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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schicktester Weise zu diesem Zweck zu benutzen. Namentlich ragen das Inear-
na,w8 und das Oruoiüxus in dieser Beziehung hervor. Dann folgen Sätze,
die für den Techniker höchst interessant, im Inhalt aber etwas trocken sind;
nur der Schlußsatz steigt in mächtigem Jubel höher und höher empor und
krönt das Ganze mit strahlendem Gipfel. Von den Motetten Sebastian
Bachs wurde nur eine aufgeführt "Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf", mit
eiserner und rücksichtsloser Consequenz im Ausdruck, ein Werk für den Ver¬
stand und den Ernst der Gesinnung. Von rührender Innigkeit, wahr, aber
nicht schroff war die Motette eines ältern Bach, Johann Michael "Nun hab
ich überwunden." Eine kleine Composttion von Rolle (aus der zweiten Hälfte
deS vorigen Jahrhunderts) gehört schon der Zeit der Verflachung an; es ist
weder Kraft noch Weichheit darin. Unter neueren erwähne ich noch eines
wohlklingenden, aber etwas eklektischen Psalms von Otto Nicolai, und eines
lang ausgeführten, von Energie der Erfindung und ernster Kunstbildung
zeugenden Xz?rie von Robert Franz. Die Theilnahme des Publicums an den
Concerten des Domchors ist trotz des ernsten Inhalts sehr groß, und es zeigt
sich hierin aufs neue die große Macht schönen Gesangs. -- Die Concerte des
Domchors haben in ihrer äußern Einrichtung einen Mangel, der sich bis jetzt
noch nicht gut hat beseitigen lassen. Es würde ermüdend für die Hörer sein,
wenn der ganze Abend mit kirchlichen Sätzen a c-apeU-z, ausgefüllt würde.
Soll nun eine Gleichartigkeit des Stils festgehalten werden, so bliebe nur
zweierlei übrig: entweder müßte man kirchliche Sologesänge einschieben, die
aber aus dem größern Ganzen, dem sie meistens angehören, herausgerissen,
von geringerer Wirkung sein würden; oder man müßte kürzere Cantaten mit
Orchester oder Pianofortbegleitung ebenfalls in das Programm ausnehmen.
Dann würde durch den Hinzutritt des Orchesters und durch die mit diesen
Cantaten verbundene-n Solosätze die erforderliche Abwechslung erreicht werden.
Der Domchor hat diesen Weg einmal versucht, aber wieder aufgegeben, theils
weil die eigenthümlichen Vorzüge seiner Art zu singen mit Orchesterbegleitung
weniger zur Geltung kommen, theils weil das Orchester selbst zu dünn und
altmodisch klang. Das erste Motiv erledigt sich dadurch, daß dem Chor seine
Sphäre ja auch bei dieser Einrichtung bewahrt bliebe; was den zweiten Punkt
betrifft, so müßte man freilich in der Wahl der Stücke vorsichtig sein und
könnte die Orchesterbeglcitung, wo sie ganz uninteressant ist, durch Clavier er¬
setzen. Das naturgemäß Vernünftige scheint uns, daß der Domchor die Ver¬
tretung der kürzeren Cantaten mit Orchester ebenfalls auf sich nimmt, weil sie
sonst unvertreten bleiben, und das wäre schon allein im Hinblick auf die große
Anzahl herrlicher Cantaten von Sebastian Bach höchst bedauernswerth. Da
man, wie gesagt, den schon betretenen Weg nicht weiter verfolgt hat, so wer¬
den Jnstrumentalcompositionen ernsten Inhalts von Bach, Beethoven. Mendels-


Grenzboten. IV. ->86ö. 12

schicktester Weise zu diesem Zweck zu benutzen. Namentlich ragen das Inear-
na,w8 und das Oruoiüxus in dieser Beziehung hervor. Dann folgen Sätze,
die für den Techniker höchst interessant, im Inhalt aber etwas trocken sind;
nur der Schlußsatz steigt in mächtigem Jubel höher und höher empor und
krönt das Ganze mit strahlendem Gipfel. Von den Motetten Sebastian
Bachs wurde nur eine aufgeführt „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf", mit
eiserner und rücksichtsloser Consequenz im Ausdruck, ein Werk für den Ver¬
stand und den Ernst der Gesinnung. Von rührender Innigkeit, wahr, aber
nicht schroff war die Motette eines ältern Bach, Johann Michael „Nun hab
ich überwunden." Eine kleine Composttion von Rolle (aus der zweiten Hälfte
deS vorigen Jahrhunderts) gehört schon der Zeit der Verflachung an; es ist
weder Kraft noch Weichheit darin. Unter neueren erwähne ich noch eines
wohlklingenden, aber etwas eklektischen Psalms von Otto Nicolai, und eines
lang ausgeführten, von Energie der Erfindung und ernster Kunstbildung
zeugenden Xz?rie von Robert Franz. Die Theilnahme des Publicums an den
Concerten des Domchors ist trotz des ernsten Inhalts sehr groß, und es zeigt
sich hierin aufs neue die große Macht schönen Gesangs. — Die Concerte des
Domchors haben in ihrer äußern Einrichtung einen Mangel, der sich bis jetzt
noch nicht gut hat beseitigen lassen. Es würde ermüdend für die Hörer sein,
wenn der ganze Abend mit kirchlichen Sätzen a c-apeU-z, ausgefüllt würde.
Soll nun eine Gleichartigkeit des Stils festgehalten werden, so bliebe nur
zweierlei übrig: entweder müßte man kirchliche Sologesänge einschieben, die
aber aus dem größern Ganzen, dem sie meistens angehören, herausgerissen,
von geringerer Wirkung sein würden; oder man müßte kürzere Cantaten mit
Orchester oder Pianofortbegleitung ebenfalls in das Programm ausnehmen.
Dann würde durch den Hinzutritt des Orchesters und durch die mit diesen
Cantaten verbundene-n Solosätze die erforderliche Abwechslung erreicht werden.
Der Domchor hat diesen Weg einmal versucht, aber wieder aufgegeben, theils
weil die eigenthümlichen Vorzüge seiner Art zu singen mit Orchesterbegleitung
weniger zur Geltung kommen, theils weil das Orchester selbst zu dünn und
altmodisch klang. Das erste Motiv erledigt sich dadurch, daß dem Chor seine
Sphäre ja auch bei dieser Einrichtung bewahrt bliebe; was den zweiten Punkt
betrifft, so müßte man freilich in der Wahl der Stücke vorsichtig sein und
könnte die Orchesterbeglcitung, wo sie ganz uninteressant ist, durch Clavier er¬
setzen. Das naturgemäß Vernünftige scheint uns, daß der Domchor die Ver¬
tretung der kürzeren Cantaten mit Orchester ebenfalls auf sich nimmt, weil sie
sonst unvertreten bleiben, und das wäre schon allein im Hinblick auf die große
Anzahl herrlicher Cantaten von Sebastian Bach höchst bedauernswerth. Da
man, wie gesagt, den schon betretenen Weg nicht weiter verfolgt hat, so wer¬
den Jnstrumentalcompositionen ernsten Inhalts von Bach, Beethoven. Mendels-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/97>, abgerufen am 25.08.2024.