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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mit Unrecht, wenigstens steht sie oben an unter den Orten und Burgen, die,
wie Perlen eine schöne Stirn, diademartig das liebliche Mimlingthal schmücken.
Ich bestieg die alte Beste in der Hoffnung, eine weite Fernsicht zu gewinnen.
Die höheren Berge aber ringsum verhindern solche und man blickt nur in die
waldigen Schluchten der Nähe. Dennoch ist der Aufenthalt reizend. Die
Gärten, die das Schloß umgeben, ertönten vom Schlage der Nachtigallen und
aus den Thälern rundum erklang das Gepoch der nahen Hammerwerke.
Wieder stand ich auf classischem Boden. Jene Römer der 22. Legion, die
unter Titus Jerusalem stürmte und nachher in Mainz ihr Lager aufschlug,
haben zahlreiche Spuren ihres Aufenthaltes auch hier zurückgelassen. An die
Stelle einer römischen Beste trat später die deutsche Burg, deren Mauern noch
jetzt die Jahreszahl"!204 tragen und nach der die Edeln von Breuberg, Lehns¬
leute des Stiftes Fulda, sich nannten. Der starke Thurm gilt noch als römisch;
freilich ist man mit solcher Benennung oft zu schnell bereit; das Mittelalter
war wahrhaftig nicht minder großer Werke sähig. Schloß und Gegend hatten
viel von Till", mehr noch von Turenne zu leiden. Letzterer ließ auch den
ganz in Felsen gehauenen tiefen Brunnen verschütten. Was ist doch alles
Leiden eines dreißigjährigen Krieges gegen die Schmach, die uns durch die
vandalische Zerstörungswuth jener Franzosen angethan ward. Das Herz sollte
jedem Deutschen in Zorn aufwallen, wenn er dieser Frevelthaten gedenkt,
der Trümmer des Heidelberger Schlosses, des Klosters Hirsau, der ent¬
heiligten Dome von Worms und Speier. Doch nicht den Fremden wollen
wir zürnen, vielmehr uns selbst. Was ein Volk leidet, hat es selbst ver-
chuldet.

Der letzte Ort des Mimlingthales ist Obern bürg, schon am Main ge¬
legen, ihm gegenüber im romantischen Thale des Spessart Elsenfeld, beide
Marktflecken römischen Ursprungs. Der sogenannte "Pfahlgraben" lief hier
über den Main nach Trennfurt, und sogar die Benennung Obernburg leitet
man von den Römern her, von ousteUum superlas. im Gegensatz von dem
strvmcibgelegenen Niedernburg. Eine römische Hauptstraße, die sich von
Mudau im Odenwalde gegen Frankfurt hinzog, sowie die alte Geleitsstraße
berührten Obernburg. Ihm schräg gegenüber oberhalb am Main auf Reben-
Hügeln liegt Erlenbach, in welchem der gewürzreiche rothe Mainwein gebaut
wird. Zwischen hier und Elsenfeld ist das Da ins selb (campus ä-rmnatus),
auf dem einst Caracalla eine blutige Schlacht gegen die Deutschen verloren
haben soll. Es waren Kalter, die damals dem römischen Kaiser gegenüber¬
standen, ein Theil des großen Völkerbundes der Alemannen, der mit diesem
Kampfe zugleich zum ersten Male in der Geschichte erscheint. Durch Künste
der Lift und Treulosigkeit hatte Caracalla die Alemannen gewonnen; doch als
einst ihre junge Mannschaft sich bei ihm versammelte, um in seinen Sold zu


Grenzboten. IV. 1866. 9

mit Unrecht, wenigstens steht sie oben an unter den Orten und Burgen, die,
wie Perlen eine schöne Stirn, diademartig das liebliche Mimlingthal schmücken.
Ich bestieg die alte Beste in der Hoffnung, eine weite Fernsicht zu gewinnen.
Die höheren Berge aber ringsum verhindern solche und man blickt nur in die
waldigen Schluchten der Nähe. Dennoch ist der Aufenthalt reizend. Die
Gärten, die das Schloß umgeben, ertönten vom Schlage der Nachtigallen und
aus den Thälern rundum erklang das Gepoch der nahen Hammerwerke.
Wieder stand ich auf classischem Boden. Jene Römer der 22. Legion, die
unter Titus Jerusalem stürmte und nachher in Mainz ihr Lager aufschlug,
haben zahlreiche Spuren ihres Aufenthaltes auch hier zurückgelassen. An die
Stelle einer römischen Beste trat später die deutsche Burg, deren Mauern noch
jetzt die Jahreszahl"!204 tragen und nach der die Edeln von Breuberg, Lehns¬
leute des Stiftes Fulda, sich nannten. Der starke Thurm gilt noch als römisch;
freilich ist man mit solcher Benennung oft zu schnell bereit; das Mittelalter
war wahrhaftig nicht minder großer Werke sähig. Schloß und Gegend hatten
viel von Till», mehr noch von Turenne zu leiden. Letzterer ließ auch den
ganz in Felsen gehauenen tiefen Brunnen verschütten. Was ist doch alles
Leiden eines dreißigjährigen Krieges gegen die Schmach, die uns durch die
vandalische Zerstörungswuth jener Franzosen angethan ward. Das Herz sollte
jedem Deutschen in Zorn aufwallen, wenn er dieser Frevelthaten gedenkt,
der Trümmer des Heidelberger Schlosses, des Klosters Hirsau, der ent¬
heiligten Dome von Worms und Speier. Doch nicht den Fremden wollen
wir zürnen, vielmehr uns selbst. Was ein Volk leidet, hat es selbst ver-
chuldet.

Der letzte Ort des Mimlingthales ist Obern bürg, schon am Main ge¬
legen, ihm gegenüber im romantischen Thale des Spessart Elsenfeld, beide
Marktflecken römischen Ursprungs. Der sogenannte „Pfahlgraben" lief hier
über den Main nach Trennfurt, und sogar die Benennung Obernburg leitet
man von den Römern her, von ousteUum superlas. im Gegensatz von dem
strvmcibgelegenen Niedernburg. Eine römische Hauptstraße, die sich von
Mudau im Odenwalde gegen Frankfurt hinzog, sowie die alte Geleitsstraße
berührten Obernburg. Ihm schräg gegenüber oberhalb am Main auf Reben-
Hügeln liegt Erlenbach, in welchem der gewürzreiche rothe Mainwein gebaut
wird. Zwischen hier und Elsenfeld ist das Da ins selb (campus ä-rmnatus),
auf dem einst Caracalla eine blutige Schlacht gegen die Deutschen verloren
haben soll. Es waren Kalter, die damals dem römischen Kaiser gegenüber¬
standen, ein Theil des großen Völkerbundes der Alemannen, der mit diesem
Kampfe zugleich zum ersten Male in der Geschichte erscheint. Durch Künste
der Lift und Treulosigkeit hatte Caracalla die Alemannen gewonnen; doch als
einst ihre junge Mannschaft sich bei ihm versammelte, um in seinen Sold zu


Grenzboten. IV. 1866. 9
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[0073] mit Unrecht, wenigstens steht sie oben an unter den Orten und Burgen, die, wie Perlen eine schöne Stirn, diademartig das liebliche Mimlingthal schmücken. Ich bestieg die alte Beste in der Hoffnung, eine weite Fernsicht zu gewinnen. Die höheren Berge aber ringsum verhindern solche und man blickt nur in die waldigen Schluchten der Nähe. Dennoch ist der Aufenthalt reizend. Die Gärten, die das Schloß umgeben, ertönten vom Schlage der Nachtigallen und aus den Thälern rundum erklang das Gepoch der nahen Hammerwerke. Wieder stand ich auf classischem Boden. Jene Römer der 22. Legion, die unter Titus Jerusalem stürmte und nachher in Mainz ihr Lager aufschlug, haben zahlreiche Spuren ihres Aufenthaltes auch hier zurückgelassen. An die Stelle einer römischen Beste trat später die deutsche Burg, deren Mauern noch jetzt die Jahreszahl"!204 tragen und nach der die Edeln von Breuberg, Lehns¬ leute des Stiftes Fulda, sich nannten. Der starke Thurm gilt noch als römisch; freilich ist man mit solcher Benennung oft zu schnell bereit; das Mittelalter war wahrhaftig nicht minder großer Werke sähig. Schloß und Gegend hatten viel von Till», mehr noch von Turenne zu leiden. Letzterer ließ auch den ganz in Felsen gehauenen tiefen Brunnen verschütten. Was ist doch alles Leiden eines dreißigjährigen Krieges gegen die Schmach, die uns durch die vandalische Zerstörungswuth jener Franzosen angethan ward. Das Herz sollte jedem Deutschen in Zorn aufwallen, wenn er dieser Frevelthaten gedenkt, der Trümmer des Heidelberger Schlosses, des Klosters Hirsau, der ent¬ heiligten Dome von Worms und Speier. Doch nicht den Fremden wollen wir zürnen, vielmehr uns selbst. Was ein Volk leidet, hat es selbst ver- chuldet. Der letzte Ort des Mimlingthales ist Obern bürg, schon am Main ge¬ legen, ihm gegenüber im romantischen Thale des Spessart Elsenfeld, beide Marktflecken römischen Ursprungs. Der sogenannte „Pfahlgraben" lief hier über den Main nach Trennfurt, und sogar die Benennung Obernburg leitet man von den Römern her, von ousteUum superlas. im Gegensatz von dem strvmcibgelegenen Niedernburg. Eine römische Hauptstraße, die sich von Mudau im Odenwalde gegen Frankfurt hinzog, sowie die alte Geleitsstraße berührten Obernburg. Ihm schräg gegenüber oberhalb am Main auf Reben- Hügeln liegt Erlenbach, in welchem der gewürzreiche rothe Mainwein gebaut wird. Zwischen hier und Elsenfeld ist das Da ins selb (campus ä-rmnatus), auf dem einst Caracalla eine blutige Schlacht gegen die Deutschen verloren haben soll. Es waren Kalter, die damals dem römischen Kaiser gegenüber¬ standen, ein Theil des großen Völkerbundes der Alemannen, der mit diesem Kampfe zugleich zum ersten Male in der Geschichte erscheint. Durch Künste der Lift und Treulosigkeit hatte Caracalla die Alemannen gewonnen; doch als einst ihre junge Mannschaft sich bei ihm versammelte, um in seinen Sold zu Grenzboten. IV. 1866. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/73>, abgerufen am 02.10.2024.