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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Da nahm ich einen Stein, warf eine, traf sie an ein Bein, die andern flogen
davon, die hinkende aber konnte nicht aufkommen. Da nahm ich noch einen
Stein, traf sie an den Kopf, daß sie niederfiel. Da lief ich hinzu und er¬
wischte die Gans bei dem Kragen, fuhr unter das Röcklein mit ihr und ging
die Straße durch das Dorf. Da kam der Gänsehirt nachgelaufen, schrie im
Dorf: der Bub hat mir meine Gans geraubt! Ich und meine Mitschützen
flohen und der Gans hingen die Füße unter meinem Röcklein hervor. Die
Bauern kamen hervor mit Spießen, die sie werfen konnten, liefen uns nach.
Als ich sahe, daß ich nicht mit der Gans entrinnen konnte, lies ich sie
fallen, und sprang vor dem Dorf vom Wege ab in ein Gesträuch, zwei
meiner Gesellen aber liefen der Straße nach, die ereilten zwei Bauern.
Da fielen sie nieder auf die Knie, und begehrten Gnade, sie hatten ihnen
keinen Schaden gethan; und da auch die Bauern sahen, daß sie nicht der
waren, der die Gans hatte fallen lassen, so gingen sie wieder in das Dorf,
und nahmen die Gans. Ich aber sah, wie sie meinen Gesellen nacheilten und
war in größten Nöthen und sprach zu mir selbst: Ach Gott, ich glaube, ich
hab mich heut nit gesegnet! (wie man mich denn gelehrt hatte, ich sollte mich
alle Morgen segnen.) Als die Bauern wieder in das Dorf kamen, fanden sie
unsre Bacchanten im Wirthshaus, denn diese waren voraus in das Wirths¬
haus gegangen, die Bauern vermeinten, sie sollten die Gans zahlen, es wäre
etwa um zwei Batzen zu thun gewesen; ich weiß aber nit, ob sie sie bezahlt
haben oder nit. Als sie nun wieder zu uns kamen, lachten sie und fragten,
wie es gegangen wäre. Ich entschuldigte mich, vermeinte es wäre so Lands
Brauch; sprachen sie, es wäre noch nicht Zeit.

Ein ander Mal kam ein Mörder zu uns allen in den Wald, elf Meilen
diesseit Nürnberg, da waren wir all beieinander; der wollt alsbald mit unseren
Bacchanten spielen, daß er uns hinderte, bis daß seine Gesellen zusammen¬
kämen; da hatte" wir gar einen redlichen Gesellen, mit Namen Antoni Schall¬
bether, der trauete dem Mörder, er sollte sich von uns machen; das that er.
Nun war es spat, daß wir blos bis in das Dorf kommen konnten, und waren
zwei Wirthshäuser daselbst, sonst wenig Häuser. Da wir in eins kamen, war
der Mörder vor uns da, und andere mehr, ohne Zweifel seine Gesellen; da
wollten wir nicht da bleiben, gingen in das andere Wirthshaus. Als man
zu Nacht geessen hatte, war jeder so geschäfflig im Haus, daß man uns kleinen
Buben nichts geben wollt; denn wir saßen niemals mit am Tische beim Mahl,
man wollt uns auch nicht in eine Schlafkammer führen, sondern wir mußten
im Roßstall liegen.-- Als man aber die Großen zu ihrer Schlafkammer führte,
sprach Antoni zum Wirth: Wirth mich dünete, du habest se/than Gast, und
du seiest nit besser, ich sage dir Wirth, leg uns, daß wir sicher seien, oder
wir werden dir ein Wesen machen, baß dir das Hauß zu eng werden soll.


Da nahm ich einen Stein, warf eine, traf sie an ein Bein, die andern flogen
davon, die hinkende aber konnte nicht aufkommen. Da nahm ich noch einen
Stein, traf sie an den Kopf, daß sie niederfiel. Da lief ich hinzu und er¬
wischte die Gans bei dem Kragen, fuhr unter das Röcklein mit ihr und ging
die Straße durch das Dorf. Da kam der Gänsehirt nachgelaufen, schrie im
Dorf: der Bub hat mir meine Gans geraubt! Ich und meine Mitschützen
flohen und der Gans hingen die Füße unter meinem Röcklein hervor. Die
Bauern kamen hervor mit Spießen, die sie werfen konnten, liefen uns nach.
Als ich sahe, daß ich nicht mit der Gans entrinnen konnte, lies ich sie
fallen, und sprang vor dem Dorf vom Wege ab in ein Gesträuch, zwei
meiner Gesellen aber liefen der Straße nach, die ereilten zwei Bauern.
Da fielen sie nieder auf die Knie, und begehrten Gnade, sie hatten ihnen
keinen Schaden gethan; und da auch die Bauern sahen, daß sie nicht der
waren, der die Gans hatte fallen lassen, so gingen sie wieder in das Dorf,
und nahmen die Gans. Ich aber sah, wie sie meinen Gesellen nacheilten und
war in größten Nöthen und sprach zu mir selbst: Ach Gott, ich glaube, ich
hab mich heut nit gesegnet! (wie man mich denn gelehrt hatte, ich sollte mich
alle Morgen segnen.) Als die Bauern wieder in das Dorf kamen, fanden sie
unsre Bacchanten im Wirthshaus, denn diese waren voraus in das Wirths¬
haus gegangen, die Bauern vermeinten, sie sollten die Gans zahlen, es wäre
etwa um zwei Batzen zu thun gewesen; ich weiß aber nit, ob sie sie bezahlt
haben oder nit. Als sie nun wieder zu uns kamen, lachten sie und fragten,
wie es gegangen wäre. Ich entschuldigte mich, vermeinte es wäre so Lands
Brauch; sprachen sie, es wäre noch nicht Zeit.

Ein ander Mal kam ein Mörder zu uns allen in den Wald, elf Meilen
diesseit Nürnberg, da waren wir all beieinander; der wollt alsbald mit unseren
Bacchanten spielen, daß er uns hinderte, bis daß seine Gesellen zusammen¬
kämen; da hatte» wir gar einen redlichen Gesellen, mit Namen Antoni Schall¬
bether, der trauete dem Mörder, er sollte sich von uns machen; das that er.
Nun war es spat, daß wir blos bis in das Dorf kommen konnten, und waren
zwei Wirthshäuser daselbst, sonst wenig Häuser. Da wir in eins kamen, war
der Mörder vor uns da, und andere mehr, ohne Zweifel seine Gesellen; da
wollten wir nicht da bleiben, gingen in das andere Wirthshaus. Als man
zu Nacht geessen hatte, war jeder so geschäfflig im Haus, daß man uns kleinen
Buben nichts geben wollt; denn wir saßen niemals mit am Tische beim Mahl,
man wollt uns auch nicht in eine Schlafkammer führen, sondern wir mußten
im Roßstall liegen.— Als man aber die Großen zu ihrer Schlafkammer führte,
sprach Antoni zum Wirth: Wirth mich dünete, du habest se/than Gast, und
du seiest nit besser, ich sage dir Wirth, leg uns, daß wir sicher seien, oder
wir werden dir ein Wesen machen, baß dir das Hauß zu eng werden soll.


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[0432] Da nahm ich einen Stein, warf eine, traf sie an ein Bein, die andern flogen davon, die hinkende aber konnte nicht aufkommen. Da nahm ich noch einen Stein, traf sie an den Kopf, daß sie niederfiel. Da lief ich hinzu und er¬ wischte die Gans bei dem Kragen, fuhr unter das Röcklein mit ihr und ging die Straße durch das Dorf. Da kam der Gänsehirt nachgelaufen, schrie im Dorf: der Bub hat mir meine Gans geraubt! Ich und meine Mitschützen flohen und der Gans hingen die Füße unter meinem Röcklein hervor. Die Bauern kamen hervor mit Spießen, die sie werfen konnten, liefen uns nach. Als ich sahe, daß ich nicht mit der Gans entrinnen konnte, lies ich sie fallen, und sprang vor dem Dorf vom Wege ab in ein Gesträuch, zwei meiner Gesellen aber liefen der Straße nach, die ereilten zwei Bauern. Da fielen sie nieder auf die Knie, und begehrten Gnade, sie hatten ihnen keinen Schaden gethan; und da auch die Bauern sahen, daß sie nicht der waren, der die Gans hatte fallen lassen, so gingen sie wieder in das Dorf, und nahmen die Gans. Ich aber sah, wie sie meinen Gesellen nacheilten und war in größten Nöthen und sprach zu mir selbst: Ach Gott, ich glaube, ich hab mich heut nit gesegnet! (wie man mich denn gelehrt hatte, ich sollte mich alle Morgen segnen.) Als die Bauern wieder in das Dorf kamen, fanden sie unsre Bacchanten im Wirthshaus, denn diese waren voraus in das Wirths¬ haus gegangen, die Bauern vermeinten, sie sollten die Gans zahlen, es wäre etwa um zwei Batzen zu thun gewesen; ich weiß aber nit, ob sie sie bezahlt haben oder nit. Als sie nun wieder zu uns kamen, lachten sie und fragten, wie es gegangen wäre. Ich entschuldigte mich, vermeinte es wäre so Lands Brauch; sprachen sie, es wäre noch nicht Zeit. Ein ander Mal kam ein Mörder zu uns allen in den Wald, elf Meilen diesseit Nürnberg, da waren wir all beieinander; der wollt alsbald mit unseren Bacchanten spielen, daß er uns hinderte, bis daß seine Gesellen zusammen¬ kämen; da hatte» wir gar einen redlichen Gesellen, mit Namen Antoni Schall¬ bether, der trauete dem Mörder, er sollte sich von uns machen; das that er. Nun war es spat, daß wir blos bis in das Dorf kommen konnten, und waren zwei Wirthshäuser daselbst, sonst wenig Häuser. Da wir in eins kamen, war der Mörder vor uns da, und andere mehr, ohne Zweifel seine Gesellen; da wollten wir nicht da bleiben, gingen in das andere Wirthshaus. Als man zu Nacht geessen hatte, war jeder so geschäfflig im Haus, daß man uns kleinen Buben nichts geben wollt; denn wir saßen niemals mit am Tische beim Mahl, man wollt uns auch nicht in eine Schlafkammer führen, sondern wir mußten im Roßstall liegen.— Als man aber die Großen zu ihrer Schlafkammer führte, sprach Antoni zum Wirth: Wirth mich dünete, du habest se/than Gast, und du seiest nit besser, ich sage dir Wirth, leg uns, daß wir sicher seien, oder wir werden dir ein Wesen machen, baß dir das Hauß zu eng werden soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/432>, abgerufen am 22.07.2024.