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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Altar einer besondern Freundschaft und sucht eine Person, die ihr genug lieben
könnt, um ihr gegenüber vollkommen zu sein, eine Person, die euch heilig sei,
und der ihr gleichfalls heilig seid. Der große Zweck, den wir alle verfolgen
müssen, ist, unser Erbübel, die Persönlichkeit, auszurotten. Ihr werdet bald
sehen, daß, wenn man erst dahin gekommen ist, gegen einen Einzelnen voll¬
kommen zu sein, man auch bald gegen die Uebrigen besser wird, und wenn ihr
die ideale Liebe sucht, so werdet ihr bald merken, daß die ideale Freundschaft
auf eine wunderbare Weise das Herz dazu vorbereitet, ihre Wohlthat zu em¬
pfangen." .

Es konnte nicht fehlen, daß diese Art, in Mannskleidern in Paris zu
leben, die ärgsten Vorwürfe und Verleumdungen nach sich zog, aber Herr
Düdevant, ihr Mann, war vollständig unterrichtet und hatte nichts dagegen
einzuwenden, ebensowenig ihre Mutter; nur ihre Schwiegermutter, Madame
Düdevant, die sie einmal in Paris besuchte, drückte ihr Mißfallen aus. Sie
fragte, warum Aurora so lange in Paris ohne ihren Manu bliebe; diese ant¬
wortete, es geschehe mit Einwilligung ihres Mannes. -- Aber ist es wahr,
daß Sie die Absicht haben, Bücher zu drucken? -- Ja, Madame. -- El, el,
eine wunderliche Idee. -- Ja, Madame. -- Recht schön; aber ich hoffe
wenigstens, daß Sie den Namen, den ich führe, nicht auf den Einband ge¬
druckter Bücher setzen werden? -- O gewiß nicht, Madame, es hat keine
Noth.

In der That hatte sie bereits ihren erste" Roman: Rose und Blanche,
gearbeitet, ihn von ihrem jungen Freunde Jules Sandeau überarbeiten lassen
und als Namen des Verfassers wurde Jules Sand angegeben. Da das Buch
Beifall fand, wünschte der Verleger der spätern Romane den Namen beizu¬
behalten, weil aber Jules Sandeau keinen Antheil daran hatte, wollte er eS
nicht zugeben, und so wählte denn die Verfasserin das Pseudonym Georges
Sand, das sie seitdem immer beibehalten hat.

Ihr Mann besuchte sie zuweilen in Paris. Sie wohnten nicht zusammen,
um einander nicht zu geniren, aber ihr Mann speiste bei ihr und führte sie zu¬
weilen inS Theater. In Paris gestaltete sich das Verhältniß ganz gut, aber
wenn sie auf ihr Semester nach Nohant kam, wurde sie ihrem Mann öfters
unbequem, weil sie über manche häusliche Einrichtungen sich nicht einigen konn¬
ten. Dort schrieb sie "Jndiana" und "Valentine". Ihre kleine Tochter nahm
sie nach Vollendung des letztern Romans nach Paris mit.

Ihr erstes literarisches Auftreten war nicht ohne Schwierigkeiten. Sie
wollte ein Gutachten über ihr Talent haben, unb man wies sie an einen De¬
putaten, Herrn von Keratry, der selbst einen Roman geschrieben harte. Dieser
empfing sie mit der Versicherung, Frauen sollten sich überhaupt nicht in die
Literatur einmischen, weil sie dazu keinen Beruf hätten, und schloß mit der


Altar einer besondern Freundschaft und sucht eine Person, die ihr genug lieben
könnt, um ihr gegenüber vollkommen zu sein, eine Person, die euch heilig sei,
und der ihr gleichfalls heilig seid. Der große Zweck, den wir alle verfolgen
müssen, ist, unser Erbübel, die Persönlichkeit, auszurotten. Ihr werdet bald
sehen, daß, wenn man erst dahin gekommen ist, gegen einen Einzelnen voll¬
kommen zu sein, man auch bald gegen die Uebrigen besser wird, und wenn ihr
die ideale Liebe sucht, so werdet ihr bald merken, daß die ideale Freundschaft
auf eine wunderbare Weise das Herz dazu vorbereitet, ihre Wohlthat zu em¬
pfangen." .

Es konnte nicht fehlen, daß diese Art, in Mannskleidern in Paris zu
leben, die ärgsten Vorwürfe und Verleumdungen nach sich zog, aber Herr
Düdevant, ihr Mann, war vollständig unterrichtet und hatte nichts dagegen
einzuwenden, ebensowenig ihre Mutter; nur ihre Schwiegermutter, Madame
Düdevant, die sie einmal in Paris besuchte, drückte ihr Mißfallen aus. Sie
fragte, warum Aurora so lange in Paris ohne ihren Manu bliebe; diese ant¬
wortete, es geschehe mit Einwilligung ihres Mannes. — Aber ist es wahr,
daß Sie die Absicht haben, Bücher zu drucken? — Ja, Madame. — El, el,
eine wunderliche Idee. — Ja, Madame. — Recht schön; aber ich hoffe
wenigstens, daß Sie den Namen, den ich führe, nicht auf den Einband ge¬
druckter Bücher setzen werden? — O gewiß nicht, Madame, es hat keine
Noth.

In der That hatte sie bereits ihren erste» Roman: Rose und Blanche,
gearbeitet, ihn von ihrem jungen Freunde Jules Sandeau überarbeiten lassen
und als Namen des Verfassers wurde Jules Sand angegeben. Da das Buch
Beifall fand, wünschte der Verleger der spätern Romane den Namen beizu¬
behalten, weil aber Jules Sandeau keinen Antheil daran hatte, wollte er eS
nicht zugeben, und so wählte denn die Verfasserin das Pseudonym Georges
Sand, das sie seitdem immer beibehalten hat.

Ihr Mann besuchte sie zuweilen in Paris. Sie wohnten nicht zusammen,
um einander nicht zu geniren, aber ihr Mann speiste bei ihr und führte sie zu¬
weilen inS Theater. In Paris gestaltete sich das Verhältniß ganz gut, aber
wenn sie auf ihr Semester nach Nohant kam, wurde sie ihrem Mann öfters
unbequem, weil sie über manche häusliche Einrichtungen sich nicht einigen konn¬
ten. Dort schrieb sie „Jndiana" und „Valentine". Ihre kleine Tochter nahm
sie nach Vollendung des letztern Romans nach Paris mit.

Ihr erstes literarisches Auftreten war nicht ohne Schwierigkeiten. Sie
wollte ein Gutachten über ihr Talent haben, unb man wies sie an einen De¬
putaten, Herrn von Keratry, der selbst einen Roman geschrieben harte. Dieser
empfing sie mit der Versicherung, Frauen sollten sich überhaupt nicht in die
Literatur einmischen, weil sie dazu keinen Beruf hätten, und schloß mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/493>, abgerufen am 15.01.2025.