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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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der Ausführung. -- Endlich erwähne ich noch einiger Concerte, die der junge
Clavierspieler Pochendick, ein tüchtig gebildeter Schüler Kullaks gab. In diesen
und den noch später zu erwähnenden Concerten ist eine sehr große Zahl von
Sängern und namentlich Sängerinnen aufgetreten , die einzeln zu besprechen
zu weit führen würde. Der Charakter dieser Leistungen aber läßt sich im
Ganzen dahin bestimmen, daß sehr viele ansprechende Stimmen sich hören ließen,
die aber meist mit ihren Studien noch nicht fertig waren. Es sammeln sich
hier auf diesem Gebiet viele Talente, doch selten hört man technisch Befriedigen¬
des, noch seltener zeigt sich geistige Auffassung. Namentlich sind es Schüle¬
rinnen von Martius, Stümer, Teschner, Elsner, Sieber, Kotzoldt und den
Damen Burchardt und Zimmermann, die sich öffentlich hören ließen. Mehr¬
mals trat die schwedische Sängerin Frl. Westerstrand hier auf, die aber durch
ihre bedeutende Coloraturfertigkeit den Mangel an schönem Ton nicht ersetzen
konnte.

Die einheimischen Concerte wären hiermit beendigt, mit Ausnahme der¬
jenigen, die als die eigenthümlichste Gestaltung unsres Musiklebens gelten
können, der Domchorconcerte. Wir haben sie von den Oratorienaufführungen
getrennt, weil sie ihrem Wesen nach nicht dorthin gehören. Das Publicum
ist hier nicht durch eigne Mitwirkung betheiligt; es ist ein Kunstchor, der ihm
gegenübertritt und fertige Leistungen entgegenbringt. So fehlt hier dasjenige
Moment, was unsern Oratorien eine so volksthümliche und allgemein mensch¬
liche Bedeutung gibt. Doch tritt noch ein zweiter Umstand hinzu. Der Dom¬
chor singt nur g, LÄpLlla und ist infolge dessen meist auf Composttionen von
kleinerem Umfang beschränkt, auf solche Werke ferner, die einer strengeren kirch¬
lichen Richtung angehören und der modernen Empfindungsweise ferner liegen.
Also auch von dieser Seite erscheinen die Domchorconcerte als eine der Spitzen,
die sich an unserm Mustkbau erheben, als eine der höchsten Steigerungen des¬
selben, nicht als Grundlage. Die Correctheit der Ausführung und die über¬
wältigende Schönheit der Klangwirkung, diese Eigenschaften deö Domchors
sind bekannt. Auch die Nüancirungen des Vortrags sind sehr sein und wir¬
kungsreich, doch ist vielleicht nach dieser Seite hin der Domchor noch nicht
ganz fertig, insofern als jeder Stil seine eigenthümliche Art des Vortrags ver¬
langt und bei der großen Mannigfaltigkeit von Stilarten, deren künstlerische
Vertretung er sich zur Aufgabe setzt, wol längere Zeit dazu gehört, um die
Eigenthümlichkeit eines jeden streng festzuhalten. Derselbe Umstand, der dem
Domchor seine große musikalische Bedeutung gibt, legt ihm auch Schwierigkeiten
in den Weg, deren Bewältigung nicht ganz leicht ist. Es gibt nämlich nur zwei
Chöre in der Welt, die mit dem Domchor verglichen werden können, die sir-
tinische Kapelle in Rom und der Kirchenchor in Petersburg. Jene besteht aus
nur 20--30 Sängern, dieser zählt, wenn ich nicht irre, etwa 100 Sänger;


der Ausführung. — Endlich erwähne ich noch einiger Concerte, die der junge
Clavierspieler Pochendick, ein tüchtig gebildeter Schüler Kullaks gab. In diesen
und den noch später zu erwähnenden Concerten ist eine sehr große Zahl von
Sängern und namentlich Sängerinnen aufgetreten , die einzeln zu besprechen
zu weit führen würde. Der Charakter dieser Leistungen aber läßt sich im
Ganzen dahin bestimmen, daß sehr viele ansprechende Stimmen sich hören ließen,
die aber meist mit ihren Studien noch nicht fertig waren. Es sammeln sich
hier auf diesem Gebiet viele Talente, doch selten hört man technisch Befriedigen¬
des, noch seltener zeigt sich geistige Auffassung. Namentlich sind es Schüle¬
rinnen von Martius, Stümer, Teschner, Elsner, Sieber, Kotzoldt und den
Damen Burchardt und Zimmermann, die sich öffentlich hören ließen. Mehr¬
mals trat die schwedische Sängerin Frl. Westerstrand hier auf, die aber durch
ihre bedeutende Coloraturfertigkeit den Mangel an schönem Ton nicht ersetzen
konnte.

Die einheimischen Concerte wären hiermit beendigt, mit Ausnahme der¬
jenigen, die als die eigenthümlichste Gestaltung unsres Musiklebens gelten
können, der Domchorconcerte. Wir haben sie von den Oratorienaufführungen
getrennt, weil sie ihrem Wesen nach nicht dorthin gehören. Das Publicum
ist hier nicht durch eigne Mitwirkung betheiligt; es ist ein Kunstchor, der ihm
gegenübertritt und fertige Leistungen entgegenbringt. So fehlt hier dasjenige
Moment, was unsern Oratorien eine so volksthümliche und allgemein mensch¬
liche Bedeutung gibt. Doch tritt noch ein zweiter Umstand hinzu. Der Dom¬
chor singt nur g, LÄpLlla und ist infolge dessen meist auf Composttionen von
kleinerem Umfang beschränkt, auf solche Werke ferner, die einer strengeren kirch¬
lichen Richtung angehören und der modernen Empfindungsweise ferner liegen.
Also auch von dieser Seite erscheinen die Domchorconcerte als eine der Spitzen,
die sich an unserm Mustkbau erheben, als eine der höchsten Steigerungen des¬
selben, nicht als Grundlage. Die Correctheit der Ausführung und die über¬
wältigende Schönheit der Klangwirkung, diese Eigenschaften deö Domchors
sind bekannt. Auch die Nüancirungen des Vortrags sind sehr sein und wir¬
kungsreich, doch ist vielleicht nach dieser Seite hin der Domchor noch nicht
ganz fertig, insofern als jeder Stil seine eigenthümliche Art des Vortrags ver¬
langt und bei der großen Mannigfaltigkeit von Stilarten, deren künstlerische
Vertretung er sich zur Aufgabe setzt, wol längere Zeit dazu gehört, um die
Eigenthümlichkeit eines jeden streng festzuhalten. Derselbe Umstand, der dem
Domchor seine große musikalische Bedeutung gibt, legt ihm auch Schwierigkeiten
in den Weg, deren Bewältigung nicht ganz leicht ist. Es gibt nämlich nur zwei
Chöre in der Welt, die mit dem Domchor verglichen werden können, die sir-
tinische Kapelle in Rom und der Kirchenchor in Petersburg. Jene besteht aus
nur 20—30 Sängern, dieser zählt, wenn ich nicht irre, etwa 100 Sänger;


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[0094] der Ausführung. — Endlich erwähne ich noch einiger Concerte, die der junge Clavierspieler Pochendick, ein tüchtig gebildeter Schüler Kullaks gab. In diesen und den noch später zu erwähnenden Concerten ist eine sehr große Zahl von Sängern und namentlich Sängerinnen aufgetreten , die einzeln zu besprechen zu weit führen würde. Der Charakter dieser Leistungen aber läßt sich im Ganzen dahin bestimmen, daß sehr viele ansprechende Stimmen sich hören ließen, die aber meist mit ihren Studien noch nicht fertig waren. Es sammeln sich hier auf diesem Gebiet viele Talente, doch selten hört man technisch Befriedigen¬ des, noch seltener zeigt sich geistige Auffassung. Namentlich sind es Schüle¬ rinnen von Martius, Stümer, Teschner, Elsner, Sieber, Kotzoldt und den Damen Burchardt und Zimmermann, die sich öffentlich hören ließen. Mehr¬ mals trat die schwedische Sängerin Frl. Westerstrand hier auf, die aber durch ihre bedeutende Coloraturfertigkeit den Mangel an schönem Ton nicht ersetzen konnte. Die einheimischen Concerte wären hiermit beendigt, mit Ausnahme der¬ jenigen, die als die eigenthümlichste Gestaltung unsres Musiklebens gelten können, der Domchorconcerte. Wir haben sie von den Oratorienaufführungen getrennt, weil sie ihrem Wesen nach nicht dorthin gehören. Das Publicum ist hier nicht durch eigne Mitwirkung betheiligt; es ist ein Kunstchor, der ihm gegenübertritt und fertige Leistungen entgegenbringt. So fehlt hier dasjenige Moment, was unsern Oratorien eine so volksthümliche und allgemein mensch¬ liche Bedeutung gibt. Doch tritt noch ein zweiter Umstand hinzu. Der Dom¬ chor singt nur g, LÄpLlla und ist infolge dessen meist auf Composttionen von kleinerem Umfang beschränkt, auf solche Werke ferner, die einer strengeren kirch¬ lichen Richtung angehören und der modernen Empfindungsweise ferner liegen. Also auch von dieser Seite erscheinen die Domchorconcerte als eine der Spitzen, die sich an unserm Mustkbau erheben, als eine der höchsten Steigerungen des¬ selben, nicht als Grundlage. Die Correctheit der Ausführung und die über¬ wältigende Schönheit der Klangwirkung, diese Eigenschaften deö Domchors sind bekannt. Auch die Nüancirungen des Vortrags sind sehr sein und wir¬ kungsreich, doch ist vielleicht nach dieser Seite hin der Domchor noch nicht ganz fertig, insofern als jeder Stil seine eigenthümliche Art des Vortrags ver¬ langt und bei der großen Mannigfaltigkeit von Stilarten, deren künstlerische Vertretung er sich zur Aufgabe setzt, wol längere Zeit dazu gehört, um die Eigenthümlichkeit eines jeden streng festzuhalten. Derselbe Umstand, der dem Domchor seine große musikalische Bedeutung gibt, legt ihm auch Schwierigkeiten in den Weg, deren Bewältigung nicht ganz leicht ist. Es gibt nämlich nur zwei Chöre in der Welt, die mit dem Domchor verglichen werden können, die sir- tinische Kapelle in Rom und der Kirchenchor in Petersburg. Jene besteht aus nur 20—30 Sängern, dieser zählt, wenn ich nicht irre, etwa 100 Sänger;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/94>, abgerufen am 25.08.2024.