als ein grammatisches
Spiel, denn es beruht darauf, daß das Verbum „sein" zwei Bedeutungen hat,
die Bedeutung der Copula und die Bedeutung des Existirens, von denen zwar die
erstere inhaltlos ist, die zweite aber einen bestimmten Inhalt hat. Fassen wir nun
a^r die Hegelsche Logik nicht als das, was sie in der That nicht ist, als eine Denk¬
lehre, sondern als eine idealisirte Geschichte des Denkprvcesses, welchen die Mensch¬
heit durchgemacht hat, so würde die mit jenem Spiel der Begriffe verbundene
Vorstellung folgende sein: als die Menschen sich das Absolute zuerst in der Form
des Begriffes dachten (in der Form der Borstellung hatten die verschiedenen
Religionen schon anderweitig ihre Thätigkeit ausgeübt), konnten sie sich dieses
nur in der reinsten Mstraction als das Sein denken. Ein näheres Nachdenken
mußte sie aber darauf führen, daß dieser einfachste Begriff keineswegs der höchste
und der wahrste sei, daß er vielmehr sich als das Dürftigste und Widerspruch¬
vollste von der Welt herausstelle, daß, wenn man sich die Welt als ein Wer¬
den vorstelle, darin eine viel höhere Idee liege, als wenn man sie sich als ein
Sein vorstellte. — Um auf den historischen Sinn dieser Deduction hinzuweisen,
machen wir darauf aufmerksam, daß erst auf einer viel späteren Stufe das
Absolute als Person vorgestellt wird. Wir sind jetzt so daran gewöhnt, uns das
Absolute oder Gott als Person vorzustellen, daß wir im Stillen immer anneh¬
men, das sei zu allen Zeiten so geschehen; es ist aber vielmehr eine schon sehr
hoch entwickelte Stufe des Bewußtseins, wenn die Philosophie zu diesem con-
creten Begriff kommt, und infolge dessen mit der Vorstellung, d. h. hier mit
der Religion, Hand in Hand gehen kann.

Die Hindeutung auf diesen Parallelismus der beiden Disciplinen wird
hier, wo es uns blos auf eine Hindeutung ankommt, genügen. Wir fassen
noch die Hauptpunkte zusammen, in denen Hegel das Streben nach dem Ab¬
soluten in der Geschichte der Philosophie skizzirt hat.

Die Darstellung der griechischen Philosophie ist von einer unübertroffenen
Schönheit. Unsre eigne classische Dichtung war ganz in der Nachbildung des
griechischen Wesens aufgegangen. So Glänzendes sie darin im einzelnen lei¬
stete, so konnte- ihre Gesammtthätigkeir doch nicht mit der griechischen wetteifern,


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[0254] erst mit Anaragoras und den Eleaten lernte mai/das Geistige und den Begriff als das Höchste auffassen. Indem die Eleaten jenen Grundbegriff, den man sich bei allen Gegenständen der Vorstellung hinzudenken muß, den Begriff des Seins, dialektisch bearbeiteten, wurden sie die Begründer der Philosophie. Halten wir hier einen Augenblick inne. Wer ist nicht schon durch den Anfang der Hegelschen Logik verwirrt worden, in welchem behauptet wird, das Sein und das Nichtsein wäre identisch, und die Identität beider wäre das Werden. Wie geistvoll und scharfsinnig die weitere Auseinandersetzung ist, der gesunde Menschenverstand wird nie darüber hinauskommen, und jene Freude am Dialektischen wird im Grunde nichts Anderes sein, als ein grammatisches Spiel, denn es beruht darauf, daß das Verbum „sein" zwei Bedeutungen hat, die Bedeutung der Copula und die Bedeutung des Existirens, von denen zwar die erstere inhaltlos ist, die zweite aber einen bestimmten Inhalt hat. Fassen wir nun a^r die Hegelsche Logik nicht als das, was sie in der That nicht ist, als eine Denk¬ lehre, sondern als eine idealisirte Geschichte des Denkprvcesses, welchen die Mensch¬ heit durchgemacht hat, so würde die mit jenem Spiel der Begriffe verbundene Vorstellung folgende sein: als die Menschen sich das Absolute zuerst in der Form des Begriffes dachten (in der Form der Borstellung hatten die verschiedenen Religionen schon anderweitig ihre Thätigkeit ausgeübt), konnten sie sich dieses nur in der reinsten Mstraction als das Sein denken. Ein näheres Nachdenken mußte sie aber darauf führen, daß dieser einfachste Begriff keineswegs der höchste und der wahrste sei, daß er vielmehr sich als das Dürftigste und Widerspruch¬ vollste von der Welt herausstelle, daß, wenn man sich die Welt als ein Wer¬ den vorstelle, darin eine viel höhere Idee liege, als wenn man sie sich als ein Sein vorstellte. — Um auf den historischen Sinn dieser Deduction hinzuweisen, machen wir darauf aufmerksam, daß erst auf einer viel späteren Stufe das Absolute als Person vorgestellt wird. Wir sind jetzt so daran gewöhnt, uns das Absolute oder Gott als Person vorzustellen, daß wir im Stillen immer anneh¬ men, das sei zu allen Zeiten so geschehen; es ist aber vielmehr eine schon sehr hoch entwickelte Stufe des Bewußtseins, wenn die Philosophie zu diesem con- creten Begriff kommt, und infolge dessen mit der Vorstellung, d. h. hier mit der Religion, Hand in Hand gehen kann. Die Hindeutung auf diesen Parallelismus der beiden Disciplinen wird hier, wo es uns blos auf eine Hindeutung ankommt, genügen. Wir fassen noch die Hauptpunkte zusammen, in denen Hegel das Streben nach dem Ab¬ soluten in der Geschichte der Philosophie skizzirt hat. Die Darstellung der griechischen Philosophie ist von einer unübertroffenen Schönheit. Unsre eigne classische Dichtung war ganz in der Nachbildung des griechischen Wesens aufgegangen. So Glänzendes sie darin im einzelnen lei¬ stete, so konnte- ihre Gesammtthätigkeir doch nicht mit der griechischen wetteifern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/254>, abgerufen am 29.06.2024.