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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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jetzt führten Kinder, in den Garten herumhüpsend, ein Vorspiel der Dinge
auf, die da kommen sollten. Vor den Wirthshäusern hielt Wagen an Wagen
mit meerschaumpfeifenbcwaffneten Männern und Frauen in schwarzen Kopf-
Hüllen. Die Hausknechte schienen sich, wie mein Begleiter meinte, doppelt
würdevolle Gesichter, die Wirthinnen dreimal so geschäftige Mienen zugelegt
zu haben, als gewöhnlich. Der Geruch jenes bittern, brenzlichen, öligen
Kaffees, dem unsre Bauern mit einer so unbegreiflichen Liebe zugethan sind,
quoll als Festweihrauch aus jeder Käthe. Nach Tische war die Lust losgebrochen
und wir gingen, sie mit zu genießen.

Als wir die steinerne Freitreppe hinaufstiegen, welche, von Linden be¬
schattet, zur Thüre der größten Schenke führt, vernahmen wir bereits deutlich
das taktmäßige Rauschen und Stampfen tanzfreudiger Füße und das Gewinsel
und Gekreisch der Blasinstrumente des Orchesters. In der Hausflur drängte
sich im Rauche der Küche summend ein Volk von Kindern. Einige standen
auf den Zehen, andere hatten eine Lücke im Gedränge ausfindig gemacht, die
sie das Innere des Saales sehen ließ. Großmütter hielten die Kleinsten em¬
por, um sie durch die Thür ihre Zukunft schauen zu lassen. In dem breiten
berußten Kamin brodelte ein Kessel mit Wasser zu Kaffee und Grog über der
züngelnden Herdflamme. Zur Seite verkauften Höker an galante Tänzer
Apfelsinen und Honigkuchen. Mit Mühe gelangten wir in den Saal. Man
tanzte jetzt zum Anfange noch in Röcken und Spensern, die Männer Hut oder
Mütze auf dem Kopfe. Ein bunter Kranz von Mädchen in schwarzseidenen
Schoosjäckchen, weißen oder blauen Schürzen*) und hellrothen Röcken mit
dunkelblauem Schweif drehte sich, in die Arme der Burschen geschmiegt, an
uns vorüber. Wie flogen die Schürzen, wie wehten die Röcke, wie glühten
die Wangen, und wie lustig wirbelte durch die Strahlen der Nachmittagssonne
von der Diele zur Decke der Staub empor!

Am Abend war die Scene verändert. Jetzt hatte der Jubel seinen Gipfel
erreicht. Weg waren die Röcke der Burschen, weg von den Schultern der
Mädchen die knappen Jäckchen. Nur das schwarzseidene Mieder, das oben
mit durchbrochenen Silberknöpfen geziert, unrer an den Hüften von einem
handbreiten Bandgürtel mit weißem Grunde und bunten Blumen eingefaßt ist,
umspannte jetzt noch die Taille, und man konnte nunmehr die krugdeckelgroßen,
gleichfalls durchbrochenen silbernen Schlösser bewundern, welche bei der echten
Propsteierin die Schürze im Rücken zusammenhalten. War am Nachmittag
nur. die Classe der rothwollenen Röcke vertreten gewesen, so fegten jetzt im
Lichte der Talgkerzen auch viele von geblümtem Sammet und schwerer Seide
hin. Die meisten hatten die Haare a 1a ekiriois hintergekämmt und den Zopf



Die blauen werde" von den Verlobten als Symbol der Beständigkeit gegeben.
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jetzt führten Kinder, in den Garten herumhüpsend, ein Vorspiel der Dinge
auf, die da kommen sollten. Vor den Wirthshäusern hielt Wagen an Wagen
mit meerschaumpfeifenbcwaffneten Männern und Frauen in schwarzen Kopf-
Hüllen. Die Hausknechte schienen sich, wie mein Begleiter meinte, doppelt
würdevolle Gesichter, die Wirthinnen dreimal so geschäftige Mienen zugelegt
zu haben, als gewöhnlich. Der Geruch jenes bittern, brenzlichen, öligen
Kaffees, dem unsre Bauern mit einer so unbegreiflichen Liebe zugethan sind,
quoll als Festweihrauch aus jeder Käthe. Nach Tische war die Lust losgebrochen
und wir gingen, sie mit zu genießen.

Als wir die steinerne Freitreppe hinaufstiegen, welche, von Linden be¬
schattet, zur Thüre der größten Schenke führt, vernahmen wir bereits deutlich
das taktmäßige Rauschen und Stampfen tanzfreudiger Füße und das Gewinsel
und Gekreisch der Blasinstrumente des Orchesters. In der Hausflur drängte
sich im Rauche der Küche summend ein Volk von Kindern. Einige standen
auf den Zehen, andere hatten eine Lücke im Gedränge ausfindig gemacht, die
sie das Innere des Saales sehen ließ. Großmütter hielten die Kleinsten em¬
por, um sie durch die Thür ihre Zukunft schauen zu lassen. In dem breiten
berußten Kamin brodelte ein Kessel mit Wasser zu Kaffee und Grog über der
züngelnden Herdflamme. Zur Seite verkauften Höker an galante Tänzer
Apfelsinen und Honigkuchen. Mit Mühe gelangten wir in den Saal. Man
tanzte jetzt zum Anfange noch in Röcken und Spensern, die Männer Hut oder
Mütze auf dem Kopfe. Ein bunter Kranz von Mädchen in schwarzseidenen
Schoosjäckchen, weißen oder blauen Schürzen*) und hellrothen Röcken mit
dunkelblauem Schweif drehte sich, in die Arme der Burschen geschmiegt, an
uns vorüber. Wie flogen die Schürzen, wie wehten die Röcke, wie glühten
die Wangen, und wie lustig wirbelte durch die Strahlen der Nachmittagssonne
von der Diele zur Decke der Staub empor!

Am Abend war die Scene verändert. Jetzt hatte der Jubel seinen Gipfel
erreicht. Weg waren die Röcke der Burschen, weg von den Schultern der
Mädchen die knappen Jäckchen. Nur das schwarzseidene Mieder, das oben
mit durchbrochenen Silberknöpfen geziert, unrer an den Hüften von einem
handbreiten Bandgürtel mit weißem Grunde und bunten Blumen eingefaßt ist,
umspannte jetzt noch die Taille, und man konnte nunmehr die krugdeckelgroßen,
gleichfalls durchbrochenen silbernen Schlösser bewundern, welche bei der echten
Propsteierin die Schürze im Rücken zusammenhalten. War am Nachmittag
nur. die Classe der rothwollenen Röcke vertreten gewesen, so fegten jetzt im
Lichte der Talgkerzen auch viele von geblümtem Sammet und schwerer Seide
hin. Die meisten hatten die Haare a 1a ekiriois hintergekämmt und den Zopf



Die blauen werde» von den Verlobten als Symbol der Beständigkeit gegeben.
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[0059] jetzt führten Kinder, in den Garten herumhüpsend, ein Vorspiel der Dinge auf, die da kommen sollten. Vor den Wirthshäusern hielt Wagen an Wagen mit meerschaumpfeifenbcwaffneten Männern und Frauen in schwarzen Kopf- Hüllen. Die Hausknechte schienen sich, wie mein Begleiter meinte, doppelt würdevolle Gesichter, die Wirthinnen dreimal so geschäftige Mienen zugelegt zu haben, als gewöhnlich. Der Geruch jenes bittern, brenzlichen, öligen Kaffees, dem unsre Bauern mit einer so unbegreiflichen Liebe zugethan sind, quoll als Festweihrauch aus jeder Käthe. Nach Tische war die Lust losgebrochen und wir gingen, sie mit zu genießen. Als wir die steinerne Freitreppe hinaufstiegen, welche, von Linden be¬ schattet, zur Thüre der größten Schenke führt, vernahmen wir bereits deutlich das taktmäßige Rauschen und Stampfen tanzfreudiger Füße und das Gewinsel und Gekreisch der Blasinstrumente des Orchesters. In der Hausflur drängte sich im Rauche der Küche summend ein Volk von Kindern. Einige standen auf den Zehen, andere hatten eine Lücke im Gedränge ausfindig gemacht, die sie das Innere des Saales sehen ließ. Großmütter hielten die Kleinsten em¬ por, um sie durch die Thür ihre Zukunft schauen zu lassen. In dem breiten berußten Kamin brodelte ein Kessel mit Wasser zu Kaffee und Grog über der züngelnden Herdflamme. Zur Seite verkauften Höker an galante Tänzer Apfelsinen und Honigkuchen. Mit Mühe gelangten wir in den Saal. Man tanzte jetzt zum Anfange noch in Röcken und Spensern, die Männer Hut oder Mütze auf dem Kopfe. Ein bunter Kranz von Mädchen in schwarzseidenen Schoosjäckchen, weißen oder blauen Schürzen*) und hellrothen Röcken mit dunkelblauem Schweif drehte sich, in die Arme der Burschen geschmiegt, an uns vorüber. Wie flogen die Schürzen, wie wehten die Röcke, wie glühten die Wangen, und wie lustig wirbelte durch die Strahlen der Nachmittagssonne von der Diele zur Decke der Staub empor! Am Abend war die Scene verändert. Jetzt hatte der Jubel seinen Gipfel erreicht. Weg waren die Röcke der Burschen, weg von den Schultern der Mädchen die knappen Jäckchen. Nur das schwarzseidene Mieder, das oben mit durchbrochenen Silberknöpfen geziert, unrer an den Hüften von einem handbreiten Bandgürtel mit weißem Grunde und bunten Blumen eingefaßt ist, umspannte jetzt noch die Taille, und man konnte nunmehr die krugdeckelgroßen, gleichfalls durchbrochenen silbernen Schlösser bewundern, welche bei der echten Propsteierin die Schürze im Rücken zusammenhalten. War am Nachmittag nur. die Classe der rothwollenen Röcke vertreten gewesen, so fegten jetzt im Lichte der Talgkerzen auch viele von geblümtem Sammet und schwerer Seide hin. Die meisten hatten die Haare a 1a ekiriois hintergekämmt und den Zopf Die blauen werde» von den Verlobten als Symbol der Beständigkeit gegeben. >^ 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/59>, abgerufen am 25.08.2024.