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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Rathhaus für einen Kranken -16 Heller die Woche; damit erhalt man einen
gar wohl. Man hat dort gute Wartung, gute Betten, aber große Lauf darum,
daß es nit zu glauben, wie Hanfsaamen, so daß ich vit lieber in der Stube,
wie mancher mehr, auf dem Heerde lag, als in den Betten. Die Schüler
und Bacchanten, ja auch zu Zeiten der gemeine Mann, sind so voll Laus, daß
eS nicht glaubbar ist, ich hätte schier, so oft man gewollt hätte, drei Lauf mit
einander aus dem Busen gezogen. Bin auch oftmals besonder im Sommer
hinaus an die Oder, (das Wasser, das da vorüber fließt) gegangen, hab mein
Hemdlein gewaschen, Habs an eine Staude gehenkt und getrocknet, und da¬
zwischen den Rock getaufet, eine Grube gemacht, einen Haufen Lauf darein
geworfen, mit Boden zugedeckt; und ein Kreuz darauf gesteckt. Den Winter
liegen die Schützen auf dem Heerd in der Schule, die Bacchanten aber in den
Kämmerlein, deren zu Se. Elisabeth etliche Hundert waren; den Sommer aber
wann es heiß war, lagen wir auf dem Kirchhof, trugen Gras zusamen, das
man im Sommer am Sonntag in der Herren Gassen vor die Häuser breitet;
das trugen etliche in eine Ecke auf den Kirchhof zusammen, lagen darinn wie
San in der Sträuc; wann es aber regnete, liefen wir in die Schule, und
wenn Ungewitter war, so jungen wir schier die gantze Nacht Ncsponsoria
und anderes mit dem Subcantore. Manchmal gingen wir im Sommer
nach dem Nachtmahl in die Bierhäuser Bier zu heischen; da gaben uns die
vollen Polackenbauren Bier, daß ich oft ohne es zu wissen, so vvllgeworden
bin, daß ich nicht hab wieder in die Schul kommen können, wann ich schon
nur ein Steinwurff von der Schule entfernt war. Summa, da war Nahrungs
genug, aber man studirte nit vit. --

In der Schul zu Se. Elisabet lasen allwegen zugleich zu derselben Stunde
in einer Stube 9. Baccalaurei doch war Graeca Lingua noch nirgend im Land,
desgleichen hatte niemand keine gedruckten Bücher, nur der Praeeeptor hatte
einen gedruckten Terentium: Was man las mußte man erstlich dictiren, dann
distinguiren, dann construiren, zuletzt erponiren, daß die Bacchanten grosse
Scharteken mit sich heim zu tragen hatten, wenn sie hinweg gingen.

Von dort zogen unser acht wieder hinweg auf Dresden zu; kamen wieder
in Noth, daß wir wieder grossen Hunger litten: da beschlossen wir uns einen
Tag zu theilen; etliche sollten nach Gänsen aussehen, etliche nach Rüben und
Zwiebeln, einer nach einem Topf, wir Kleinen aber in die Stadt Neumarkt
gehen, die nicht weit davon war auf der Straß, und sollten nach Brot und
Salz sehen, auf den Abend wollten wir vor der Stadt wieder zusammen
kommen, wollten vor der Stadt das Lager schlagen, und kochen was wir dann
hätten. Da war einen Büchsenschuß von der Stadt ein Brunnen, dort woll¬
ten wir die Nacht bleiben, aber wie man in der Stadt das Feuer gesehen hat,
schoß man zu uns heraus, sie trafen uns jedoch nicht. Da wichen wir hinter


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Rathhaus für einen Kranken -16 Heller die Woche; damit erhalt man einen
gar wohl. Man hat dort gute Wartung, gute Betten, aber große Lauf darum,
daß es nit zu glauben, wie Hanfsaamen, so daß ich vit lieber in der Stube,
wie mancher mehr, auf dem Heerde lag, als in den Betten. Die Schüler
und Bacchanten, ja auch zu Zeiten der gemeine Mann, sind so voll Laus, daß
eS nicht glaubbar ist, ich hätte schier, so oft man gewollt hätte, drei Lauf mit
einander aus dem Busen gezogen. Bin auch oftmals besonder im Sommer
hinaus an die Oder, (das Wasser, das da vorüber fließt) gegangen, hab mein
Hemdlein gewaschen, Habs an eine Staude gehenkt und getrocknet, und da¬
zwischen den Rock getaufet, eine Grube gemacht, einen Haufen Lauf darein
geworfen, mit Boden zugedeckt; und ein Kreuz darauf gesteckt. Den Winter
liegen die Schützen auf dem Heerd in der Schule, die Bacchanten aber in den
Kämmerlein, deren zu Se. Elisabeth etliche Hundert waren; den Sommer aber
wann es heiß war, lagen wir auf dem Kirchhof, trugen Gras zusamen, das
man im Sommer am Sonntag in der Herren Gassen vor die Häuser breitet;
das trugen etliche in eine Ecke auf den Kirchhof zusammen, lagen darinn wie
San in der Sträuc; wann es aber regnete, liefen wir in die Schule, und
wenn Ungewitter war, so jungen wir schier die gantze Nacht Ncsponsoria
und anderes mit dem Subcantore. Manchmal gingen wir im Sommer
nach dem Nachtmahl in die Bierhäuser Bier zu heischen; da gaben uns die
vollen Polackenbauren Bier, daß ich oft ohne es zu wissen, so vvllgeworden
bin, daß ich nicht hab wieder in die Schul kommen können, wann ich schon
nur ein Steinwurff von der Schule entfernt war. Summa, da war Nahrungs
genug, aber man studirte nit vit. —

In der Schul zu Se. Elisabet lasen allwegen zugleich zu derselben Stunde
in einer Stube 9. Baccalaurei doch war Graeca Lingua noch nirgend im Land,
desgleichen hatte niemand keine gedruckten Bücher, nur der Praeeeptor hatte
einen gedruckten Terentium: Was man las mußte man erstlich dictiren, dann
distinguiren, dann construiren, zuletzt erponiren, daß die Bacchanten grosse
Scharteken mit sich heim zu tragen hatten, wenn sie hinweg gingen.

Von dort zogen unser acht wieder hinweg auf Dresden zu; kamen wieder
in Noth, daß wir wieder grossen Hunger litten: da beschlossen wir uns einen
Tag zu theilen; etliche sollten nach Gänsen aussehen, etliche nach Rüben und
Zwiebeln, einer nach einem Topf, wir Kleinen aber in die Stadt Neumarkt
gehen, die nicht weit davon war auf der Straß, und sollten nach Brot und
Salz sehen, auf den Abend wollten wir vor der Stadt wieder zusammen
kommen, wollten vor der Stadt das Lager schlagen, und kochen was wir dann
hätten. Da war einen Büchsenschuß von der Stadt ein Brunnen, dort woll¬
ten wir die Nacht bleiben, aber wie man in der Stadt das Feuer gesehen hat,
schoß man zu uns heraus, sie trafen uns jedoch nicht. Da wichen wir hinter


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[0435] Rathhaus für einen Kranken -16 Heller die Woche; damit erhalt man einen gar wohl. Man hat dort gute Wartung, gute Betten, aber große Lauf darum, daß es nit zu glauben, wie Hanfsaamen, so daß ich vit lieber in der Stube, wie mancher mehr, auf dem Heerde lag, als in den Betten. Die Schüler und Bacchanten, ja auch zu Zeiten der gemeine Mann, sind so voll Laus, daß eS nicht glaubbar ist, ich hätte schier, so oft man gewollt hätte, drei Lauf mit einander aus dem Busen gezogen. Bin auch oftmals besonder im Sommer hinaus an die Oder, (das Wasser, das da vorüber fließt) gegangen, hab mein Hemdlein gewaschen, Habs an eine Staude gehenkt und getrocknet, und da¬ zwischen den Rock getaufet, eine Grube gemacht, einen Haufen Lauf darein geworfen, mit Boden zugedeckt; und ein Kreuz darauf gesteckt. Den Winter liegen die Schützen auf dem Heerd in der Schule, die Bacchanten aber in den Kämmerlein, deren zu Se. Elisabeth etliche Hundert waren; den Sommer aber wann es heiß war, lagen wir auf dem Kirchhof, trugen Gras zusamen, das man im Sommer am Sonntag in der Herren Gassen vor die Häuser breitet; das trugen etliche in eine Ecke auf den Kirchhof zusammen, lagen darinn wie San in der Sträuc; wann es aber regnete, liefen wir in die Schule, und wenn Ungewitter war, so jungen wir schier die gantze Nacht Ncsponsoria und anderes mit dem Subcantore. Manchmal gingen wir im Sommer nach dem Nachtmahl in die Bierhäuser Bier zu heischen; da gaben uns die vollen Polackenbauren Bier, daß ich oft ohne es zu wissen, so vvllgeworden bin, daß ich nicht hab wieder in die Schul kommen können, wann ich schon nur ein Steinwurff von der Schule entfernt war. Summa, da war Nahrungs genug, aber man studirte nit vit. — In der Schul zu Se. Elisabet lasen allwegen zugleich zu derselben Stunde in einer Stube 9. Baccalaurei doch war Graeca Lingua noch nirgend im Land, desgleichen hatte niemand keine gedruckten Bücher, nur der Praeeeptor hatte einen gedruckten Terentium: Was man las mußte man erstlich dictiren, dann distinguiren, dann construiren, zuletzt erponiren, daß die Bacchanten grosse Scharteken mit sich heim zu tragen hatten, wenn sie hinweg gingen. Von dort zogen unser acht wieder hinweg auf Dresden zu; kamen wieder in Noth, daß wir wieder grossen Hunger litten: da beschlossen wir uns einen Tag zu theilen; etliche sollten nach Gänsen aussehen, etliche nach Rüben und Zwiebeln, einer nach einem Topf, wir Kleinen aber in die Stadt Neumarkt gehen, die nicht weit davon war auf der Straß, und sollten nach Brot und Salz sehen, auf den Abend wollten wir vor der Stadt wieder zusammen kommen, wollten vor der Stadt das Lager schlagen, und kochen was wir dann hätten. Da war einen Büchsenschuß von der Stadt ein Brunnen, dort woll¬ ten wir die Nacht bleiben, aber wie man in der Stadt das Feuer gesehen hat, schoß man zu uns heraus, sie trafen uns jedoch nicht. Da wichen wir hinter 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/435>, abgerufen am 26.06.2024.