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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wäre einmal nicht zu ändern. Ueverdies hätte man ja ihnen noch nicht in
den Kram gestört.

Schriebe ich meine Briefe an die Propsteier, so würde ich -- ganz ab¬
gesehen von dem Particularismus, der sich in jenem Troste spiegelt -- meinen
wackern Freunden bemerken, daß es zeitig genug geschehen, daß ihnen der dä¬
nische Uebermuth vielleicht eher als sich vermuthen, in den Kram stören wird.
Und für diesen Fall würde ich sie auf das Beispiel eines sehr respektablen
Mannes aus ihrer Mitte, der allerdings so lange schon todt ist, daß ich nicht
weiß, ob er anders als in der Sage gelebt hat, auf das Beispiel des alten
Jacob in Schrevenbork aufmerksam machen. Als sich bei dem einst zwei
Steuereinnehmer aus Lübeck einstellten, um Abgaben zu erheben, die er nicht
zu zahlen hatte, so sagte er, sie möchten nur hereintreten, sie sollten sogleich
haben, was ihnen gebührte. Als sie aber im Hause waren, schnitt er dem
einen den Bart ab und stopfte ihn dem andern in den Sack. Dessen Bart
hinwieder teilte er in den Thürpfosten hinein. Da hatten sie, was sie zu
kriegen hatten. Und als daraus der lübecker Rath Soldaten schickte, welche
zur Strafe für solchen Hohn das ganze Dorf niederrissen, so trat der alte Jacob
in seinen Thorweg, hieb die Art tief ins Gewände und sprach unverzagt:
"dies Haus gehört mir, ihr Herren von Lübeck und wem sein Leben lieb ist,
der komme mir nicht herein. So gewiß keiner von euch die Art da heraus¬
zieht, so gewiß wird sie dem den Schädel spalten, der über meine Schwelle
tritt." Da hat sich keiner Hand anzulegen getraut, die Lübecker sind davonge-
gezogen und das Haus des alten Jacob steht, glaub ich, noch heute.

Ich hielt mich, von der Gastfreundschaft, die hier Gesetze gibt, durchaus
nicht weggelassen, drei Tage in dem merkwürd igcn Ländchen auf und zwar, wie
augedeutet, während der Jubelzeit, wo die Pfingstgilde die gesammten zwanzig
Dörfer mit Einschluß der Gassen in Tanzplätze verwandelt und jedes Haus
beflissen ist, zu zeigen, was Küche, Keller und Kleidertruhe vermag. Sonder¬
bar ist, daß grade der Freitag, bei uns als unglückbedeutend verrufen, in den
Herzogthümern ein Tag der Freude ist. Vielleicht ist es ein Nachklang der
Zeit, wo Freia als Göttin des Liebesglücks verehrt wurde; denn bis hinauf
nach der Gegend von Flensburg werden, wie man mir sagt, auch die Hochzeiten,
bei denen der alte Brauch beobachtet wird, immer am vorletzten Tage der
Woche gehalten. Der Pfingstfreitag aber könnte ein Nest des altheidnischen
Frühlingsfestes sein. Schon die andächtige Inbrunst, mit welcher man Tag
und Nacht darauf lostanzt, daß die Fußsohlen verbrennen möchten, hat für
fromme Christen einen entschieden heidnischen Anstrich. Bereits am Morgen
des Donnerstags schwärmte es vor allen Thüren und Thoren Schönbergs von
geputzten Mädchen, derem raschen, geschmeidigen Dahingleiten eS deutlich an¬
zusehen war, daß der heidnische Tanzteufel schon in den Gelenken saß. Schon


wäre einmal nicht zu ändern. Ueverdies hätte man ja ihnen noch nicht in
den Kram gestört.

Schriebe ich meine Briefe an die Propsteier, so würde ich — ganz ab¬
gesehen von dem Particularismus, der sich in jenem Troste spiegelt — meinen
wackern Freunden bemerken, daß es zeitig genug geschehen, daß ihnen der dä¬
nische Uebermuth vielleicht eher als sich vermuthen, in den Kram stören wird.
Und für diesen Fall würde ich sie auf das Beispiel eines sehr respektablen
Mannes aus ihrer Mitte, der allerdings so lange schon todt ist, daß ich nicht
weiß, ob er anders als in der Sage gelebt hat, auf das Beispiel des alten
Jacob in Schrevenbork aufmerksam machen. Als sich bei dem einst zwei
Steuereinnehmer aus Lübeck einstellten, um Abgaben zu erheben, die er nicht
zu zahlen hatte, so sagte er, sie möchten nur hereintreten, sie sollten sogleich
haben, was ihnen gebührte. Als sie aber im Hause waren, schnitt er dem
einen den Bart ab und stopfte ihn dem andern in den Sack. Dessen Bart
hinwieder teilte er in den Thürpfosten hinein. Da hatten sie, was sie zu
kriegen hatten. Und als daraus der lübecker Rath Soldaten schickte, welche
zur Strafe für solchen Hohn das ganze Dorf niederrissen, so trat der alte Jacob
in seinen Thorweg, hieb die Art tief ins Gewände und sprach unverzagt:
„dies Haus gehört mir, ihr Herren von Lübeck und wem sein Leben lieb ist,
der komme mir nicht herein. So gewiß keiner von euch die Art da heraus¬
zieht, so gewiß wird sie dem den Schädel spalten, der über meine Schwelle
tritt." Da hat sich keiner Hand anzulegen getraut, die Lübecker sind davonge-
gezogen und das Haus des alten Jacob steht, glaub ich, noch heute.

Ich hielt mich, von der Gastfreundschaft, die hier Gesetze gibt, durchaus
nicht weggelassen, drei Tage in dem merkwürd igcn Ländchen auf und zwar, wie
augedeutet, während der Jubelzeit, wo die Pfingstgilde die gesammten zwanzig
Dörfer mit Einschluß der Gassen in Tanzplätze verwandelt und jedes Haus
beflissen ist, zu zeigen, was Küche, Keller und Kleidertruhe vermag. Sonder¬
bar ist, daß grade der Freitag, bei uns als unglückbedeutend verrufen, in den
Herzogthümern ein Tag der Freude ist. Vielleicht ist es ein Nachklang der
Zeit, wo Freia als Göttin des Liebesglücks verehrt wurde; denn bis hinauf
nach der Gegend von Flensburg werden, wie man mir sagt, auch die Hochzeiten,
bei denen der alte Brauch beobachtet wird, immer am vorletzten Tage der
Woche gehalten. Der Pfingstfreitag aber könnte ein Nest des altheidnischen
Frühlingsfestes sein. Schon die andächtige Inbrunst, mit welcher man Tag
und Nacht darauf lostanzt, daß die Fußsohlen verbrennen möchten, hat für
fromme Christen einen entschieden heidnischen Anstrich. Bereits am Morgen
des Donnerstags schwärmte es vor allen Thüren und Thoren Schönbergs von
geputzten Mädchen, derem raschen, geschmeidigen Dahingleiten eS deutlich an¬
zusehen war, daß der heidnische Tanzteufel schon in den Gelenken saß. Schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/58>, abgerufen am 25.08.2024.