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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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stehen, unten mit einem niedrigen, buntangestrichenen Gitter gesperrt wird. In
die schiefstehende graue Strohdccke der Giebel ist in der Negel oben ein gerade
gestelltes Dreieck von Bretern eingesetzt. Ueber diesem ragen gewöhnlich zwei
sich kreuzende andere Breter empor, welche in der Gestalt von Pferdeköpfen
ausgeschnitzt sind und eine Erinnerung an die Roßvpfer des Heidenthums
sein mögen. Vielleicht verband sich damit einst der Glaube, daß sie, als Zeichen
der dem Gotte dargebrachten Gabe, dem Hause Segen brächten und es vor
Unglück, namentlich vor dem Gewitter, schützten. Sei dem wie ihm wolle,
neben dem vermeintlichen heidnischen Blitzableiter nistet fast ohne Ausnahme
der Storch mit seinem Weibchen, und nicht selten klappern sogar in zwei
Nestern auf einem Dache diese menschenfreundlichen Vögel ihren Jungen ihr
Wiegenlied vor.

Ein ungemein hübsches ländliches Bild! Dennoch würde ein solches
Haus mit seinem rauchgeschwärzten Dache und seinen dunkelgrünen Movs-
klumpen auf First und Giebel ziemlich trübselig aussehen, wenn der Bewohner
nicht dafür Sorge getragen hätte, ihm die buntesten Mauern zu geben, die
eine Bauernphantasie zu erdenken im Stande ist. Die Wände sind von Bal¬
kenwerk, welches meist einen schwarzen Anstrich hat, und in dessen Quadrate
bisweilen weiße oder gelbe, bisweilen rothe Ziegeln mit weißgetünchten Fugen,
mitunter auch schwarze, weiße, rothe und gelbe Ziegeln zugleich eingelassen
sind. Diese stellen phantasiereiche Baukünstler, vorzüglich unter dem Vorder¬
giebel, zu allerlei Mustern und Figuren, Rosetten, Dreiecken, Sternen, Kreisen
und Halbkreisen zusammen -- eine rohe Mosaik, die den um die Ecke Biegen¬
den zuweilen beinahe erschreckt und sich in einzelnen Fällen fast wie die Tep¬
piche ausnimmt, welche sparsame Hausfrauen aus allerhand Tuchläppchcn
zusammenzunähen pflegen. Andere haben es geschmackvoller gefunden, die
Zwischenräume zwischen den Pfosten mit schreienden Farben zu übertünchen,
und dann kommt es vor, daß einem Rosenroth oder Dottergelb aus dem ru߬
schwarzen Balkenwerke in die Augen sticht. Rechnet man dazu den zeisiggrü¬
nen oder himmelblauen Anstrich der Dachluken und Pferdeköpfe, der Fenster¬
rahmen und Thorgewände, die Sprüche oder Buchstaben und das Schnitzwerk
an der Einfahrt, so läßt ein solches Gebäude im Punkte des Farbenreichrhums
nichts zu wünschen übrig, und die Eintönigkeit des Daches ist mehr als die
künstlerische Gerechtigkeit verlangen kann, ausgeglichen. Die Fenster befinden
sich auf der dem Wege entgegengesetzten schmalen Seite des Hauses und sehen
nach dem Garten hinaus. Die langen Seiten haben gewöhnlich nur Stall¬
luken, in ganz alten Häusern aber auch diese nicht.

Tritt man durch die Einfahrt ins Innere eines solchen wunderlichen Ge¬
bäudes, so bietet sich ein womöglich noch ungewöhnlicherer Anblick. Man
sieht sich auf der "Dehl", in einem Raume, der zugleich Dreschtenne, Vieh-


stehen, unten mit einem niedrigen, buntangestrichenen Gitter gesperrt wird. In
die schiefstehende graue Strohdccke der Giebel ist in der Negel oben ein gerade
gestelltes Dreieck von Bretern eingesetzt. Ueber diesem ragen gewöhnlich zwei
sich kreuzende andere Breter empor, welche in der Gestalt von Pferdeköpfen
ausgeschnitzt sind und eine Erinnerung an die Roßvpfer des Heidenthums
sein mögen. Vielleicht verband sich damit einst der Glaube, daß sie, als Zeichen
der dem Gotte dargebrachten Gabe, dem Hause Segen brächten und es vor
Unglück, namentlich vor dem Gewitter, schützten. Sei dem wie ihm wolle,
neben dem vermeintlichen heidnischen Blitzableiter nistet fast ohne Ausnahme
der Storch mit seinem Weibchen, und nicht selten klappern sogar in zwei
Nestern auf einem Dache diese menschenfreundlichen Vögel ihren Jungen ihr
Wiegenlied vor.

Ein ungemein hübsches ländliches Bild! Dennoch würde ein solches
Haus mit seinem rauchgeschwärzten Dache und seinen dunkelgrünen Movs-
klumpen auf First und Giebel ziemlich trübselig aussehen, wenn der Bewohner
nicht dafür Sorge getragen hätte, ihm die buntesten Mauern zu geben, die
eine Bauernphantasie zu erdenken im Stande ist. Die Wände sind von Bal¬
kenwerk, welches meist einen schwarzen Anstrich hat, und in dessen Quadrate
bisweilen weiße oder gelbe, bisweilen rothe Ziegeln mit weißgetünchten Fugen,
mitunter auch schwarze, weiße, rothe und gelbe Ziegeln zugleich eingelassen
sind. Diese stellen phantasiereiche Baukünstler, vorzüglich unter dem Vorder¬
giebel, zu allerlei Mustern und Figuren, Rosetten, Dreiecken, Sternen, Kreisen
und Halbkreisen zusammen — eine rohe Mosaik, die den um die Ecke Biegen¬
den zuweilen beinahe erschreckt und sich in einzelnen Fällen fast wie die Tep¬
piche ausnimmt, welche sparsame Hausfrauen aus allerhand Tuchläppchcn
zusammenzunähen pflegen. Andere haben es geschmackvoller gefunden, die
Zwischenräume zwischen den Pfosten mit schreienden Farben zu übertünchen,
und dann kommt es vor, daß einem Rosenroth oder Dottergelb aus dem ru߬
schwarzen Balkenwerke in die Augen sticht. Rechnet man dazu den zeisiggrü¬
nen oder himmelblauen Anstrich der Dachluken und Pferdeköpfe, der Fenster¬
rahmen und Thorgewände, die Sprüche oder Buchstaben und das Schnitzwerk
an der Einfahrt, so läßt ein solches Gebäude im Punkte des Farbenreichrhums
nichts zu wünschen übrig, und die Eintönigkeit des Daches ist mehr als die
künstlerische Gerechtigkeit verlangen kann, ausgeglichen. Die Fenster befinden
sich auf der dem Wege entgegengesetzten schmalen Seite des Hauses und sehen
nach dem Garten hinaus. Die langen Seiten haben gewöhnlich nur Stall¬
luken, in ganz alten Häusern aber auch diese nicht.

Tritt man durch die Einfahrt ins Innere eines solchen wunderlichen Ge¬
bäudes, so bietet sich ein womöglich noch ungewöhnlicherer Anblick. Man
sieht sich auf der „Dehl", in einem Raume, der zugleich Dreschtenne, Vieh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/66>, abgerufen am 26.08.2024.