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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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von der Kuppe des Silberberges nach Süden schaut und das Auge sich bald
an dem Farbenwechsel von Wald und Feld, Wiesen und Hecken drunten
im Thalkessel weidet, bald an dem rothen Dache des Hüttner Herrenhauses,
bald an dem kleinen buchenbeschatteten Bistensee haftet, bald inmitten wind¬
bewegter Kornbreiten, Weizenkoppeln und stattlichen Dörfern über den breiten,
sonnebestrahlten Spiegel des Wittensees hingleitet und endlich über die in
Duft und Dunst verschwimmenden Gefilde jenseits des Kanals schweift'. Wie
eine Reliefkarte rollen sich im Süd- und Nordosten mit ihren grünen Land¬
vorsprüngen und blauen Föhrden der dänische Wohld und die Landschaft von
Schwansen und Angeln auf, während sich im Westen, nur bisweilen von
einem spitzen Kirchthurm unterbrochen, eine öde bräunlich-violette Haidefläche
hinzieht. Da, der rothe Fleck, gegen Morgen ist Eckernförde. Dort gegen
Mitternacht, unter der lichtgrünen Hügelkette des Schleilhals, erhebt sich der
Dom und die Altstadt Schleswigs, hier gegen Abend, wo der breire Wiesen¬
streif im Haideland die Eider andeutet, ragen die beiden Thürme Rendsburgs.
Dort endlich, ganz in der Ferne, wo die sinkende Sonne nur eben noch gestat¬
tet, die spitze Landzunge vom Meere zu unterscheiden, mochten die Dörfer sein,
in denen ich Tags zuvor die Propsteierinnen beim Tanze beobachtet hatte --
ein köstliches Panorama, in dessen Genuß aber immer und immer wieder die
Erinnerung an die Knechtschaft des herrlichen Landes ihre vergällenden Tropfen
fallen läßt.

Ascheffel selbst ist ein ziemlich großes Dorf von echtem niedersächsischen
Gepräge. Ich hätte Ihnen schon eher ein solches beschreiben sollen. Denn
dieselbe eigenthümliche Bauart findet sich schon südlich und östlich von Kiel
und reicht überhaupt durch den ganzen vom Sachsenstamme besiedelten Land¬
strich bis zur Schlei. Wenn ich es erst hier thue, so geschieht es, weil es
mir vorkam, als habe in diesem Bergländchen die Mode noch weniger als
anderwärts das Ursprüngliche verwischt.

Solch ein Dorf der Schleswig-holsteinischen Sachsen ist ein seltsamer An¬
blick. Es ist eine Gesammtheit, nicht wie bei Uns von Höfen, sondern von
Häusern, die alles, was zur Bauerwirthschaft gehört, Wohnung, Stall und
Scheune unter einem einzigen mächtigen Dache vereinigen. Statt mit der
breiten Seite sind diese oft bis zur Monstrosität großen Gebäude mit der
schmalen der Straße zugekehrt. Das steile Dach, stets mit Stroh oder Schilf
gedeckt, in der Mitte deö Firsts bisweilen von einem sattelartig eingelegten
Glasfenster durchbrochen, geht sowol aus den Langseiten als an den Giebeln
bis aus doppelte Mannshöhe herab. Charakteristisch ist, daß Schornsteine
fehlen und der Rauch von Herd und Ofen sich durch die Einfahrt seinen Weg
suchen muß, welche, so hoch und breit, daß ein beladener Heuwagen ohne Schwie¬
rigkeit hindurchkann, auf die Gasse hinausgähnt und, wenn ihre Flügel offen


Grenzboten. IV. 18ö6. 8

von der Kuppe des Silberberges nach Süden schaut und das Auge sich bald
an dem Farbenwechsel von Wald und Feld, Wiesen und Hecken drunten
im Thalkessel weidet, bald an dem rothen Dache des Hüttner Herrenhauses,
bald an dem kleinen buchenbeschatteten Bistensee haftet, bald inmitten wind¬
bewegter Kornbreiten, Weizenkoppeln und stattlichen Dörfern über den breiten,
sonnebestrahlten Spiegel des Wittensees hingleitet und endlich über die in
Duft und Dunst verschwimmenden Gefilde jenseits des Kanals schweift'. Wie
eine Reliefkarte rollen sich im Süd- und Nordosten mit ihren grünen Land¬
vorsprüngen und blauen Föhrden der dänische Wohld und die Landschaft von
Schwansen und Angeln auf, während sich im Westen, nur bisweilen von
einem spitzen Kirchthurm unterbrochen, eine öde bräunlich-violette Haidefläche
hinzieht. Da, der rothe Fleck, gegen Morgen ist Eckernförde. Dort gegen
Mitternacht, unter der lichtgrünen Hügelkette des Schleilhals, erhebt sich der
Dom und die Altstadt Schleswigs, hier gegen Abend, wo der breire Wiesen¬
streif im Haideland die Eider andeutet, ragen die beiden Thürme Rendsburgs.
Dort endlich, ganz in der Ferne, wo die sinkende Sonne nur eben noch gestat¬
tet, die spitze Landzunge vom Meere zu unterscheiden, mochten die Dörfer sein,
in denen ich Tags zuvor die Propsteierinnen beim Tanze beobachtet hatte —
ein köstliches Panorama, in dessen Genuß aber immer und immer wieder die
Erinnerung an die Knechtschaft des herrlichen Landes ihre vergällenden Tropfen
fallen läßt.

Ascheffel selbst ist ein ziemlich großes Dorf von echtem niedersächsischen
Gepräge. Ich hätte Ihnen schon eher ein solches beschreiben sollen. Denn
dieselbe eigenthümliche Bauart findet sich schon südlich und östlich von Kiel
und reicht überhaupt durch den ganzen vom Sachsenstamme besiedelten Land¬
strich bis zur Schlei. Wenn ich es erst hier thue, so geschieht es, weil es
mir vorkam, als habe in diesem Bergländchen die Mode noch weniger als
anderwärts das Ursprüngliche verwischt.

Solch ein Dorf der Schleswig-holsteinischen Sachsen ist ein seltsamer An¬
blick. Es ist eine Gesammtheit, nicht wie bei Uns von Höfen, sondern von
Häusern, die alles, was zur Bauerwirthschaft gehört, Wohnung, Stall und
Scheune unter einem einzigen mächtigen Dache vereinigen. Statt mit der
breiten Seite sind diese oft bis zur Monstrosität großen Gebäude mit der
schmalen der Straße zugekehrt. Das steile Dach, stets mit Stroh oder Schilf
gedeckt, in der Mitte deö Firsts bisweilen von einem sattelartig eingelegten
Glasfenster durchbrochen, geht sowol aus den Langseiten als an den Giebeln
bis aus doppelte Mannshöhe herab. Charakteristisch ist, daß Schornsteine
fehlen und der Rauch von Herd und Ofen sich durch die Einfahrt seinen Weg
suchen muß, welche, so hoch und breit, daß ein beladener Heuwagen ohne Schwie¬
rigkeit hindurchkann, auf die Gasse hinausgähnt und, wenn ihre Flügel offen


Grenzboten. IV. 18ö6. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/65>, abgerufen am 26.08.2024.