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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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treten, wurden plötzlich auf ein gegebenes Zeichen sämmtliche deutsche Jünglinge
niedergemacht. Dies gab die Ursache zum Kriege ab. Mit furchtbarer Er¬
bitterung stritten die Deutschen. Caracalla zog sich zurück, nachdem er deutsche
Tapferkeit und Rache kennen gelernt hatte. Noch findet man hier viele
römische Grabhügel und Waffen. Auch führt ein Graben den Namen des
Blutgraben, und selbst der Name des nahen Dorfes Streit und Wallstadt
(Wahlstatt) wird hierauf bezogen. Und auch an einen andern römischen
Kaiser mahnt diese Gegend, an Julian, den Apostaten, welcher, ehe er seine für
das Aufblühen des Christenthums so verderbliche, sonst aber für die Erhaltung
des römischen Reiches so förderliche Regierung antrat, blutigen Krieg mit den
Deutschen führte. Schon hatte er bei Straßburg über sieben alemannische
Könige einen glänzenden Sieg erfochten und suchte jetzt von Mainz aus
auch in die Waldungen des Spessart vorzudringen. 800 Mann schickte er auf
Schiffen den Main hin,an; er selbst folgte auf der linken Seite desselben.
sengend und brennend schritt das Heer vor. Die Weiber flüchteten mit ihren
Kindern aus den Dörfern, aber die Männer zogen sich zusammen, und noch
war Julian nicht weit vorgedrungen, da berichtete man ihm, daß die Ale¬
mannen sich in die dichte Waldung zurückgezogen und alle Zugänge derselben
mit gewaltigen Bäumen versperrt hätten. Ueberdies fing die Gegend an, den
Römern unheimlich zu werden. Berg und Flur lagen mit tiefem Schnee be¬
deckt und eine schneidende Kälte wehte den Italienern entgegen, an die sie sich
noch nicht gewöhnt hatten. Julian eilte zurück in seine Städte am Rhein.

Berühmt im Odenwalds sind durch Volkssagen zwei Geisterburgen, Roden¬
stein und Schnellert. Erstere liegt unweit Eberbach, letztere bei Oberkains-
bach, beide als Ruinen. Auf dem verfallenen Ritterschlosse Schnellert soll der
unheilverkündende Geist und wilde Jäger Lindenschmidt seinen Sitz haben;
er wird nur beim Herannahen außerordentlicher Weltbegebenheiten rege, vor¬
züglich vor dem Ausbruch eines Krieges, wo er in Heereshaufen von Geistern
von seiner Burg in die des Rodensteins einzieht. Deutlich wollen die Land¬
leute jener Gegend den nächtlichen Zug von Reitern, Wagen und Heergeräthe
gehört, aber niemals gesehen haben. Kehrt das Geisterheer bald wieder zurück,
so hat die Sache nicht viel zu bedeuten; bleibt es aber lange entfernt, so ist
ein böser Krieg zu erwarten. Den Ursprung jener Sage sucht das Volk in
der Geschichte des Ritters von Hohenstein, der nur in Jagd und Fehde hier
seine Freude fand. Einst aber ward er auf einem Turnier zu Heidelberg,
das der Pfalzgraf bei Rhein ausgeschrieben und in dem er alle Gegner vom
Sattel stach, durch die Reize des Fräulein von Hochberg, die ihm als Königin
des Festes den köstlichen Ritterdank ertheilte, besiegt, gestand und erhielt er
Liebe. In Mariens Arm vergaß der Ritter seine frühere wilde Jagd- und
Streitlust; aber plötzlich bei einer Jagd durch einen wilden Grenznachbar be-


treten, wurden plötzlich auf ein gegebenes Zeichen sämmtliche deutsche Jünglinge
niedergemacht. Dies gab die Ursache zum Kriege ab. Mit furchtbarer Er¬
bitterung stritten die Deutschen. Caracalla zog sich zurück, nachdem er deutsche
Tapferkeit und Rache kennen gelernt hatte. Noch findet man hier viele
römische Grabhügel und Waffen. Auch führt ein Graben den Namen des
Blutgraben, und selbst der Name des nahen Dorfes Streit und Wallstadt
(Wahlstatt) wird hierauf bezogen. Und auch an einen andern römischen
Kaiser mahnt diese Gegend, an Julian, den Apostaten, welcher, ehe er seine für
das Aufblühen des Christenthums so verderbliche, sonst aber für die Erhaltung
des römischen Reiches so förderliche Regierung antrat, blutigen Krieg mit den
Deutschen führte. Schon hatte er bei Straßburg über sieben alemannische
Könige einen glänzenden Sieg erfochten und suchte jetzt von Mainz aus
auch in die Waldungen des Spessart vorzudringen. 800 Mann schickte er auf
Schiffen den Main hin,an; er selbst folgte auf der linken Seite desselben.
sengend und brennend schritt das Heer vor. Die Weiber flüchteten mit ihren
Kindern aus den Dörfern, aber die Männer zogen sich zusammen, und noch
war Julian nicht weit vorgedrungen, da berichtete man ihm, daß die Ale¬
mannen sich in die dichte Waldung zurückgezogen und alle Zugänge derselben
mit gewaltigen Bäumen versperrt hätten. Ueberdies fing die Gegend an, den
Römern unheimlich zu werden. Berg und Flur lagen mit tiefem Schnee be¬
deckt und eine schneidende Kälte wehte den Italienern entgegen, an die sie sich
noch nicht gewöhnt hatten. Julian eilte zurück in seine Städte am Rhein.

Berühmt im Odenwalds sind durch Volkssagen zwei Geisterburgen, Roden¬
stein und Schnellert. Erstere liegt unweit Eberbach, letztere bei Oberkains-
bach, beide als Ruinen. Auf dem verfallenen Ritterschlosse Schnellert soll der
unheilverkündende Geist und wilde Jäger Lindenschmidt seinen Sitz haben;
er wird nur beim Herannahen außerordentlicher Weltbegebenheiten rege, vor¬
züglich vor dem Ausbruch eines Krieges, wo er in Heereshaufen von Geistern
von seiner Burg in die des Rodensteins einzieht. Deutlich wollen die Land¬
leute jener Gegend den nächtlichen Zug von Reitern, Wagen und Heergeräthe
gehört, aber niemals gesehen haben. Kehrt das Geisterheer bald wieder zurück,
so hat die Sache nicht viel zu bedeuten; bleibt es aber lange entfernt, so ist
ein böser Krieg zu erwarten. Den Ursprung jener Sage sucht das Volk in
der Geschichte des Ritters von Hohenstein, der nur in Jagd und Fehde hier
seine Freude fand. Einst aber ward er auf einem Turnier zu Heidelberg,
das der Pfalzgraf bei Rhein ausgeschrieben und in dem er alle Gegner vom
Sattel stach, durch die Reize des Fräulein von Hochberg, die ihm als Königin
des Festes den köstlichen Ritterdank ertheilte, besiegt, gestand und erhielt er
Liebe. In Mariens Arm vergaß der Ritter seine frühere wilde Jagd- und
Streitlust; aber plötzlich bei einer Jagd durch einen wilden Grenznachbar be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/74>, abgerufen am 24.08.2024.