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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Führers ergeben, den der - Soldat wie einen Gott verehrte ; das Heer des
jetzigen Kaisers ist bonapartistisch, weil es nichts Anderes ist. Die treue De¬
votion gegen einen alten Feldherrn fehlt ihm, es hat in wenig Jahren zwei
Regierungsformen gleichgiltig oder mit Haß fallen sehen und gehorcht der
dritten, weil Offiziere und Gemeine ihren Wortheil darin finden.

Endlich ein dritter Unterschied: Auch die Helfer und Anhänger des
ersten Napoleon waren zum Theil Männer von zweifelhaftem Werth und unter
seinen Gegnern waren einige von hoher Trefflichkeit. Aber doch verfügte er im
Ganzen betrachtet über die größte Majorität der Intelligenz und geistigen Kraft
seiner französischen Zeitgenossen. Aber gegen den jetzigen Kaiser steht fast alles,
was Frankreich an Politikern, Talenten und Charakteren besitzt. Unversöhnt ist
der Gegensatz, in welchen an jenem zweiten December das frühere und gegen¬
wärtige Frankreich auseinanderfiel. Und die Werkzeuge des Kaisers bei jener
That, die eifrige Genossenschaft, Mit welcher er verbunden ist, tragen wesentlich
dazu bei, eine Versöhnung des Verletzten Rechtsgefühls unmöglich zu machen.
Er hat den Ruchlosesten seiner Parteigänger in wahrhaft römischer Weise da¬
durch bezahlt, daß er ihm erlaubte, sich den Lorbeer und den Tod auf einem
ruhmvollen Schlachtfelde zu holen, aber für eine dunkle Gestalt aus seiner Ver¬
gangenheit, welche er beseitigt, erheben sich zehn andere aus dem Haufen seiner
Verbündeten und stellen sich trennend zwischen ihn und die unabhängige Intel¬
ligenz seines Volkes.

In den Zimmern des Gelehrten, in den meisten Salons der Reichen, auf
den Schlössern der französischen Grundbesitzer, wird der Kaiser immer noch als
ein Fremder betrachtet, seine Herrschaft als ein vorübergehendes Ereignis), dessen
Ende man abwarten müsse, wie das Ende einer Krankheit oder eines Erd¬
bebens. Was der Kaiser thut, diese stille Kälte zu versöhnen, ist bis jetzt ver¬
gebens gewesen, er hat sich die persönliche Achtung der Franzosen erzwungen, aber
keinen Glauben an seine Regierung. Denn der politische Scharfblick und das
selbstständige Urtheil des gebildeten Frankreichs von jetzt übersteigen die politische
Einsicht des Frankreich von 1800 ebensosehr als die gegenwärtige. Entwick¬
lung der Industrie die technische Ausbildung zur Zeit des ersten Consuls.
Und Männer von zweifelhaftem politischen Charakter wie Thiers, Guizot,
Chcmg'arnier erscheinen jetzt als reine Patrioten gegenüber den Erfolgen von
Fould, Monn) und Se. Arnaud. Selbst durch pas Schweigen, zu.welchem
die Presse und die wissenschaftlichen Korporationen verurtheill sind, kann man
die Kälte und Abneigung erkennen , mit welchem die meisten Berühmtheiten
Frankreichs das Regiment der Napvle^oniren betrachten. Es ist wahrscheinlich,
daß der Kaiser diesen Uebelstand tief empfindet, es ist möglich, daß der Ge¬
danke daran im Geheimen einen großen Einfluß auf seine Politik ausübt.


Führers ergeben, den der - Soldat wie einen Gott verehrte ; das Heer des
jetzigen Kaisers ist bonapartistisch, weil es nichts Anderes ist. Die treue De¬
votion gegen einen alten Feldherrn fehlt ihm, es hat in wenig Jahren zwei
Regierungsformen gleichgiltig oder mit Haß fallen sehen und gehorcht der
dritten, weil Offiziere und Gemeine ihren Wortheil darin finden.

Endlich ein dritter Unterschied: Auch die Helfer und Anhänger des
ersten Napoleon waren zum Theil Männer von zweifelhaftem Werth und unter
seinen Gegnern waren einige von hoher Trefflichkeit. Aber doch verfügte er im
Ganzen betrachtet über die größte Majorität der Intelligenz und geistigen Kraft
seiner französischen Zeitgenossen. Aber gegen den jetzigen Kaiser steht fast alles,
was Frankreich an Politikern, Talenten und Charakteren besitzt. Unversöhnt ist
der Gegensatz, in welchen an jenem zweiten December das frühere und gegen¬
wärtige Frankreich auseinanderfiel. Und die Werkzeuge des Kaisers bei jener
That, die eifrige Genossenschaft, Mit welcher er verbunden ist, tragen wesentlich
dazu bei, eine Versöhnung des Verletzten Rechtsgefühls unmöglich zu machen.
Er hat den Ruchlosesten seiner Parteigänger in wahrhaft römischer Weise da¬
durch bezahlt, daß er ihm erlaubte, sich den Lorbeer und den Tod auf einem
ruhmvollen Schlachtfelde zu holen, aber für eine dunkle Gestalt aus seiner Ver¬
gangenheit, welche er beseitigt, erheben sich zehn andere aus dem Haufen seiner
Verbündeten und stellen sich trennend zwischen ihn und die unabhängige Intel¬
ligenz seines Volkes.

In den Zimmern des Gelehrten, in den meisten Salons der Reichen, auf
den Schlössern der französischen Grundbesitzer, wird der Kaiser immer noch als
ein Fremder betrachtet, seine Herrschaft als ein vorübergehendes Ereignis), dessen
Ende man abwarten müsse, wie das Ende einer Krankheit oder eines Erd¬
bebens. Was der Kaiser thut, diese stille Kälte zu versöhnen, ist bis jetzt ver¬
gebens gewesen, er hat sich die persönliche Achtung der Franzosen erzwungen, aber
keinen Glauben an seine Regierung. Denn der politische Scharfblick und das
selbstständige Urtheil des gebildeten Frankreichs von jetzt übersteigen die politische
Einsicht des Frankreich von 1800 ebensosehr als die gegenwärtige. Entwick¬
lung der Industrie die technische Ausbildung zur Zeit des ersten Consuls.
Und Männer von zweifelhaftem politischen Charakter wie Thiers, Guizot,
Chcmg'arnier erscheinen jetzt als reine Patrioten gegenüber den Erfolgen von
Fould, Monn) und Se. Arnaud. Selbst durch pas Schweigen, zu.welchem
die Presse und die wissenschaftlichen Korporationen verurtheill sind, kann man
die Kälte und Abneigung erkennen , mit welchem die meisten Berühmtheiten
Frankreichs das Regiment der Napvle^oniren betrachten. Es ist wahrscheinlich,
daß der Kaiser diesen Uebelstand tief empfindet, es ist möglich, daß der Ge¬
danke daran im Geheimen einen großen Einfluß auf seine Politik ausübt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/453>, abgerufen am 26.06.2024.