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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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die an Schmelz und Farbenpracht der italienischen nichts nachgibt und doch
tiefer, sinniger ist, und durch die Kraft der Gegensätze. Eine schöne Abwechs¬
lung brachten die Liedervorträge des Herrn v.d. Osten hervor und wir müssen
es dankend anerkennen, daß er, um ein wenig gekanntes Werk Beethovens
in Erinnerung zu bringen, an einem der Abende den Liederkreis an die ferne
Geliebte vortrug, der seiner Stimme und Vortragsweise wenig günstig ist. Bei
dieser Gelegenheit sei erwähnt, daß unsre Sänger und Sängerinnen, die Di¬
lettanten mit eingeschlossen, wenn sie einmal in Concerten auftreten, mit ihrer
Auswahl sehr unkünstlerisch verfahren. Man kann noch zufrieden sein, wenn
sie unsere classischen Opern- und Kirchenarien, deren einige man nur leider
viel zu oft hören muß und die verständlicheren, leichteren Lieder von Schubert,
Mendelssohn, Taubert singen. Aber Schubert und die neueren Liedercomponisten
werden für das Concert bei weitem nicht in ihrem vollen Umfange benutzt;
und namentlich in Betreff Schuberts ist es unverantwortlich, welche Unkennt¬
nis) unter dem Publicum, ja oft selbst unter den Sängern und Musikern über
ihn herrscht. Es ist allerdings nicht ganz leicht, Gesangsvorträge sür das
Concert zu finden; aber besser, als es in Berlin in diesem Punkt geschieht,
läßt es sich denn doch einrichten, wenn man nur den guten Willen hat, nicht
blos auf den Beifall der großen Masse zu speculiren. Mitunter haben wir
aber auch Lieder von der allergewöhnlichsten Sorte gehört und zwar von unsern
besten Sängern und hierin zeigt es sich recht, wie sehr oft der Sänger und
der Musiker, ja der gebildete Mensch auseinanderfallen.

Von unsern einheimischen Künstlern hatten serner noch die Herren
Ries, ein Violinspieler der ältern Schule und' in seiner ruhigeren Richtung
sehr verdienstvoll, und Steifensandt, ein geschätzter Clavierspieler, der uns
oft durch interessante Privatmatineen erfreut, einen Cyklus von drei Con¬
certen veranstaltet, in denen auch manches seltener gehörte Werk zur
Aufführung kam, z. B. das Clavierquintett von R. Schumann, die Clavier-
Phantasie von Beethoven, Beethovens Sonate "leg ^clieux,", die Ge¬
sangsscene sür Violine von Spohr, ein Rondo von Schubert für Clavier
und Violine. Auch einige Gesangsensembles kamen hier zur Ausführung.
Leider liegt diese Gattung unsern Concertgebern noch sehr fern, und so sind
die reizenden gemischten Quartette von Mendelssohn und vieles Andre der Art
dem Publicum immer noch wenig bekannt. Es scheint sehr schwer, Sänger
dahin zu stimmen, daß sie der Kunst das Opfer der persönlichen Eitelkeit
bringen; denn wie man hört, sind Versuche dieser Art meistens daran geschei¬
tert, daß der einzelne vor allen Dingen Solo singen wollte; -- drei Matineen,
welche die Herren Wohlers und v. Kolb gaben, brachten zwar außer einer von
Talent und Formgewandtheit zeugenden Sonate für Clavier und Cello von Ulrich
nichts besonders Bemerkenswerthes, hatten aber auch manches Verdienstliche in


die an Schmelz und Farbenpracht der italienischen nichts nachgibt und doch
tiefer, sinniger ist, und durch die Kraft der Gegensätze. Eine schöne Abwechs¬
lung brachten die Liedervorträge des Herrn v.d. Osten hervor und wir müssen
es dankend anerkennen, daß er, um ein wenig gekanntes Werk Beethovens
in Erinnerung zu bringen, an einem der Abende den Liederkreis an die ferne
Geliebte vortrug, der seiner Stimme und Vortragsweise wenig günstig ist. Bei
dieser Gelegenheit sei erwähnt, daß unsre Sänger und Sängerinnen, die Di¬
lettanten mit eingeschlossen, wenn sie einmal in Concerten auftreten, mit ihrer
Auswahl sehr unkünstlerisch verfahren. Man kann noch zufrieden sein, wenn
sie unsere classischen Opern- und Kirchenarien, deren einige man nur leider
viel zu oft hören muß und die verständlicheren, leichteren Lieder von Schubert,
Mendelssohn, Taubert singen. Aber Schubert und die neueren Liedercomponisten
werden für das Concert bei weitem nicht in ihrem vollen Umfange benutzt;
und namentlich in Betreff Schuberts ist es unverantwortlich, welche Unkennt¬
nis) unter dem Publicum, ja oft selbst unter den Sängern und Musikern über
ihn herrscht. Es ist allerdings nicht ganz leicht, Gesangsvorträge sür das
Concert zu finden; aber besser, als es in Berlin in diesem Punkt geschieht,
läßt es sich denn doch einrichten, wenn man nur den guten Willen hat, nicht
blos auf den Beifall der großen Masse zu speculiren. Mitunter haben wir
aber auch Lieder von der allergewöhnlichsten Sorte gehört und zwar von unsern
besten Sängern und hierin zeigt es sich recht, wie sehr oft der Sänger und
der Musiker, ja der gebildete Mensch auseinanderfallen.

Von unsern einheimischen Künstlern hatten serner noch die Herren
Ries, ein Violinspieler der ältern Schule und' in seiner ruhigeren Richtung
sehr verdienstvoll, und Steifensandt, ein geschätzter Clavierspieler, der uns
oft durch interessante Privatmatineen erfreut, einen Cyklus von drei Con¬
certen veranstaltet, in denen auch manches seltener gehörte Werk zur
Aufführung kam, z. B. das Clavierquintett von R. Schumann, die Clavier-
Phantasie von Beethoven, Beethovens Sonate „leg ^clieux,", die Ge¬
sangsscene sür Violine von Spohr, ein Rondo von Schubert für Clavier
und Violine. Auch einige Gesangsensembles kamen hier zur Ausführung.
Leider liegt diese Gattung unsern Concertgebern noch sehr fern, und so sind
die reizenden gemischten Quartette von Mendelssohn und vieles Andre der Art
dem Publicum immer noch wenig bekannt. Es scheint sehr schwer, Sänger
dahin zu stimmen, daß sie der Kunst das Opfer der persönlichen Eitelkeit
bringen; denn wie man hört, sind Versuche dieser Art meistens daran geschei¬
tert, daß der einzelne vor allen Dingen Solo singen wollte; — drei Matineen,
welche die Herren Wohlers und v. Kolb gaben, brachten zwar außer einer von
Talent und Formgewandtheit zeugenden Sonate für Clavier und Cello von Ulrich
nichts besonders Bemerkenswerthes, hatten aber auch manches Verdienstliche in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/93>, abgerufen am 25.08.2024.