Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich der Staatsmechanismus ^dem Princip, für welches er ursprünglich geschaffen
warz^was noch geschehen konnte, ihn zu kräftigen und nach allen Richtungen
auszudehnen, geschah. Alle Organisationen wurden im militärischen Sinne aus¬
gebildet und d'isciplinirt, die Verwaltung, die Presse, sogar Wissenschaft unh
Kunst. Die Einzelnen, welche sich nicht fügen wollten, wurden verbannt oder
durch stille Mittel zum Schweigen gebracht. Ganz dasselbe war auch unter
dem ersten Napoleon geschehen, der neue Staat erschien wie ein erneutes Bild
des früheren Kaiserreichs. Und doch war die Stellung des neuen Kaisers in
dem restaurirte" Staat eine ganz andere. Er wie sein Oheim hatten, als die
Einzigen, welche herrschten, auf ihre Person auch die ganze Schwere der Ver¬
pflichtung geladen, Frankreich groß, gefürchtet und zufrieden zu erhalten. Beide
hatten auch die Pflicht übernommen, die Theorien der Revolution, welche sie
gewaltsam beendigt hatten, so weit in Thaten umzusetzen, als die Masse des
Volks dies forderte. So souverän sie als Herren des Staats waren, so wenig
frei waren sie von den Voraussetzungen, denen sie ihre Herrschaft verdankten.
Beide hatten zu gewinnen und zu versöhnen dadurch, daß sie den Idealen
ihrer Zeit Rechnung'trugen; und hierin war die Lage des ersten Napoleon
günstiger. Damals, wie jetzt, sehnte sich das französische Volk nach Ruhe.
Aber damals verstand man unter Ruhe die Sicherheit und Freiheit des Eigen¬
thums, gerechtes Gesetz, einen befestigten Staatsbäu, eine energische Negie¬
rung, damals waren der Organismus des Militärstaats, die großartige Gesetz¬
gebung Napoleons l. ein neuer ungeheurer Fortschritt in der Entwicklung des
Volkslebens. Jetzt dagegen hatte in den Stürmen der Revolutionen von 1848
ein neuer Anspruch von zweifelhafter Berechtigung die Massen in Bewegung
gesetzt, die socialistische Theorie, daß der Einzelne ein Recht auf Arbeit gegen¬
über dem Staat habe. Und diese gefährliche Theorie mußte der neue Erbe der
Revolution bis zu einem gewissen Grade, anerkenne".

Dazu kommt ein zweiter Unterschied. Der Militärstaat des ersten Napo¬
leon stützte sich auf ein Heer, welches im Kampfe gegen/auswärtige Feinde
unter, den Augen des / angebeteten Feldherrn zu hoher Trefflichkeit herange¬
wachsen war, und das durch seine Siege gegen die Feinde Frankreichs seinem
Feldherrn den Weg zum Throne gebahnt hatte, fast ohne daß es von den
Kämpfen desselben gegen seine Rivalen in Frankreich selbst berührt wurde.
Das Heer des dritten Napoleon hat ihn in der Weise der alten Prätorianer
auf den Thron erhoben, nachdem es den Bourbonen und der Republik ge¬
schworen hatte, nachdem es zweimal seinen Schwur vergessen, nachdem es drei¬
mal in erbittertem Straßenkampf zu Paris selbst gegen und in der Revolution
gekämpft hat. Das Heer'des ersten Napoleon war voll von dem höchsten
militärischen Idealismus, es hatte sich ganz der Riesenkraft seines großen


sich der Staatsmechanismus ^dem Princip, für welches er ursprünglich geschaffen
warz^was noch geschehen konnte, ihn zu kräftigen und nach allen Richtungen
auszudehnen, geschah. Alle Organisationen wurden im militärischen Sinne aus¬
gebildet und d'isciplinirt, die Verwaltung, die Presse, sogar Wissenschaft unh
Kunst. Die Einzelnen, welche sich nicht fügen wollten, wurden verbannt oder
durch stille Mittel zum Schweigen gebracht. Ganz dasselbe war auch unter
dem ersten Napoleon geschehen, der neue Staat erschien wie ein erneutes Bild
des früheren Kaiserreichs. Und doch war die Stellung des neuen Kaisers in
dem restaurirte» Staat eine ganz andere. Er wie sein Oheim hatten, als die
Einzigen, welche herrschten, auf ihre Person auch die ganze Schwere der Ver¬
pflichtung geladen, Frankreich groß, gefürchtet und zufrieden zu erhalten. Beide
hatten auch die Pflicht übernommen, die Theorien der Revolution, welche sie
gewaltsam beendigt hatten, so weit in Thaten umzusetzen, als die Masse des
Volks dies forderte. So souverän sie als Herren des Staats waren, so wenig
frei waren sie von den Voraussetzungen, denen sie ihre Herrschaft verdankten.
Beide hatten zu gewinnen und zu versöhnen dadurch, daß sie den Idealen
ihrer Zeit Rechnung'trugen; und hierin war die Lage des ersten Napoleon
günstiger. Damals, wie jetzt, sehnte sich das französische Volk nach Ruhe.
Aber damals verstand man unter Ruhe die Sicherheit und Freiheit des Eigen¬
thums, gerechtes Gesetz, einen befestigten Staatsbäu, eine energische Negie¬
rung, damals waren der Organismus des Militärstaats, die großartige Gesetz¬
gebung Napoleons l. ein neuer ungeheurer Fortschritt in der Entwicklung des
Volkslebens. Jetzt dagegen hatte in den Stürmen der Revolutionen von 1848
ein neuer Anspruch von zweifelhafter Berechtigung die Massen in Bewegung
gesetzt, die socialistische Theorie, daß der Einzelne ein Recht auf Arbeit gegen¬
über dem Staat habe. Und diese gefährliche Theorie mußte der neue Erbe der
Revolution bis zu einem gewissen Grade, anerkenne».

Dazu kommt ein zweiter Unterschied. Der Militärstaat des ersten Napo¬
leon stützte sich auf ein Heer, welches im Kampfe gegen/auswärtige Feinde
unter, den Augen des / angebeteten Feldherrn zu hoher Trefflichkeit herange¬
wachsen war, und das durch seine Siege gegen die Feinde Frankreichs seinem
Feldherrn den Weg zum Throne gebahnt hatte, fast ohne daß es von den
Kämpfen desselben gegen seine Rivalen in Frankreich selbst berührt wurde.
Das Heer des dritten Napoleon hat ihn in der Weise der alten Prätorianer
auf den Thron erhoben, nachdem es den Bourbonen und der Republik ge¬
schworen hatte, nachdem es zweimal seinen Schwur vergessen, nachdem es drei¬
mal in erbittertem Straßenkampf zu Paris selbst gegen und in der Revolution
gekämpft hat. Das Heer'des ersten Napoleon war voll von dem höchsten
militärischen Idealismus, es hatte sich ganz der Riesenkraft seines großen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100906"/>
          <p xml:id="ID_1341" prev="#ID_1340"> sich der Staatsmechanismus ^dem Princip, für welches er ursprünglich geschaffen<lb/>
warz^was noch geschehen konnte, ihn zu kräftigen und nach allen Richtungen<lb/>
auszudehnen, geschah. Alle Organisationen wurden im militärischen Sinne aus¬<lb/>
gebildet und d'isciplinirt, die Verwaltung, die Presse, sogar Wissenschaft unh<lb/>
Kunst. Die Einzelnen, welche sich nicht fügen wollten, wurden verbannt oder<lb/>
durch stille Mittel zum Schweigen gebracht. Ganz dasselbe war auch unter<lb/>
dem ersten Napoleon geschehen, der neue Staat erschien wie ein erneutes Bild<lb/>
des früheren Kaiserreichs. Und doch war die Stellung des neuen Kaisers in<lb/>
dem restaurirte» Staat eine ganz andere. Er wie sein Oheim hatten, als die<lb/>
Einzigen, welche herrschten, auf ihre Person auch die ganze Schwere der Ver¬<lb/>
pflichtung geladen, Frankreich groß, gefürchtet und zufrieden zu erhalten. Beide<lb/>
hatten auch die Pflicht übernommen, die Theorien der Revolution, welche sie<lb/>
gewaltsam beendigt hatten, so weit in Thaten umzusetzen, als die Masse des<lb/>
Volks dies forderte. So souverän sie als Herren des Staats waren, so wenig<lb/>
frei waren sie von den Voraussetzungen, denen sie ihre Herrschaft verdankten.<lb/>
Beide hatten zu gewinnen und zu versöhnen dadurch, daß sie den Idealen<lb/>
ihrer Zeit Rechnung'trugen; und hierin war die Lage des ersten Napoleon<lb/>
günstiger. Damals, wie jetzt, sehnte sich das französische Volk nach Ruhe.<lb/>
Aber damals verstand man unter Ruhe die Sicherheit und Freiheit des Eigen¬<lb/>
thums, gerechtes Gesetz, einen befestigten Staatsbäu, eine energische Negie¬<lb/>
rung, damals waren der Organismus des Militärstaats, die großartige Gesetz¬<lb/>
gebung Napoleons l. ein neuer ungeheurer Fortschritt in der Entwicklung des<lb/>
Volkslebens. Jetzt dagegen hatte in den Stürmen der Revolutionen von 1848<lb/>
ein neuer Anspruch von zweifelhafter Berechtigung die Massen in Bewegung<lb/>
gesetzt, die socialistische Theorie, daß der Einzelne ein Recht auf Arbeit gegen¬<lb/>
über dem Staat habe. Und diese gefährliche Theorie mußte der neue Erbe der<lb/>
Revolution bis zu einem gewissen Grade, anerkenne».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1342" next="#ID_1343"> Dazu kommt ein zweiter Unterschied. Der Militärstaat des ersten Napo¬<lb/>
leon stützte sich auf ein Heer, welches im Kampfe gegen/auswärtige Feinde<lb/>
unter, den Augen des / angebeteten Feldherrn zu hoher Trefflichkeit herange¬<lb/>
wachsen war, und das durch seine Siege gegen die Feinde Frankreichs seinem<lb/>
Feldherrn den Weg zum Throne gebahnt hatte, fast ohne daß es von den<lb/>
Kämpfen desselben gegen seine Rivalen in Frankreich selbst berührt wurde.<lb/>
Das Heer des dritten Napoleon hat ihn in der Weise der alten Prätorianer<lb/>
auf den Thron erhoben, nachdem es den Bourbonen und der Republik ge¬<lb/>
schworen hatte, nachdem es zweimal seinen Schwur vergessen, nachdem es drei¬<lb/>
mal in erbittertem Straßenkampf zu Paris selbst gegen und in der Revolution<lb/>
gekämpft hat. Das Heer'des ersten Napoleon war voll von dem höchsten<lb/>
militärischen Idealismus, es hatte sich ganz der Riesenkraft seines großen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] sich der Staatsmechanismus ^dem Princip, für welches er ursprünglich geschaffen warz^was noch geschehen konnte, ihn zu kräftigen und nach allen Richtungen auszudehnen, geschah. Alle Organisationen wurden im militärischen Sinne aus¬ gebildet und d'isciplinirt, die Verwaltung, die Presse, sogar Wissenschaft unh Kunst. Die Einzelnen, welche sich nicht fügen wollten, wurden verbannt oder durch stille Mittel zum Schweigen gebracht. Ganz dasselbe war auch unter dem ersten Napoleon geschehen, der neue Staat erschien wie ein erneutes Bild des früheren Kaiserreichs. Und doch war die Stellung des neuen Kaisers in dem restaurirte» Staat eine ganz andere. Er wie sein Oheim hatten, als die Einzigen, welche herrschten, auf ihre Person auch die ganze Schwere der Ver¬ pflichtung geladen, Frankreich groß, gefürchtet und zufrieden zu erhalten. Beide hatten auch die Pflicht übernommen, die Theorien der Revolution, welche sie gewaltsam beendigt hatten, so weit in Thaten umzusetzen, als die Masse des Volks dies forderte. So souverän sie als Herren des Staats waren, so wenig frei waren sie von den Voraussetzungen, denen sie ihre Herrschaft verdankten. Beide hatten zu gewinnen und zu versöhnen dadurch, daß sie den Idealen ihrer Zeit Rechnung'trugen; und hierin war die Lage des ersten Napoleon günstiger. Damals, wie jetzt, sehnte sich das französische Volk nach Ruhe. Aber damals verstand man unter Ruhe die Sicherheit und Freiheit des Eigen¬ thums, gerechtes Gesetz, einen befestigten Staatsbäu, eine energische Negie¬ rung, damals waren der Organismus des Militärstaats, die großartige Gesetz¬ gebung Napoleons l. ein neuer ungeheurer Fortschritt in der Entwicklung des Volkslebens. Jetzt dagegen hatte in den Stürmen der Revolutionen von 1848 ein neuer Anspruch von zweifelhafter Berechtigung die Massen in Bewegung gesetzt, die socialistische Theorie, daß der Einzelne ein Recht auf Arbeit gegen¬ über dem Staat habe. Und diese gefährliche Theorie mußte der neue Erbe der Revolution bis zu einem gewissen Grade, anerkenne». Dazu kommt ein zweiter Unterschied. Der Militärstaat des ersten Napo¬ leon stützte sich auf ein Heer, welches im Kampfe gegen/auswärtige Feinde unter, den Augen des / angebeteten Feldherrn zu hoher Trefflichkeit herange¬ wachsen war, und das durch seine Siege gegen die Feinde Frankreichs seinem Feldherrn den Weg zum Throne gebahnt hatte, fast ohne daß es von den Kämpfen desselben gegen seine Rivalen in Frankreich selbst berührt wurde. Das Heer des dritten Napoleon hat ihn in der Weise der alten Prätorianer auf den Thron erhoben, nachdem es den Bourbonen und der Republik ge¬ schworen hatte, nachdem es zweimal seinen Schwur vergessen, nachdem es drei¬ mal in erbittertem Straßenkampf zu Paris selbst gegen und in der Revolution gekämpft hat. Das Heer'des ersten Napoleon war voll von dem höchsten militärischen Idealismus, es hatte sich ganz der Riesenkraft seines großen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/452>, abgerufen am 28.09.2024.