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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wir kleinen Schützen Steine auf das Dach, Antoni aber und die anderen
nahmen die Thür ein. Da kam der Schulmeister mit der ganzen Processton
seiner Schützen und Bacchanten, aber wir Buben warfen mit Steinen auf sie,
daß sie weichen mußten. Als wir nun vernommen, daß wir vor der Obrigkeit
verklagt waren, hatten wir einen Nachbar, der wollt seiner Tochter einen Mann
geben; der hat einen Stall mit gemästeten Gänsen, dem nahmen wir Nachts
drei Gänse, und zogen in den anderen Theil der Stadt, es war eine Vorstadt,
wieder ohne Ringmauern, wie auch der Ort war, wo wir bisher gewesen
waren; da kamen die Schweizer zu uns, zechten mit einanderen, und zog
von da unser Haufe auf Hall in Sachsen, dort gingen wir in die Schul
zu Se. Ulrich. -- Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns
hielten, besprachen etliche von uns mit Paul, meinem Vetter, den Bacchanten
zu entlaufen, und zogen wir gen Dresden; dort war aber durchaus keine gute
Schul, und auf der Schul in den Habitazen*) alles voll Lauf, daß wir sie
zu Nacht im Stroh unter uns haben gehört knistern. Wir brachen auf, und
zogen auf Breslau zu; mußten vit Hunger unterwegs leiden, also daß wir
etliche Tage nichts als rohe Zwiebeln mit Salz aßen; etliche Tag gebratene
Eicheln, Holzäpfel und Birnen; manche Nacht lagen wir unter heiterem
Himmel, denn irgend wollte man uns bei den Häuseren leiden, wie früh
wir auch um Herberg baten; manchmal hetzte man die Hunde aus uns. Als
wir aber.nach Breslau kamen, da war alles in Hülle, ja so wohlfeil, daß
sich die armen Schüler überaßen, und oft in große Krankheit fielen. Da
gingen wir zunächst auf den Dom zum heiligen Kreuz in die Schule. AIS
wir aber vernahmen, daß in der obersten Pfarre zu Se. Elisabet etliche
Schweizer waren, zogen wir dorthin: Die Stadt Breslau hat 7 Pfarren,
jegliche eine besondere Schule; es durfte kein Schüler in eines andern Pfarre
gehn zu singen, oder sie schrieen: act 16<zu, act iüsm! und dann liefen die
Schützen zusammen, und schlugen einander gar übel. Es sind, wie man sagt,
auf einmal in der Stadt etlich tausend Bacchanten und Schützen gewesen, die
sich alle durch Almosen ernährten; man sagte auch, daß etliche von zwanzig,
dreißig Jahren und mehr da wären, die ihre Schützen hätten, die ihnen prä-
sentirten^); ich hab meinen Bacchanten oft an einem Abend fünf oder sechs
Trachten heim auf die Schule getragen, wo sie damals wohnten; man gab
mir auch recht gern, darum daß ich klein war, und ein Schweizer; dann man
hatte die Schweizer sehr lieb. -- Blieb also eine Zeitlang da, war an einem
Winter dreimal krank, daß man mich mußt in das Spital führen; die Schüler
hatten ein besonderes Spital, und eigene Doctores. Auch giebt man auf dem




*) Schlafkammern der fremden Schüler.
Kunstausdruck: Das Gekettelte übergaben. Die Schuhen heischen, und präsentiren
den Bacchanten, welche sich durch die Bettelei ihrer Schützen erhalten-

wir kleinen Schützen Steine auf das Dach, Antoni aber und die anderen
nahmen die Thür ein. Da kam der Schulmeister mit der ganzen Processton
seiner Schützen und Bacchanten, aber wir Buben warfen mit Steinen auf sie,
daß sie weichen mußten. Als wir nun vernommen, daß wir vor der Obrigkeit
verklagt waren, hatten wir einen Nachbar, der wollt seiner Tochter einen Mann
geben; der hat einen Stall mit gemästeten Gänsen, dem nahmen wir Nachts
drei Gänse, und zogen in den anderen Theil der Stadt, es war eine Vorstadt,
wieder ohne Ringmauern, wie auch der Ort war, wo wir bisher gewesen
waren; da kamen die Schweizer zu uns, zechten mit einanderen, und zog
von da unser Haufe auf Hall in Sachsen, dort gingen wir in die Schul
zu Se. Ulrich. — Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns
hielten, besprachen etliche von uns mit Paul, meinem Vetter, den Bacchanten
zu entlaufen, und zogen wir gen Dresden; dort war aber durchaus keine gute
Schul, und auf der Schul in den Habitazen*) alles voll Lauf, daß wir sie
zu Nacht im Stroh unter uns haben gehört knistern. Wir brachen auf, und
zogen auf Breslau zu; mußten vit Hunger unterwegs leiden, also daß wir
etliche Tage nichts als rohe Zwiebeln mit Salz aßen; etliche Tag gebratene
Eicheln, Holzäpfel und Birnen; manche Nacht lagen wir unter heiterem
Himmel, denn irgend wollte man uns bei den Häuseren leiden, wie früh
wir auch um Herberg baten; manchmal hetzte man die Hunde aus uns. Als
wir aber.nach Breslau kamen, da war alles in Hülle, ja so wohlfeil, daß
sich die armen Schüler überaßen, und oft in große Krankheit fielen. Da
gingen wir zunächst auf den Dom zum heiligen Kreuz in die Schule. AIS
wir aber vernahmen, daß in der obersten Pfarre zu Se. Elisabet etliche
Schweizer waren, zogen wir dorthin: Die Stadt Breslau hat 7 Pfarren,
jegliche eine besondere Schule; es durfte kein Schüler in eines andern Pfarre
gehn zu singen, oder sie schrieen: act 16<zu, act iüsm! und dann liefen die
Schützen zusammen, und schlugen einander gar übel. Es sind, wie man sagt,
auf einmal in der Stadt etlich tausend Bacchanten und Schützen gewesen, die
sich alle durch Almosen ernährten; man sagte auch, daß etliche von zwanzig,
dreißig Jahren und mehr da wären, die ihre Schützen hätten, die ihnen prä-
sentirten^); ich hab meinen Bacchanten oft an einem Abend fünf oder sechs
Trachten heim auf die Schule getragen, wo sie damals wohnten; man gab
mir auch recht gern, darum daß ich klein war, und ein Schweizer; dann man
hatte die Schweizer sehr lieb. — Blieb also eine Zeitlang da, war an einem
Winter dreimal krank, daß man mich mußt in das Spital führen; die Schüler
hatten ein besonderes Spital, und eigene Doctores. Auch giebt man auf dem




*) Schlafkammern der fremden Schüler.
Kunstausdruck: Das Gekettelte übergaben. Die Schuhen heischen, und präsentiren
den Bacchanten, welche sich durch die Bettelei ihrer Schützen erhalten-
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[0434] wir kleinen Schützen Steine auf das Dach, Antoni aber und die anderen nahmen die Thür ein. Da kam der Schulmeister mit der ganzen Processton seiner Schützen und Bacchanten, aber wir Buben warfen mit Steinen auf sie, daß sie weichen mußten. Als wir nun vernommen, daß wir vor der Obrigkeit verklagt waren, hatten wir einen Nachbar, der wollt seiner Tochter einen Mann geben; der hat einen Stall mit gemästeten Gänsen, dem nahmen wir Nachts drei Gänse, und zogen in den anderen Theil der Stadt, es war eine Vorstadt, wieder ohne Ringmauern, wie auch der Ort war, wo wir bisher gewesen waren; da kamen die Schweizer zu uns, zechten mit einanderen, und zog von da unser Haufe auf Hall in Sachsen, dort gingen wir in die Schul zu Se. Ulrich. — Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns hielten, besprachen etliche von uns mit Paul, meinem Vetter, den Bacchanten zu entlaufen, und zogen wir gen Dresden; dort war aber durchaus keine gute Schul, und auf der Schul in den Habitazen*) alles voll Lauf, daß wir sie zu Nacht im Stroh unter uns haben gehört knistern. Wir brachen auf, und zogen auf Breslau zu; mußten vit Hunger unterwegs leiden, also daß wir etliche Tage nichts als rohe Zwiebeln mit Salz aßen; etliche Tag gebratene Eicheln, Holzäpfel und Birnen; manche Nacht lagen wir unter heiterem Himmel, denn irgend wollte man uns bei den Häuseren leiden, wie früh wir auch um Herberg baten; manchmal hetzte man die Hunde aus uns. Als wir aber.nach Breslau kamen, da war alles in Hülle, ja so wohlfeil, daß sich die armen Schüler überaßen, und oft in große Krankheit fielen. Da gingen wir zunächst auf den Dom zum heiligen Kreuz in die Schule. AIS wir aber vernahmen, daß in der obersten Pfarre zu Se. Elisabet etliche Schweizer waren, zogen wir dorthin: Die Stadt Breslau hat 7 Pfarren, jegliche eine besondere Schule; es durfte kein Schüler in eines andern Pfarre gehn zu singen, oder sie schrieen: act 16<zu, act iüsm! und dann liefen die Schützen zusammen, und schlugen einander gar übel. Es sind, wie man sagt, auf einmal in der Stadt etlich tausend Bacchanten und Schützen gewesen, die sich alle durch Almosen ernährten; man sagte auch, daß etliche von zwanzig, dreißig Jahren und mehr da wären, die ihre Schützen hätten, die ihnen prä- sentirten^); ich hab meinen Bacchanten oft an einem Abend fünf oder sechs Trachten heim auf die Schule getragen, wo sie damals wohnten; man gab mir auch recht gern, darum daß ich klein war, und ein Schweizer; dann man hatte die Schweizer sehr lieb. — Blieb also eine Zeitlang da, war an einem Winter dreimal krank, daß man mich mußt in das Spital führen; die Schüler hatten ein besonderes Spital, und eigene Doctores. Auch giebt man auf dem *) Schlafkammern der fremden Schüler. Kunstausdruck: Das Gekettelte übergaben. Die Schuhen heischen, und präsentiren den Bacchanten, welche sich durch die Bettelei ihrer Schützen erhalten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/434>, abgerufen am 28.09.2024.