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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ja noch mehr, er ist für uns Deutsche der gewaltige Vorkämpfer in
einem Kriege geworden, welcher die Tendenz hat, Rußlands Suprematie zu
brechen. Niemand hatte mehr Ursache, den Einfluß dieses kolossalen Staates
zu fürchten, als wir selbst, und die Wünsche und Hoffnungen einer großen
Majorität in Deutschland heften sich in diesem Augenblick widerwillig an den
Flug der französischen Adler.

Es kann kein gemeiner Geist sein, der sich in so kurzer Zeit zum Mittel¬
punkt der europäischen Verwickelungen gemacht hat, der die rcspectvolle Freund¬
schaft des aristokratischen England erworben, der seine Kriegsheere im weit
entlegenen Lande zu fast fabelhafter Tapferkeit zu begeistern wußte, der sein
eignes streitsüchtiges Volk bändigt, wie nur einer vor ihm. Und es
ist auch aus der Ferne zu erkennen, daß er einige von den Eigenschaften
besitzt, welche in ihrer Verbindung einen großen Charakter machen. Aber
merkwürdig, was ihn auszeichnet, ist durchaus, nicht das, was im französischen
Volkscharakter als glänzend und imponirend ausfällt. Er ist nicht ein brillanter
Geist mit schnell aufflammenden Entschlüssen, auch nicht der abenteuernde
Soldat mit stürmischen Wallungen und nicht ein wagehalsiger Speculant, wie
sie zu Paris jetzt an der Börse und in der Literatur herrschen. Ernst, in sich
gekehrt, verschlossen, erscheint sein geistiges Arbeiten langsam, ja vielleicht
schwerfällig, aber ebenso tief und energisch; sobald in ihm ein Entschluß
gefaßt ist, wird sein Festhalten zähe bis zur Hartnäckigkeit. Mehr vielleicht, als
etwas Anderes, hat die langsame und ausdauernde Festigkeit seines Wollens den
Franzosen imponirt. Da sein Geist unempfänglich ist für brillante Gesichtspunkte
und nichts von der unseligen Behendigkeit hat, welche jeden Standpunkt ver¬
steht und achtet und übersteht, und darüber den eignen immer wieder ver¬
liert, so macht sein persönliches Austreten trotz kluger Zurückhaltung doch den
Eindruck einer einfachen Offenheit. Er schweigt, oder spricht aus, was ihn
erfüllt, und auf dem gesprochenen Wort steht er fest. Unzweifelhaft verdankt
er dieser Eigenschaft seine größten Erfolge in der äußern Politik. Auf ihr
beruht die Festigkeit seines Verhältnisses zu England und die Annäherung an
Oestreich. Man ist im Irrthum, wenn man solche Geradheit sür die Folge
vorsichtiger Berechnung hält, sie ist vielmehr das Product eines festen, con-
sequenten Geistes, der ohne Schwanken und ohne Bedenken auf das Ziel los¬
geht, welches er als richtig erkannt hat. Kein Herrscher Frankreichs, außer
Ludwig XIV., hat mit so souveräner Leichtigkeit über Milliarden geschaltet, keiner
hat so rücksichtslos die Speculationen der Börse zu Staatszwecken benutzt,
keiner so schrankenlos durch seinen Befehl und sein-Beispiel Werthe geschaffen
und Werthe vernichtet, und doch ist er vielleicht der Einzige im ganzen jetzigen
Frankreich, der nicht daran denkt Schätze zu sammeln und für sich selbst zu


Ja noch mehr, er ist für uns Deutsche der gewaltige Vorkämpfer in
einem Kriege geworden, welcher die Tendenz hat, Rußlands Suprematie zu
brechen. Niemand hatte mehr Ursache, den Einfluß dieses kolossalen Staates
zu fürchten, als wir selbst, und die Wünsche und Hoffnungen einer großen
Majorität in Deutschland heften sich in diesem Augenblick widerwillig an den
Flug der französischen Adler.

Es kann kein gemeiner Geist sein, der sich in so kurzer Zeit zum Mittel¬
punkt der europäischen Verwickelungen gemacht hat, der die rcspectvolle Freund¬
schaft des aristokratischen England erworben, der seine Kriegsheere im weit
entlegenen Lande zu fast fabelhafter Tapferkeit zu begeistern wußte, der sein
eignes streitsüchtiges Volk bändigt, wie nur einer vor ihm. Und es
ist auch aus der Ferne zu erkennen, daß er einige von den Eigenschaften
besitzt, welche in ihrer Verbindung einen großen Charakter machen. Aber
merkwürdig, was ihn auszeichnet, ist durchaus, nicht das, was im französischen
Volkscharakter als glänzend und imponirend ausfällt. Er ist nicht ein brillanter
Geist mit schnell aufflammenden Entschlüssen, auch nicht der abenteuernde
Soldat mit stürmischen Wallungen und nicht ein wagehalsiger Speculant, wie
sie zu Paris jetzt an der Börse und in der Literatur herrschen. Ernst, in sich
gekehrt, verschlossen, erscheint sein geistiges Arbeiten langsam, ja vielleicht
schwerfällig, aber ebenso tief und energisch; sobald in ihm ein Entschluß
gefaßt ist, wird sein Festhalten zähe bis zur Hartnäckigkeit. Mehr vielleicht, als
etwas Anderes, hat die langsame und ausdauernde Festigkeit seines Wollens den
Franzosen imponirt. Da sein Geist unempfänglich ist für brillante Gesichtspunkte
und nichts von der unseligen Behendigkeit hat, welche jeden Standpunkt ver¬
steht und achtet und übersteht, und darüber den eignen immer wieder ver¬
liert, so macht sein persönliches Austreten trotz kluger Zurückhaltung doch den
Eindruck einer einfachen Offenheit. Er schweigt, oder spricht aus, was ihn
erfüllt, und auf dem gesprochenen Wort steht er fest. Unzweifelhaft verdankt
er dieser Eigenschaft seine größten Erfolge in der äußern Politik. Auf ihr
beruht die Festigkeit seines Verhältnisses zu England und die Annäherung an
Oestreich. Man ist im Irrthum, wenn man solche Geradheit sür die Folge
vorsichtiger Berechnung hält, sie ist vielmehr das Product eines festen, con-
sequenten Geistes, der ohne Schwanken und ohne Bedenken auf das Ziel los¬
geht, welches er als richtig erkannt hat. Kein Herrscher Frankreichs, außer
Ludwig XIV., hat mit so souveräner Leichtigkeit über Milliarden geschaltet, keiner
hat so rücksichtslos die Speculationen der Börse zu Staatszwecken benutzt,
keiner so schrankenlos durch seinen Befehl und sein-Beispiel Werthe geschaffen
und Werthe vernichtet, und doch ist er vielleicht der Einzige im ganzen jetzigen
Frankreich, der nicht daran denkt Schätze zu sammeln und für sich selbst zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/450>, abgerufen am 22.07.2024.