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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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erwerben. So gewunden und blutig der Weg war, auf dem er zum Throne
gelangte, für ihn war er nur eine gerade Linie, auf der er unverrückt dem
zuschritt, was er für seine Bestimmung hält. Denn von je hat er sich als
den gebornen Erben von Frankreich, als den Nachfolger seines Oheims betrach¬
tet, und die Bourbonen unH Orleans waren in seinen Augen Usurpatoren.
Immer scheint er die Ueberzeugung gehabt zu haben, daß das französische
Volk in seiner großen Mehrzahl ihn, den nothwendigen Kaiser, ersehne und zuletzt
wählen müsse. Wenn eine solche Auffassung Fanatismus genannt werden
muß. so ist derselbe Fanatismus noch jetzt der innerste Zug seines Wesens,
die letzte Grundlage seines Selbstgefühls. Er selbst hält sich für die Bestim¬
mung Frankreichs, und durch die Stürme der Revolution wie durch die Kugeln
des Mörders schreitet er kaltblütig vorwärts als Einer, dessen Haupt geweiht
ist. -- Ob geweiht durch die Götter des'Lichts oder durch die Geister der
.Zerstörung, darüber streiten jetzt noch die Parteien. Wenn.es in seinem Wesen
etwas Furchtbares gibt, so ist es dies dämonische Vertrauen auf das Zweck-
volle seines Daseins, um so mehr, je nüchterner und freier von allen Illu¬
sionen sein Urtheil in den Begebenheiten' des Tages erscheint.

So ist das Bild des Kaisers, wie es uns Deutschen in der Ferne sichtbar
wird; wer ihm persönlich nahe steht, wird viele Züge hinzuthun und Einzelnes
modificiren, doch ist nicht anzunehmen, daß ihm die Grundzüge des ungewöhn¬
lichen Mannes anders erscheinen werden. EH ist nicht erlaubt, über einen
Lebenden das Endurtheil zu fällen, wol aber wird jede Zeit das Recht haben,
aus der Erscheinung des Menschen auf seinen Inhalt zu schließen, aus den
Begebenheiten des Tages auf die Ereignisse der Zukunft.

Der Kaiser ist die vollständigste Verkörperung des modernen Militärstaats,
welche jetzt ans einem irdischen Throne sitzt. Auf den Trümmern des mittel¬
alterlichen Feudalstaats gründete zuerst sein Oheim in Frankreich die neue
Staatsform, auf den Trümmern eines unfertigen constitutionellen Staats¬
gebäudes erhob sein Nachkomme noch einmal das Systems welches die leichtfer¬
tigen Pariser bereits überwunden glaubten. Während in einem streng centralisir-
ten Staat ohne-eine gesunde Volkserziehung, ohne Selbstregierung der Communen
der Egoismus der politischen Berühmtheiten mit dem Egoismus der Könige
und Demagogen um die Herrschaft haderte, sprengte der größere Egoismus eines
Einzelnen mit Hilfe des Heeres die hohle Form und restaurirte den Staat
in der Weise des ersten Kaisers. Er kämpfte nicht nur mit Hilfe des Heeres,
sondern auch mit Hilfe der alten Staatsmaschine, welche die Kurzsichtigkeit
der Constitutionellen unverändert gelassen hatte, und zuletzt mit de"n regierten
Landschaften gegen das regierende Paris. Gegen den Egoismus der Einzelnen
setzte er den Egoismus der Massen in Bewegung. Schnell und willig fügte


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erwerben. So gewunden und blutig der Weg war, auf dem er zum Throne
gelangte, für ihn war er nur eine gerade Linie, auf der er unverrückt dem
zuschritt, was er für seine Bestimmung hält. Denn von je hat er sich als
den gebornen Erben von Frankreich, als den Nachfolger seines Oheims betrach¬
tet, und die Bourbonen unH Orleans waren in seinen Augen Usurpatoren.
Immer scheint er die Ueberzeugung gehabt zu haben, daß das französische
Volk in seiner großen Mehrzahl ihn, den nothwendigen Kaiser, ersehne und zuletzt
wählen müsse. Wenn eine solche Auffassung Fanatismus genannt werden
muß. so ist derselbe Fanatismus noch jetzt der innerste Zug seines Wesens,
die letzte Grundlage seines Selbstgefühls. Er selbst hält sich für die Bestim¬
mung Frankreichs, und durch die Stürme der Revolution wie durch die Kugeln
des Mörders schreitet er kaltblütig vorwärts als Einer, dessen Haupt geweiht
ist. — Ob geweiht durch die Götter des'Lichts oder durch die Geister der
.Zerstörung, darüber streiten jetzt noch die Parteien. Wenn.es in seinem Wesen
etwas Furchtbares gibt, so ist es dies dämonische Vertrauen auf das Zweck-
volle seines Daseins, um so mehr, je nüchterner und freier von allen Illu¬
sionen sein Urtheil in den Begebenheiten' des Tages erscheint.

So ist das Bild des Kaisers, wie es uns Deutschen in der Ferne sichtbar
wird; wer ihm persönlich nahe steht, wird viele Züge hinzuthun und Einzelnes
modificiren, doch ist nicht anzunehmen, daß ihm die Grundzüge des ungewöhn¬
lichen Mannes anders erscheinen werden. EH ist nicht erlaubt, über einen
Lebenden das Endurtheil zu fällen, wol aber wird jede Zeit das Recht haben,
aus der Erscheinung des Menschen auf seinen Inhalt zu schließen, aus den
Begebenheiten des Tages auf die Ereignisse der Zukunft.

Der Kaiser ist die vollständigste Verkörperung des modernen Militärstaats,
welche jetzt ans einem irdischen Throne sitzt. Auf den Trümmern des mittel¬
alterlichen Feudalstaats gründete zuerst sein Oheim in Frankreich die neue
Staatsform, auf den Trümmern eines unfertigen constitutionellen Staats¬
gebäudes erhob sein Nachkomme noch einmal das Systems welches die leichtfer¬
tigen Pariser bereits überwunden glaubten. Während in einem streng centralisir-
ten Staat ohne-eine gesunde Volkserziehung, ohne Selbstregierung der Communen
der Egoismus der politischen Berühmtheiten mit dem Egoismus der Könige
und Demagogen um die Herrschaft haderte, sprengte der größere Egoismus eines
Einzelnen mit Hilfe des Heeres die hohle Form und restaurirte den Staat
in der Weise des ersten Kaisers. Er kämpfte nicht nur mit Hilfe des Heeres,
sondern auch mit Hilfe der alten Staatsmaschine, welche die Kurzsichtigkeit
der Constitutionellen unverändert gelassen hatte, und zuletzt mit de„n regierten
Landschaften gegen das regierende Paris. Gegen den Egoismus der Einzelnen
setzte er den Egoismus der Massen in Bewegung. Schnell und willig fügte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/451>, abgerufen am 22.07.2024.