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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Augenblick die "wohlerwogene Rücksicht auf das Interesse des Staats das
leitende Princip war. Wir glauben, daß eine solche Anerkennung das höchste
Lob für die Weisheit einer Regierung ist, vorzüglich wenn die Anerkennung
von einer Seite erfolgt, in welcher ganz und gar keine Sympathie für dieselbe
zu erwarten ist.

Denn wer spricht diese Anerkennung am lautesten und lebhaftesten aus?
-- Die Anhänger der preußischen Regierung. -- Die obengenannte
Schrift ist im Sinne der preußischen Regierung geschrieben; wir wissen nicht,
ob auch im Auftrage derselben; und sie enthält wunderlicherweise nichts
Anderes, als den Nachweis, daß Oestreich von Anfang bis zu Ende mit der
größten Umsicht und Geschicklichkeit sein eignes Interesse wahrgenommen und
sich damit "zugleich den Dank des Publicums oder des Volks erworben hat. --
Wir sagen, wunderlicherweise, denn man sollte erwarten, daß damit das
größte Lob gegen Oestreich ausgesprochen wäre: der Verfasser meint es aber
als einen Tadel!

Was nun die preußische Politik betrifft, so macht sie in ihrer' äußern
Erscheinung auf den Unbetheiligten den Eindruck, als wenn sie sich im Kreise
herumdrehte, bald nach rechts, bald nach links, bald vorwärts, bald rückwärts
gehe. Aus der' äußerlichen Erscheinung kann freilich noch kein genügendes
Urtheil hergeleitet werden, denn die Politik eines Staats wird nicht dazu
gemacht, um dem Publicum zu imponiren, und die Politik des Zanderns und
Abwartens kann unter Umständen sehr weise sein, vorausgesetzt nämlich, daß
der Zauberer eine bestimmte Absicht damit verbindet und die Entschlossenheit
besitzt, im entscheidenden Augenblick mit aller Energie des Willens damit
hervorzutreten. Können wir das aber von der' gegenwärtigen preußischen
Regierung, die sür den Augenblick die Culturinteressen, die uns die theuersten
sind, in welchen unser ganzes Dasein wurzelt, vorzugsweise zu vertreten hat,
voraussetzen? Wir fürchten, diese Frage mit einem entschiedenen Nein
beantworten zu müssen.

Trotz der scheinbaren Dunkelheit, in welche sich die preußische Politik ein¬
zuhüllen liebt, ist sie doch jedem Auge durchsichtig. Nicht blos jeder Staats¬
mann Englands, Frankreichs, Oestreichs, Rußlands, sondern jeder Eckensteher
in London, Wien und Paris weiß das Wort des Räthsels. Es liegt nämlich
darin, daß sowol Neigung als Abneigung gegen Nußland, sowol Neigung als
Abneigung gegen die Westmächte, sowol Neigung als Abneigung gegen Oestreich
vorhanden ist, daß die Negierung den lebhaften Trieb hat, ihre europäische
Machtstellung durch eine kühne Politik zu erweitern und zu befestigen, und
den ebenso lebhaften Wunsch, sich keiner Gefahr auszusetzen; daß sie auf das
eifrigste dahin trachtet, mit Oestreich, dem natürlichen Verbündeten, Hand in
Hand zu gehen, und daß sie mit nicht geringerem Eifer sich bemüht, eine von


Augenblick die «wohlerwogene Rücksicht auf das Interesse des Staats das
leitende Princip war. Wir glauben, daß eine solche Anerkennung das höchste
Lob für die Weisheit einer Regierung ist, vorzüglich wenn die Anerkennung
von einer Seite erfolgt, in welcher ganz und gar keine Sympathie für dieselbe
zu erwarten ist.

Denn wer spricht diese Anerkennung am lautesten und lebhaftesten aus?
— Die Anhänger der preußischen Regierung. — Die obengenannte
Schrift ist im Sinne der preußischen Regierung geschrieben; wir wissen nicht,
ob auch im Auftrage derselben; und sie enthält wunderlicherweise nichts
Anderes, als den Nachweis, daß Oestreich von Anfang bis zu Ende mit der
größten Umsicht und Geschicklichkeit sein eignes Interesse wahrgenommen und
sich damit "zugleich den Dank des Publicums oder des Volks erworben hat. —
Wir sagen, wunderlicherweise, denn man sollte erwarten, daß damit das
größte Lob gegen Oestreich ausgesprochen wäre: der Verfasser meint es aber
als einen Tadel!

Was nun die preußische Politik betrifft, so macht sie in ihrer' äußern
Erscheinung auf den Unbetheiligten den Eindruck, als wenn sie sich im Kreise
herumdrehte, bald nach rechts, bald nach links, bald vorwärts, bald rückwärts
gehe. Aus der' äußerlichen Erscheinung kann freilich noch kein genügendes
Urtheil hergeleitet werden, denn die Politik eines Staats wird nicht dazu
gemacht, um dem Publicum zu imponiren, und die Politik des Zanderns und
Abwartens kann unter Umständen sehr weise sein, vorausgesetzt nämlich, daß
der Zauberer eine bestimmte Absicht damit verbindet und die Entschlossenheit
besitzt, im entscheidenden Augenblick mit aller Energie des Willens damit
hervorzutreten. Können wir das aber von der' gegenwärtigen preußischen
Regierung, die sür den Augenblick die Culturinteressen, die uns die theuersten
sind, in welchen unser ganzes Dasein wurzelt, vorzugsweise zu vertreten hat,
voraussetzen? Wir fürchten, diese Frage mit einem entschiedenen Nein
beantworten zu müssen.

Trotz der scheinbaren Dunkelheit, in welche sich die preußische Politik ein¬
zuhüllen liebt, ist sie doch jedem Auge durchsichtig. Nicht blos jeder Staats¬
mann Englands, Frankreichs, Oestreichs, Rußlands, sondern jeder Eckensteher
in London, Wien und Paris weiß das Wort des Räthsels. Es liegt nämlich
darin, daß sowol Neigung als Abneigung gegen Nußland, sowol Neigung als
Abneigung gegen die Westmächte, sowol Neigung als Abneigung gegen Oestreich
vorhanden ist, daß die Negierung den lebhaften Trieb hat, ihre europäische
Machtstellung durch eine kühne Politik zu erweitern und zu befestigen, und
den ebenso lebhaften Wunsch, sich keiner Gefahr auszusetzen; daß sie auf das
eifrigste dahin trachtet, mit Oestreich, dem natürlichen Verbündeten, Hand in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/12>, abgerufen am 28.09.2024.