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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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reicht doch nicht aus, dem Wort ein neues Gepräge aufzudrücken. Die Au¬
torität eines römischen Kaisers war nicht genügend, die rechtmäßige Declination
von Schisma zu verändern, und die Autorität des größten Denkers wird nicht
ausreichen, um den Worten, die nicht gemacht, sondern organisch geworden
sind, einen neuen Sinn unterzuschieben. Das Schlimmste aber dabei ist,
daß der Philosoph auch sich selbst täuscht, denn er ist von der Sprache
ebenso abhängig wie das Volk; der populäre, wirkliche Begriff spielt bei ihm
fortwährend in den künstlichgemachten hinein, und er ist in solchen Fällen also
nicht blos für den Leser verworren, sondern er ist es an sich selbst. -- Wenn
nun gar die sprachliche Revolution soweit geht, daß man sich eine dem Genius
der Sprache widersprechende Wortbildung erlaubt, so hört mit der Grammatik
auch alle Logik auf. Hegels Manier, Partikeln entweder schlechthin oder mit
Hinzufügung der Copula als Substantive zu behandeln, eine Manier, die er
beiläufig zum Theil schon bei Fichte vorfand, hebt mit ver Sprachreinheit auch
alles Verständniß auf; und nicht besser ist es mit den substantivischen Ablei¬
tungen aus Partikeln beschaffen, wie z. B. Schlechthinnigkeit.

Der zweite Grund der Reaction gegen die Hegelsche Philosophie war der
gerechte Verdruß über den Dünkel sovieler unwissenden und hohlköpsigen
Menschen, die sich für Hegelianer ausgaben. In dem System gab es eine
Reihe pikanter Sätze, die sich als Stichwörter bei jeder passenden oder un¬
passenden Gelegenheit anbringen ließen, und mit denen man dem gesunden
Menschenverstand wie der positiven Kenntniß zu imponiren suchte. Wenn ein
Hegelianer einem Philologen oder Naturforscher eine positive Thatsache abstreiten
oder beweisen wollte und das mit Sätzen motivirte, wie: die Identität ist die
Identität der Identität und der Nichtidentität, oder: "Weil nun das Gesetztsein
als Gesetztsein, das Negative als Negatives ist, so ist das Verschiedene das
Fürsichseiende, also vielmehr das Gegentheil des Scheins", (Encyklop. S.
u. s. w., so konnte man freilich darauf nichts erwidern, denn ebensogut hätte
man einen malabanschen Ausdruck verstehen können; aber es mußte eine all¬
gemeine Verstimmung zurücklassen, die endlich, als der erste Rausch der Dialektik
sich auch bei den Jüngern der neuen Philosophie gelegt hatte, und als man
namentlich vergebens nach den positiven Resultaten dieser Speculation fragte,
den Einfluß der Philosophie aus das wirkliche Denken vollständig aufheben
mußte.

Beide Uebelstände sind jetzt beseitigt: mit sehr wenig Ausnahmen hat man
jetzt aufgehört, hegelianisch zu schreiben, und die jungen Baccalaureen, die über
das Gesetztsein des Gesetztseins declamirten,/sind nun auch meistens in Amt und
Würden und haben gelernt, sich geschäftsmäßig auszudrücken. Wenn man jetzt
also die Hegelsche Philosophie vom Standpunkt der Literaturgeschichte studirt,
ist keine Gefahr mehr vorhanden, daß man in die alten Fehler verfallen wird.


reicht doch nicht aus, dem Wort ein neues Gepräge aufzudrücken. Die Au¬
torität eines römischen Kaisers war nicht genügend, die rechtmäßige Declination
von Schisma zu verändern, und die Autorität des größten Denkers wird nicht
ausreichen, um den Worten, die nicht gemacht, sondern organisch geworden
sind, einen neuen Sinn unterzuschieben. Das Schlimmste aber dabei ist,
daß der Philosoph auch sich selbst täuscht, denn er ist von der Sprache
ebenso abhängig wie das Volk; der populäre, wirkliche Begriff spielt bei ihm
fortwährend in den künstlichgemachten hinein, und er ist in solchen Fällen also
nicht blos für den Leser verworren, sondern er ist es an sich selbst. — Wenn
nun gar die sprachliche Revolution soweit geht, daß man sich eine dem Genius
der Sprache widersprechende Wortbildung erlaubt, so hört mit der Grammatik
auch alle Logik auf. Hegels Manier, Partikeln entweder schlechthin oder mit
Hinzufügung der Copula als Substantive zu behandeln, eine Manier, die er
beiläufig zum Theil schon bei Fichte vorfand, hebt mit ver Sprachreinheit auch
alles Verständniß auf; und nicht besser ist es mit den substantivischen Ablei¬
tungen aus Partikeln beschaffen, wie z. B. Schlechthinnigkeit.

Der zweite Grund der Reaction gegen die Hegelsche Philosophie war der
gerechte Verdruß über den Dünkel sovieler unwissenden und hohlköpsigen
Menschen, die sich für Hegelianer ausgaben. In dem System gab es eine
Reihe pikanter Sätze, die sich als Stichwörter bei jeder passenden oder un¬
passenden Gelegenheit anbringen ließen, und mit denen man dem gesunden
Menschenverstand wie der positiven Kenntniß zu imponiren suchte. Wenn ein
Hegelianer einem Philologen oder Naturforscher eine positive Thatsache abstreiten
oder beweisen wollte und das mit Sätzen motivirte, wie: die Identität ist die
Identität der Identität und der Nichtidentität, oder: „Weil nun das Gesetztsein
als Gesetztsein, das Negative als Negatives ist, so ist das Verschiedene das
Fürsichseiende, also vielmehr das Gegentheil des Scheins", (Encyklop. S.
u. s. w., so konnte man freilich darauf nichts erwidern, denn ebensogut hätte
man einen malabanschen Ausdruck verstehen können; aber es mußte eine all¬
gemeine Verstimmung zurücklassen, die endlich, als der erste Rausch der Dialektik
sich auch bei den Jüngern der neuen Philosophie gelegt hatte, und als man
namentlich vergebens nach den positiven Resultaten dieser Speculation fragte,
den Einfluß der Philosophie aus das wirkliche Denken vollständig aufheben
mußte.

Beide Uebelstände sind jetzt beseitigt: mit sehr wenig Ausnahmen hat man
jetzt aufgehört, hegelianisch zu schreiben, und die jungen Baccalaureen, die über
das Gesetztsein des Gesetztseins declamirten,/sind nun auch meistens in Amt und
Würden und haben gelernt, sich geschäftsmäßig auszudrücken. Wenn man jetzt
also die Hegelsche Philosophie vom Standpunkt der Literaturgeschichte studirt,
ist keine Gefahr mehr vorhanden, daß man in die alten Fehler verfallen wird.


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[0252] reicht doch nicht aus, dem Wort ein neues Gepräge aufzudrücken. Die Au¬ torität eines römischen Kaisers war nicht genügend, die rechtmäßige Declination von Schisma zu verändern, und die Autorität des größten Denkers wird nicht ausreichen, um den Worten, die nicht gemacht, sondern organisch geworden sind, einen neuen Sinn unterzuschieben. Das Schlimmste aber dabei ist, daß der Philosoph auch sich selbst täuscht, denn er ist von der Sprache ebenso abhängig wie das Volk; der populäre, wirkliche Begriff spielt bei ihm fortwährend in den künstlichgemachten hinein, und er ist in solchen Fällen also nicht blos für den Leser verworren, sondern er ist es an sich selbst. — Wenn nun gar die sprachliche Revolution soweit geht, daß man sich eine dem Genius der Sprache widersprechende Wortbildung erlaubt, so hört mit der Grammatik auch alle Logik auf. Hegels Manier, Partikeln entweder schlechthin oder mit Hinzufügung der Copula als Substantive zu behandeln, eine Manier, die er beiläufig zum Theil schon bei Fichte vorfand, hebt mit ver Sprachreinheit auch alles Verständniß auf; und nicht besser ist es mit den substantivischen Ablei¬ tungen aus Partikeln beschaffen, wie z. B. Schlechthinnigkeit. Der zweite Grund der Reaction gegen die Hegelsche Philosophie war der gerechte Verdruß über den Dünkel sovieler unwissenden und hohlköpsigen Menschen, die sich für Hegelianer ausgaben. In dem System gab es eine Reihe pikanter Sätze, die sich als Stichwörter bei jeder passenden oder un¬ passenden Gelegenheit anbringen ließen, und mit denen man dem gesunden Menschenverstand wie der positiven Kenntniß zu imponiren suchte. Wenn ein Hegelianer einem Philologen oder Naturforscher eine positive Thatsache abstreiten oder beweisen wollte und das mit Sätzen motivirte, wie: die Identität ist die Identität der Identität und der Nichtidentität, oder: „Weil nun das Gesetztsein als Gesetztsein, das Negative als Negatives ist, so ist das Verschiedene das Fürsichseiende, also vielmehr das Gegentheil des Scheins", (Encyklop. S. u. s. w., so konnte man freilich darauf nichts erwidern, denn ebensogut hätte man einen malabanschen Ausdruck verstehen können; aber es mußte eine all¬ gemeine Verstimmung zurücklassen, die endlich, als der erste Rausch der Dialektik sich auch bei den Jüngern der neuen Philosophie gelegt hatte, und als man namentlich vergebens nach den positiven Resultaten dieser Speculation fragte, den Einfluß der Philosophie aus das wirkliche Denken vollständig aufheben mußte. Beide Uebelstände sind jetzt beseitigt: mit sehr wenig Ausnahmen hat man jetzt aufgehört, hegelianisch zu schreiben, und die jungen Baccalaureen, die über das Gesetztsein des Gesetztseins declamirten,/sind nun auch meistens in Amt und Würden und haben gelernt, sich geschäftsmäßig auszudrücken. Wenn man jetzt also die Hegelsche Philosophie vom Standpunkt der Literaturgeschichte studirt, ist keine Gefahr mehr vorhanden, daß man in die alten Fehler verfallen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/252>, abgerufen am 29.06.2024.