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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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statt, Scheune und Küche ist. Auf der Tenne, welche die Mitte einnimmt,
liegen Sirohbündel und Körnerhaufen, an denen Hühner naschen. Von den
Seiten her schauen rechts, die Ohren spitzend, Pferde, links die gehörnten
Köpfe und die ewigkauenden Mäuler von Kühen aus ihren Ständern. Im
Halbdunkel des Hintergrundes erhebt sich, mit blinkendem Messing- und Blech¬
geschirr umhängen, ein gewaltiger Kamin. Ueber dessen Flamme siedet puffend
und prasselnd ein Kessel mit Specksuppe, oder jüdische Töpfe mit Klößen --
die beiläufig bemerkt eine Speise sür Straußenmagen sind senden ihren
Dampf dem Rauche nach, der in bläulichen Wölkchen sich zwischen den Stan¬
gen verliert, welche die Decke bilden, und auf denen die letzte Ernte des Haus¬
besitzers lagert.

Zu beiden Seiten des Herdes öffnen sich Thüren, von denen die zur
Rechten in die "Dorns", die zur Linken in den "Pesel" führt. Die Dorns
ist Wohn- und SchlafstÄttc der Hausbewohner. Hier steht in mächtigen
Truhen, die mit Schnitzwerk, greller Malerei oder Arabesken von Eisenblech
verziert sind, der Kleider- und Leinwandschatz der Hausfrau. Hier befindet sich
ferner, fast überall mit dem Bilde eines springenden Pferdes geschmückt, ein
niedriger eiserner Ofen, auf dem der "Stulper", eine messingne Stürze zum
Warmhalten der Speisen, nicht fehlen darf. Hier hängt am Deckbalken neben
dem Rasirmesser die Flinte des Hausherrn, und hier steht das Spinnrad, an
dem -- ich zeichne hier ein bestimmtes, mir liebgewordenes Haus -- Gro߬
mutter sitzt und dem flachsköpfigen Nesthäkchen eine Sage von "de Unner-
erschen" im Kindelberge erzählt, während Großvater, den Kops in die Hände
gestützt, in der Postille die Buchstaben zusammenklaubt, die vor den alten
Augen verschwimmen wollen. Ich sagte, die Doms sei auch Schlafstätte.
Allein es fehlen die Betten. Da schließt die Hausfrau eine der Schrank¬
thüren auf, welche die ganze eine Wand einnehmen, und siehe, da sind sie,
die Kissen und Pfühle, rund und voll zum Zerplatzen und so tief, daß man
fürchten kann, aus Nimmerwiederkehr versinken zu müssen, wenn man sich ohne
Vorsichtsmaßregeln hineinwagte.

Der Pesel ist die Putzstube, das Allerheiligste, der Ort für die Haupt-
und Siaatsactionen im Leben des Landmanns. Hier werden die Hochzeiten,
die Kindtaufsschmäuse und -- wenn eine Seele in die himmlische Dorns ab¬
gerufen ist -- die Leichcnessen gehalten. Hier wird der Fremde einquartiert.
Hier sieht man bei den Wohlhabenden Stühle und Tische von polirtem Holz,
Polstersophas, modische Lampen und Silbergeschirr, bisweilen Teppiche und
Tapeten, vor allem aber -- ich kann mir einen sächsischen Bauer gar nicht
mehr ohne sie vorstellen -- eine gute Auswahl silberbeschlagener Meer-
schaumpfeifen.

Für die Milchkammer gibt es einen eignen Anbau. Das Gesinde hat


8*

statt, Scheune und Küche ist. Auf der Tenne, welche die Mitte einnimmt,
liegen Sirohbündel und Körnerhaufen, an denen Hühner naschen. Von den
Seiten her schauen rechts, die Ohren spitzend, Pferde, links die gehörnten
Köpfe und die ewigkauenden Mäuler von Kühen aus ihren Ständern. Im
Halbdunkel des Hintergrundes erhebt sich, mit blinkendem Messing- und Blech¬
geschirr umhängen, ein gewaltiger Kamin. Ueber dessen Flamme siedet puffend
und prasselnd ein Kessel mit Specksuppe, oder jüdische Töpfe mit Klößen —
die beiläufig bemerkt eine Speise sür Straußenmagen sind senden ihren
Dampf dem Rauche nach, der in bläulichen Wölkchen sich zwischen den Stan¬
gen verliert, welche die Decke bilden, und auf denen die letzte Ernte des Haus¬
besitzers lagert.

Zu beiden Seiten des Herdes öffnen sich Thüren, von denen die zur
Rechten in die „Dorns", die zur Linken in den „Pesel" führt. Die Dorns
ist Wohn- und SchlafstÄttc der Hausbewohner. Hier steht in mächtigen
Truhen, die mit Schnitzwerk, greller Malerei oder Arabesken von Eisenblech
verziert sind, der Kleider- und Leinwandschatz der Hausfrau. Hier befindet sich
ferner, fast überall mit dem Bilde eines springenden Pferdes geschmückt, ein
niedriger eiserner Ofen, auf dem der „Stulper", eine messingne Stürze zum
Warmhalten der Speisen, nicht fehlen darf. Hier hängt am Deckbalken neben
dem Rasirmesser die Flinte des Hausherrn, und hier steht das Spinnrad, an
dem — ich zeichne hier ein bestimmtes, mir liebgewordenes Haus — Gro߬
mutter sitzt und dem flachsköpfigen Nesthäkchen eine Sage von „de Unner-
erschen" im Kindelberge erzählt, während Großvater, den Kops in die Hände
gestützt, in der Postille die Buchstaben zusammenklaubt, die vor den alten
Augen verschwimmen wollen. Ich sagte, die Doms sei auch Schlafstätte.
Allein es fehlen die Betten. Da schließt die Hausfrau eine der Schrank¬
thüren auf, welche die ganze eine Wand einnehmen, und siehe, da sind sie,
die Kissen und Pfühle, rund und voll zum Zerplatzen und so tief, daß man
fürchten kann, aus Nimmerwiederkehr versinken zu müssen, wenn man sich ohne
Vorsichtsmaßregeln hineinwagte.

Der Pesel ist die Putzstube, das Allerheiligste, der Ort für die Haupt-
und Siaatsactionen im Leben des Landmanns. Hier werden die Hochzeiten,
die Kindtaufsschmäuse und — wenn eine Seele in die himmlische Dorns ab¬
gerufen ist — die Leichcnessen gehalten. Hier wird der Fremde einquartiert.
Hier sieht man bei den Wohlhabenden Stühle und Tische von polirtem Holz,
Polstersophas, modische Lampen und Silbergeschirr, bisweilen Teppiche und
Tapeten, vor allem aber — ich kann mir einen sächsischen Bauer gar nicht
mehr ohne sie vorstellen — eine gute Auswahl silberbeschlagener Meer-
schaumpfeifen.

Für die Milchkammer gibt es einen eignen Anbau. Das Gesinde hat


8*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/67>, abgerufen am 26.08.2024.