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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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beseitigt ist; wir müssen aber hinzufügen, daß wir die allgemeine Reaction gegen
diese Philosophie seit dem letzten. Decennium vollkommen gerechtfertigt finden,
de^um die Gefahr war in der That sehr groß. Sie bezog sich einmal aus die
Sprache, sodann auf die Begriffe, die beide ernstlich bedroht wurden.

Schon Goethe bemerkt in seinen Briefen an Schiller, daß Hegel, den er
übrigens sehr hoch stellt, an einer großen Unbehilflichkeit des Ausdrucks leide.
Diese Wahrheit wird auch der wärmste Verehrer Hegels nicht mehr ableugnen
wollen. Zwar gelingt es-ihm an einzelnen Stellen, wo er den Gegenstand
vollkommen beherrscht und wo zugleich, denn das ist wesentlich bei ihm, eine
Erregung des Gefühls hinzutritt, sich zu einer Schönheit des Stiles aufzu¬
schwingen, wie sie wenig deutsche Schriftsteller erreicht haben; allein diese
Stellen sind doch nur Ausnahmen, der bei weitem größere Theil seiner
Schriften leidet an allen den Mängeln, die wir bei jedem andern Schriftsteller
unbedingt verwerfen würden. Vieles, was sich vollkommen einfach in dem
correctesten deutschen Stil ausdrücken ließe, ist bei ihm breit, weitschweifig und
durch verworrene Constructionen und Ausdrücke dunkel geworden; bei Vielem
wieder, wo wir eine nähere Auseinandersetzung erwarten, ist die Erläuterung
der Beziehungsbegriffe weggeblieben, und wir wissen nicht, woran wir uns
halten sollen. Alle Augenblicke verwandeln sich die Begriffe in Individualitäten
und umgekehrt, und nicht selten wird sogar die steife scholastische Form durch
ungenirte leichtfertige Wendungen unterbrochen, die uns vollends alle Fassung
rauben. Das Mißlichste aber ist die grammatische Jncorrcctheit der Sprache.
Sein Periodenbau ist meistens sehr schwerfällig, was man namentlich empfindet,
wenn man die Schriften vorzulesen versucht; die Constructionen sind oft so
bunt ineinander verstrickt, daß man erst mit einiger Mühe Subject und Prä-
dicat herausfindet. Wir erinnern uns, daß wir über der Construction einer
Stelle in der Phänomenologie lange Zeit vergebens zubrachten, bis wir endlich
entdeckten, daß in der Mitte ein Punkt ausgelassen sei. -- Hegel hat einmal
sehr schön auseinandergesetzt, daß ein Volk solange barbarisch bliebe, bis es in
seiner eignen Sprache zu denken gelernt habe. Sein Bestreben war also darauf
hin gerichtet, die lateinischen und griechischen Kunstausdrücke der bisherigen
Scholastik durch deutsche zu ersetzen. An sich war dieses Bestreben, in dem
ihm zum Theil bereits Fichte vorangegangen war, durchaus gerechtfertigt; aber
er vergaß dabei, daß, wenn man die Kdnstausdrücke aus der eignen Sprache
nimmt, man diese nur so nehmen kann, wie sie die Sprache gibt. Fremden
Kunstausdrücken kann man eine beliebige Bedeutung beilegen, wenn man diese
nur durch eine bleibende Definition, erklärt, bei deutschen Worten ist das aber
nicht erlaubt; man kann bei Begriffen, wie: Wesen, Dasein, Wirklichkeit u. s. w.
hundert und aberhundertmal erklären, man verstehe darunter etwas ganz an¬
deres, als was die gewöhnliche Sprache darunter verstehe, diese Erklärung


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beseitigt ist; wir müssen aber hinzufügen, daß wir die allgemeine Reaction gegen
diese Philosophie seit dem letzten. Decennium vollkommen gerechtfertigt finden,
de^um die Gefahr war in der That sehr groß. Sie bezog sich einmal aus die
Sprache, sodann auf die Begriffe, die beide ernstlich bedroht wurden.

Schon Goethe bemerkt in seinen Briefen an Schiller, daß Hegel, den er
übrigens sehr hoch stellt, an einer großen Unbehilflichkeit des Ausdrucks leide.
Diese Wahrheit wird auch der wärmste Verehrer Hegels nicht mehr ableugnen
wollen. Zwar gelingt es-ihm an einzelnen Stellen, wo er den Gegenstand
vollkommen beherrscht und wo zugleich, denn das ist wesentlich bei ihm, eine
Erregung des Gefühls hinzutritt, sich zu einer Schönheit des Stiles aufzu¬
schwingen, wie sie wenig deutsche Schriftsteller erreicht haben; allein diese
Stellen sind doch nur Ausnahmen, der bei weitem größere Theil seiner
Schriften leidet an allen den Mängeln, die wir bei jedem andern Schriftsteller
unbedingt verwerfen würden. Vieles, was sich vollkommen einfach in dem
correctesten deutschen Stil ausdrücken ließe, ist bei ihm breit, weitschweifig und
durch verworrene Constructionen und Ausdrücke dunkel geworden; bei Vielem
wieder, wo wir eine nähere Auseinandersetzung erwarten, ist die Erläuterung
der Beziehungsbegriffe weggeblieben, und wir wissen nicht, woran wir uns
halten sollen. Alle Augenblicke verwandeln sich die Begriffe in Individualitäten
und umgekehrt, und nicht selten wird sogar die steife scholastische Form durch
ungenirte leichtfertige Wendungen unterbrochen, die uns vollends alle Fassung
rauben. Das Mißlichste aber ist die grammatische Jncorrcctheit der Sprache.
Sein Periodenbau ist meistens sehr schwerfällig, was man namentlich empfindet,
wenn man die Schriften vorzulesen versucht; die Constructionen sind oft so
bunt ineinander verstrickt, daß man erst mit einiger Mühe Subject und Prä-
dicat herausfindet. Wir erinnern uns, daß wir über der Construction einer
Stelle in der Phänomenologie lange Zeit vergebens zubrachten, bis wir endlich
entdeckten, daß in der Mitte ein Punkt ausgelassen sei. — Hegel hat einmal
sehr schön auseinandergesetzt, daß ein Volk solange barbarisch bliebe, bis es in
seiner eignen Sprache zu denken gelernt habe. Sein Bestreben war also darauf
hin gerichtet, die lateinischen und griechischen Kunstausdrücke der bisherigen
Scholastik durch deutsche zu ersetzen. An sich war dieses Bestreben, in dem
ihm zum Theil bereits Fichte vorangegangen war, durchaus gerechtfertigt; aber
er vergaß dabei, daß, wenn man die Kdnstausdrücke aus der eignen Sprache
nimmt, man diese nur so nehmen kann, wie sie die Sprache gibt. Fremden
Kunstausdrücken kann man eine beliebige Bedeutung beilegen, wenn man diese
nur durch eine bleibende Definition, erklärt, bei deutschen Worten ist das aber
nicht erlaubt; man kann bei Begriffen, wie: Wesen, Dasein, Wirklichkeit u. s. w.
hundert und aberhundertmal erklären, man verstehe darunter etwas ganz an¬
deres, als was die gewöhnliche Sprache darunter verstehe, diese Erklärung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/251>, abgerufen am 26.06.2024.