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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Da begehrten die Schelmen im Anfang mit unseren Gesellen zu spielen, Schach¬
zabel; so nennten sie das Schach, das Wörtlein hat ich nie gehört. Als man
sie nun zur Ruh führte, ich aber und die anderen kleinen Buben ungegessen
(ohne Abendbrot) im Roßstall lagen, waren in der Nacht etliche, vielleicht der
Wirth selber, an die Kammer gekommen; haben wollen aufschließen; da hat
Antonius inwendig eine Schraube eingeschraubet vor das Schloß, das Bett
vor die Thür gerückt, und ein Licht angeschlagen, -- dann er hatte allweg
Wachskerzen und ein Feuerzeug bei sich; -- und hat die anderen Gesellen
schnell aufgeweckt. Wie das die Schelme hörten, sind sie gewichen. Am
Morgen fanden wir weder Wirth. noch Knecht; das sagten sie uns Buben,
wir waren auch alle froh, daß uns im Stall nichts geschehen war. Nachdem
wir von da bei einer Meile gegangen waren, kamen wir zu Leuten, welche
als sie gehört, wo wir die Nacht gewesen waren, sich verwunderten, daß wir
nicht alle ermordet waren; denn vast das ganze Dörflein war der Mörderey
verargwohnt.

Ungefähr eine Meile vor Naumburg waren wieder unsere großen Gesellen
in einem Dorf zurückgeblieben; dann wann sie zusammen zehren wollten,
schickten sie uns voran; da waren unser fünf; da kamen auf weitem Feld achte
auf Rossen an uns mit gespannten Armbrüsten, umritten uns, begehrten von
uns Geld und kehrten die Pfeile gegen uns; dann da führte man noch keine
Büchsen zu Roß. Sprach einer: Gebt Geld; Antwortete einer unter uns, der
war ziemlich groß: Wir hen kein Geld, sind arme Schüler. Da sprach der
Reiter noch zweimal: Gebt Geld; so sagte unser Gesell wieder: Wir hen
kein Geld, und geben euch kein Geld, und sind euch nichts schuldig. Da
zuckte der Reuter das Schwert, hieb ihm stracks am Kopf hin, daß er ihm die
Schnüre an dem Bündel zerhieb. Sie ritten darvon wieder ins Holz, wir
aber gingen auf Naumburg zu; bald kamen unsere Bacchanten, die hatten
die Schelme nirgend gesehen. -- Wir sind auch oft in Gefahren gewesen der
Reuter und Mörder halb, als im Thüringerwald, in Frankenland, in Polenland.
Zu Naumburg blieben wir etliche Wochen; wir Schützen gingen in die Stadt;
etliche Schützen, die singen konnten, sangen, ich aber ging heischen.*) Wir
gingen da aber in keine Schul. Das wollten die anderen nicht leiden, und
drohten, sie würden uns in die Schul zu gehn zwingen: Der Schulmeister
entbot auch unseren Bacchanten: Sie sollten in die Schul kommen, oder man
würde sie fassen; Antoni entbot ihm wieder: er möchte nur kommen! Und da
auch etliche Schweizer da waren, liessen diese uns wissen, auf welchen Tag
man kommen würde, damit man uns nicht unversehends übersiele. Da trugen



*) Kunstausdruck für das Betteln der fahrenden Schüler, wie jetzt noch "Fechten" für
das Betteln der Handwerksburschen.
Grenzboten. IV. 4 3so.

Da begehrten die Schelmen im Anfang mit unseren Gesellen zu spielen, Schach¬
zabel; so nennten sie das Schach, das Wörtlein hat ich nie gehört. Als man
sie nun zur Ruh führte, ich aber und die anderen kleinen Buben ungegessen
(ohne Abendbrot) im Roßstall lagen, waren in der Nacht etliche, vielleicht der
Wirth selber, an die Kammer gekommen; haben wollen aufschließen; da hat
Antonius inwendig eine Schraube eingeschraubet vor das Schloß, das Bett
vor die Thür gerückt, und ein Licht angeschlagen, — dann er hatte allweg
Wachskerzen und ein Feuerzeug bei sich; — und hat die anderen Gesellen
schnell aufgeweckt. Wie das die Schelme hörten, sind sie gewichen. Am
Morgen fanden wir weder Wirth. noch Knecht; das sagten sie uns Buben,
wir waren auch alle froh, daß uns im Stall nichts geschehen war. Nachdem
wir von da bei einer Meile gegangen waren, kamen wir zu Leuten, welche
als sie gehört, wo wir die Nacht gewesen waren, sich verwunderten, daß wir
nicht alle ermordet waren; denn vast das ganze Dörflein war der Mörderey
verargwohnt.

Ungefähr eine Meile vor Naumburg waren wieder unsere großen Gesellen
in einem Dorf zurückgeblieben; dann wann sie zusammen zehren wollten,
schickten sie uns voran; da waren unser fünf; da kamen auf weitem Feld achte
auf Rossen an uns mit gespannten Armbrüsten, umritten uns, begehrten von
uns Geld und kehrten die Pfeile gegen uns; dann da führte man noch keine
Büchsen zu Roß. Sprach einer: Gebt Geld; Antwortete einer unter uns, der
war ziemlich groß: Wir hen kein Geld, sind arme Schüler. Da sprach der
Reiter noch zweimal: Gebt Geld; so sagte unser Gesell wieder: Wir hen
kein Geld, und geben euch kein Geld, und sind euch nichts schuldig. Da
zuckte der Reuter das Schwert, hieb ihm stracks am Kopf hin, daß er ihm die
Schnüre an dem Bündel zerhieb. Sie ritten darvon wieder ins Holz, wir
aber gingen auf Naumburg zu; bald kamen unsere Bacchanten, die hatten
die Schelme nirgend gesehen. — Wir sind auch oft in Gefahren gewesen der
Reuter und Mörder halb, als im Thüringerwald, in Frankenland, in Polenland.
Zu Naumburg blieben wir etliche Wochen; wir Schützen gingen in die Stadt;
etliche Schützen, die singen konnten, sangen, ich aber ging heischen.*) Wir
gingen da aber in keine Schul. Das wollten die anderen nicht leiden, und
drohten, sie würden uns in die Schul zu gehn zwingen: Der Schulmeister
entbot auch unseren Bacchanten: Sie sollten in die Schul kommen, oder man
würde sie fassen; Antoni entbot ihm wieder: er möchte nur kommen! Und da
auch etliche Schweizer da waren, liessen diese uns wissen, auf welchen Tag
man kommen würde, damit man uns nicht unversehends übersiele. Da trugen



*) Kunstausdruck für das Betteln der fahrenden Schüler, wie jetzt noch „Fechten" für
das Betteln der Handwerksburschen.
Grenzboten. IV. 4 3so.
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[0433] Da begehrten die Schelmen im Anfang mit unseren Gesellen zu spielen, Schach¬ zabel; so nennten sie das Schach, das Wörtlein hat ich nie gehört. Als man sie nun zur Ruh führte, ich aber und die anderen kleinen Buben ungegessen (ohne Abendbrot) im Roßstall lagen, waren in der Nacht etliche, vielleicht der Wirth selber, an die Kammer gekommen; haben wollen aufschließen; da hat Antonius inwendig eine Schraube eingeschraubet vor das Schloß, das Bett vor die Thür gerückt, und ein Licht angeschlagen, — dann er hatte allweg Wachskerzen und ein Feuerzeug bei sich; — und hat die anderen Gesellen schnell aufgeweckt. Wie das die Schelme hörten, sind sie gewichen. Am Morgen fanden wir weder Wirth. noch Knecht; das sagten sie uns Buben, wir waren auch alle froh, daß uns im Stall nichts geschehen war. Nachdem wir von da bei einer Meile gegangen waren, kamen wir zu Leuten, welche als sie gehört, wo wir die Nacht gewesen waren, sich verwunderten, daß wir nicht alle ermordet waren; denn vast das ganze Dörflein war der Mörderey verargwohnt. Ungefähr eine Meile vor Naumburg waren wieder unsere großen Gesellen in einem Dorf zurückgeblieben; dann wann sie zusammen zehren wollten, schickten sie uns voran; da waren unser fünf; da kamen auf weitem Feld achte auf Rossen an uns mit gespannten Armbrüsten, umritten uns, begehrten von uns Geld und kehrten die Pfeile gegen uns; dann da führte man noch keine Büchsen zu Roß. Sprach einer: Gebt Geld; Antwortete einer unter uns, der war ziemlich groß: Wir hen kein Geld, sind arme Schüler. Da sprach der Reiter noch zweimal: Gebt Geld; so sagte unser Gesell wieder: Wir hen kein Geld, und geben euch kein Geld, und sind euch nichts schuldig. Da zuckte der Reuter das Schwert, hieb ihm stracks am Kopf hin, daß er ihm die Schnüre an dem Bündel zerhieb. Sie ritten darvon wieder ins Holz, wir aber gingen auf Naumburg zu; bald kamen unsere Bacchanten, die hatten die Schelme nirgend gesehen. — Wir sind auch oft in Gefahren gewesen der Reuter und Mörder halb, als im Thüringerwald, in Frankenland, in Polenland. Zu Naumburg blieben wir etliche Wochen; wir Schützen gingen in die Stadt; etliche Schützen, die singen konnten, sangen, ich aber ging heischen.*) Wir gingen da aber in keine Schul. Das wollten die anderen nicht leiden, und drohten, sie würden uns in die Schul zu gehn zwingen: Der Schulmeister entbot auch unseren Bacchanten: Sie sollten in die Schul kommen, oder man würde sie fassen; Antoni entbot ihm wieder: er möchte nur kommen! Und da auch etliche Schweizer da waren, liessen diese uns wissen, auf welchen Tag man kommen würde, damit man uns nicht unversehends übersiele. Da trugen *) Kunstausdruck für das Betteln der fahrenden Schüler, wie jetzt noch „Fechten" für das Betteln der Handwerksburschen. Grenzboten. IV. 4 3so.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/433>, abgerufen am 22.07.2024.