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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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gefunden haben. Für die Zukunft dürfen wir hoffen, die Motetten dieses pro¬
testantischen Meisters häufiger von ihm zu hören, und glauben, daß er damit
eine für den Augenblick zwar nicht ganz dankbare, aber in Hinblick auf die
höhern musikalischen Interessen die wichtigste und seiner würdigste Aufgabe
unternimmt.

Die Werke, die wir im vorigen Winter in den Concerten des Domchors
hörten, waren von folgenden Komponisten. Palestrina, Vittoria, Gabrieli,
Orlando Lasso, Allegri, Durante, Caldara, Lotti, Mastioletti, Menegali, Cor-
dans, Mozart, Cherubini gehören der katholischen Musik an; unter den Pro¬
testanten finden wir Sebastian Bach, Johann Michael Bach, Rolle, Mendels¬
sohn, Nicolai; zwei kleine Werke von Haydn und Schubert, die zur Aufführung
kamen, hatten keinen bestimmt religiösen Charakter. Werke lebender Compo-
nisten kommen nur ausnahmsweise zur Ausführung, wir finden dies Mal die
Namen Franz, Schütky und Naumann. Nur einzelne dieser Werke bedürfen
einer besondern Hervorhebung. Zunächst das berühmte Misvrizrs von Allegri,
das mit den dogmischen eintretenden eintönigen Psalmodien gesungen wurde.
Den musikalischen Werth dieser Composition können wir so hoch nicht an¬
schlagen, doch wenn auch nicht viel Inhalt darin, so ist wenigstens die Stim¬
mung feierlich und tief klagend; nur die Zuthaten späterer Sänger, die oft sehr
geschmacklos sind, stören die Harmonie des Ganzen. Unter den andern italie¬
nischen Kompositionen ragten namentlich hervor das achtstimmige Liuollixu8
von Lotti, das freilich schon oft gehört, uns aber durch die kunstvolle Viel¬
stimmigkeit und die ernste Gewalt des Ausdrucks stets von neuem ergreift,
ein achtstimmiges Msei'IeorüiÄS Domini von Durante, in ähnlicher Weise, wie
jenes, von treffender Bestimmtheit des Ausdruckes und mit stark ausgeprägtem
Gegensatz zweier Themata, endlich das Cruoiiixus von Caldara in einer acht¬
stimmigen Bearbeitung von Teschner. Dies Lruoillxus ist eins der bewunderns¬
würdigsten Werke formeller Kunst, da es nicht blos dem Namen, sondern der
That nach sechzehnstimmig ist. Doch gehört wol eine besondere Aufstellung
der Sänger dazu, um es in dieser ursprünglichen Gestalt zu klarem Verständ¬
niß zu bringen. Daß die achtstimmige Bearbeitung nur als eine Annäherung
an das Werk selbst gelten kann, ist natürlich, doch macht auch sie einen sehr
feierlichen Eindruck. Beiläufig erwähne ich des lieblichen ^Vve vornen von
Mozart und komme so zu einem modern katholischen Werk, dem großen Oeäo
von Cherubini, einer aus sechs Sätzen bestehenden Composition, die theils
durch die ausgesuchtesten Kunststücke in der Structur', theils aber auch durch
die poetische Wahrheit des Ausdrucks eine sehr hohe Stelle in der gleichartigen
Literatur einnimmt. Man könnte darüber staunen, eine wie warme Färbung
in diesem Werke herrscht, das doch der eigentlichen Farbe, des Orchesters näm¬
lich, entbehrt; Cherubini weiß die Accordfolgen und die Stimmlagen in ge-


gefunden haben. Für die Zukunft dürfen wir hoffen, die Motetten dieses pro¬
testantischen Meisters häufiger von ihm zu hören, und glauben, daß er damit
eine für den Augenblick zwar nicht ganz dankbare, aber in Hinblick auf die
höhern musikalischen Interessen die wichtigste und seiner würdigste Aufgabe
unternimmt.

Die Werke, die wir im vorigen Winter in den Concerten des Domchors
hörten, waren von folgenden Komponisten. Palestrina, Vittoria, Gabrieli,
Orlando Lasso, Allegri, Durante, Caldara, Lotti, Mastioletti, Menegali, Cor-
dans, Mozart, Cherubini gehören der katholischen Musik an; unter den Pro¬
testanten finden wir Sebastian Bach, Johann Michael Bach, Rolle, Mendels¬
sohn, Nicolai; zwei kleine Werke von Haydn und Schubert, die zur Aufführung
kamen, hatten keinen bestimmt religiösen Charakter. Werke lebender Compo-
nisten kommen nur ausnahmsweise zur Ausführung, wir finden dies Mal die
Namen Franz, Schütky und Naumann. Nur einzelne dieser Werke bedürfen
einer besondern Hervorhebung. Zunächst das berühmte Misvrizrs von Allegri,
das mit den dogmischen eintretenden eintönigen Psalmodien gesungen wurde.
Den musikalischen Werth dieser Composition können wir so hoch nicht an¬
schlagen, doch wenn auch nicht viel Inhalt darin, so ist wenigstens die Stim¬
mung feierlich und tief klagend; nur die Zuthaten späterer Sänger, die oft sehr
geschmacklos sind, stören die Harmonie des Ganzen. Unter den andern italie¬
nischen Kompositionen ragten namentlich hervor das achtstimmige Liuollixu8
von Lotti, das freilich schon oft gehört, uns aber durch die kunstvolle Viel¬
stimmigkeit und die ernste Gewalt des Ausdrucks stets von neuem ergreift,
ein achtstimmiges Msei'IeorüiÄS Domini von Durante, in ähnlicher Weise, wie
jenes, von treffender Bestimmtheit des Ausdruckes und mit stark ausgeprägtem
Gegensatz zweier Themata, endlich das Cruoiiixus von Caldara in einer acht¬
stimmigen Bearbeitung von Teschner. Dies Lruoillxus ist eins der bewunderns¬
würdigsten Werke formeller Kunst, da es nicht blos dem Namen, sondern der
That nach sechzehnstimmig ist. Doch gehört wol eine besondere Aufstellung
der Sänger dazu, um es in dieser ursprünglichen Gestalt zu klarem Verständ¬
niß zu bringen. Daß die achtstimmige Bearbeitung nur als eine Annäherung
an das Werk selbst gelten kann, ist natürlich, doch macht auch sie einen sehr
feierlichen Eindruck. Beiläufig erwähne ich des lieblichen ^Vve vornen von
Mozart und komme so zu einem modern katholischen Werk, dem großen Oeäo
von Cherubini, einer aus sechs Sätzen bestehenden Composition, die theils
durch die ausgesuchtesten Kunststücke in der Structur', theils aber auch durch
die poetische Wahrheit des Ausdrucks eine sehr hohe Stelle in der gleichartigen
Literatur einnimmt. Man könnte darüber staunen, eine wie warme Färbung
in diesem Werke herrscht, das doch der eigentlichen Farbe, des Orchesters näm¬
lich, entbehrt; Cherubini weiß die Accordfolgen und die Stimmlagen in ge-


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[0096] gefunden haben. Für die Zukunft dürfen wir hoffen, die Motetten dieses pro¬ testantischen Meisters häufiger von ihm zu hören, und glauben, daß er damit eine für den Augenblick zwar nicht ganz dankbare, aber in Hinblick auf die höhern musikalischen Interessen die wichtigste und seiner würdigste Aufgabe unternimmt. Die Werke, die wir im vorigen Winter in den Concerten des Domchors hörten, waren von folgenden Komponisten. Palestrina, Vittoria, Gabrieli, Orlando Lasso, Allegri, Durante, Caldara, Lotti, Mastioletti, Menegali, Cor- dans, Mozart, Cherubini gehören der katholischen Musik an; unter den Pro¬ testanten finden wir Sebastian Bach, Johann Michael Bach, Rolle, Mendels¬ sohn, Nicolai; zwei kleine Werke von Haydn und Schubert, die zur Aufführung kamen, hatten keinen bestimmt religiösen Charakter. Werke lebender Compo- nisten kommen nur ausnahmsweise zur Ausführung, wir finden dies Mal die Namen Franz, Schütky und Naumann. Nur einzelne dieser Werke bedürfen einer besondern Hervorhebung. Zunächst das berühmte Misvrizrs von Allegri, das mit den dogmischen eintretenden eintönigen Psalmodien gesungen wurde. Den musikalischen Werth dieser Composition können wir so hoch nicht an¬ schlagen, doch wenn auch nicht viel Inhalt darin, so ist wenigstens die Stim¬ mung feierlich und tief klagend; nur die Zuthaten späterer Sänger, die oft sehr geschmacklos sind, stören die Harmonie des Ganzen. Unter den andern italie¬ nischen Kompositionen ragten namentlich hervor das achtstimmige Liuollixu8 von Lotti, das freilich schon oft gehört, uns aber durch die kunstvolle Viel¬ stimmigkeit und die ernste Gewalt des Ausdrucks stets von neuem ergreift, ein achtstimmiges Msei'IeorüiÄS Domini von Durante, in ähnlicher Weise, wie jenes, von treffender Bestimmtheit des Ausdruckes und mit stark ausgeprägtem Gegensatz zweier Themata, endlich das Cruoiiixus von Caldara in einer acht¬ stimmigen Bearbeitung von Teschner. Dies Lruoillxus ist eins der bewunderns¬ würdigsten Werke formeller Kunst, da es nicht blos dem Namen, sondern der That nach sechzehnstimmig ist. Doch gehört wol eine besondere Aufstellung der Sänger dazu, um es in dieser ursprünglichen Gestalt zu klarem Verständ¬ niß zu bringen. Daß die achtstimmige Bearbeitung nur als eine Annäherung an das Werk selbst gelten kann, ist natürlich, doch macht auch sie einen sehr feierlichen Eindruck. Beiläufig erwähne ich des lieblichen ^Vve vornen von Mozart und komme so zu einem modern katholischen Werk, dem großen Oeäo von Cherubini, einer aus sechs Sätzen bestehenden Composition, die theils durch die ausgesuchtesten Kunststücke in der Structur', theils aber auch durch die poetische Wahrheit des Ausdrucks eine sehr hohe Stelle in der gleichartigen Literatur einnimmt. Man könnte darüber staunen, eine wie warme Färbung in diesem Werke herrscht, das doch der eigentlichen Farbe, des Orchesters näm¬ lich, entbehrt; Cherubini weiß die Accordfolgen und die Stimmlagen in ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/96>, abgerufen am 25.08.2024.