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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schrie wie eine Geis, die am Messer steckt, daß oft die Nachbarn über ihn
redeten, ob er mich wollte morden.

Bei dem war ich nit lang. In derselben Zeit kam einer, der war mir
Geschwisterkind, der war den Schulen nachgezogen auf Ulm und München im
Baiernland, derselbe Student hieß Paulus Summermatter. Dem hatten meine
Verwandten von mir gesagt, er verhieß ihnen, er wollte mich mit sich nehmen
und in Deutschland der Schule nachführen. Da ich das vernahm, fiel ich auf
meine Knie und bat Gott den Allmächtigen, daß er mir von dem Pfaffen hülfe,
der mich schier gar nichts lehrte und aber jämmerlich übel schlug. Denn ich
hatte eben ein wenig das Salve singen gelernt, und um Eier bitten mit andern
Schülern, die auch in dem Dorf bei dem Pfaffen waren.

Als nun Paulus wieder wandeln wollte, sollte ich zu ihm nach Statten
kommen. Vor Statten wohnte Simon zu der Summermatten, meiner Mutter
Bruder, der sollte mein Vogt sein; der gab mir einen Goldgulden, den trug
ich im Händlein bis nach Statten, lugte oft unterweges, ob ich ihn noch
hätte, gab ihn dem Paulus. So zogen wir zum Land hinaus. Da mußt
ich für mich betteln und meinem Bacchanten, dem Paulus, auch geben, denn
wegen meiner Einfalt und ländlichen Sprach gab man mir viel. Als wir
über den Berg Grimsel Nachts in ein Wirthshaus kamen, hatte ich nie einen
Kachelofen gesehen und schien der Mond an die Kacheln, da wähnte ich, es
wäre so ein großes Kalb, denn ich sah nur zwei Kacheln scheinen, das waren,
so meinte ich, die Augen. Am Morgen sahe ich Gänse, deren ich nie keine
gesehn hatte, da meinte ich, als sie mich anheiserten, es wäre der Teufel und
wollte mich fressen, floh und schrie. Zu Luzern sah ich die ersten Ziegeldächer.

Darnach zogen wir auf Meißen zu, war mir eine weite Reis, da ich
nicht gewohnt war so weit zu ziehen, dazu unterwegs das Essen zu gewinnen.
Wir zogen also unser miteinander 8 oder 9, drei kleine Schützen, die andern
große Bacchanten, wie man sie nennt, unter welchen ich der allerkleinste und
jüngste Schütz war. Wenn ich nicht gut zu gehn vermochte, ging mein Vetter
Paulus hinter mir mit der Ruthe oder dem Stöcklein und zwickte mich an die
bloßen Beine, denn ich hatte keine Hosen an und böse Schühlein. Weiß auch
nit mehr alle Dinge, die uns auf der Straß begegnet sind, doch ettlicher bin
ich eingedenk. Als nähmlich wie wir auf der Reise waren und man so aller¬
lei redete, sprachen die Bacchanten untereinander wie -in Meißen und Schlesien
der Brauch wäre, daß die Schüler Gänse und Enten, auch andere solche
Speise rauben dürsten und thäte man einem nichts darum, wenn man dem
entronnen sei, dem das Ding gehört hätte. Einestages waren wir nit weit
von einem Dorf, da war ein großer Haus Gänse beieinander und war der
Hirt mit dabei, da fragte ich meine Gesellen, die Schützen: wann sind wir in
Meissen, daß ich Gänse todt werfen darf? Sprachen sie: jetzt sind wir drinnen.


schrie wie eine Geis, die am Messer steckt, daß oft die Nachbarn über ihn
redeten, ob er mich wollte morden.

Bei dem war ich nit lang. In derselben Zeit kam einer, der war mir
Geschwisterkind, der war den Schulen nachgezogen auf Ulm und München im
Baiernland, derselbe Student hieß Paulus Summermatter. Dem hatten meine
Verwandten von mir gesagt, er verhieß ihnen, er wollte mich mit sich nehmen
und in Deutschland der Schule nachführen. Da ich das vernahm, fiel ich auf
meine Knie und bat Gott den Allmächtigen, daß er mir von dem Pfaffen hülfe,
der mich schier gar nichts lehrte und aber jämmerlich übel schlug. Denn ich
hatte eben ein wenig das Salve singen gelernt, und um Eier bitten mit andern
Schülern, die auch in dem Dorf bei dem Pfaffen waren.

Als nun Paulus wieder wandeln wollte, sollte ich zu ihm nach Statten
kommen. Vor Statten wohnte Simon zu der Summermatten, meiner Mutter
Bruder, der sollte mein Vogt sein; der gab mir einen Goldgulden, den trug
ich im Händlein bis nach Statten, lugte oft unterweges, ob ich ihn noch
hätte, gab ihn dem Paulus. So zogen wir zum Land hinaus. Da mußt
ich für mich betteln und meinem Bacchanten, dem Paulus, auch geben, denn
wegen meiner Einfalt und ländlichen Sprach gab man mir viel. Als wir
über den Berg Grimsel Nachts in ein Wirthshaus kamen, hatte ich nie einen
Kachelofen gesehen und schien der Mond an die Kacheln, da wähnte ich, es
wäre so ein großes Kalb, denn ich sah nur zwei Kacheln scheinen, das waren,
so meinte ich, die Augen. Am Morgen sahe ich Gänse, deren ich nie keine
gesehn hatte, da meinte ich, als sie mich anheiserten, es wäre der Teufel und
wollte mich fressen, floh und schrie. Zu Luzern sah ich die ersten Ziegeldächer.

Darnach zogen wir auf Meißen zu, war mir eine weite Reis, da ich
nicht gewohnt war so weit zu ziehen, dazu unterwegs das Essen zu gewinnen.
Wir zogen also unser miteinander 8 oder 9, drei kleine Schützen, die andern
große Bacchanten, wie man sie nennt, unter welchen ich der allerkleinste und
jüngste Schütz war. Wenn ich nicht gut zu gehn vermochte, ging mein Vetter
Paulus hinter mir mit der Ruthe oder dem Stöcklein und zwickte mich an die
bloßen Beine, denn ich hatte keine Hosen an und böse Schühlein. Weiß auch
nit mehr alle Dinge, die uns auf der Straß begegnet sind, doch ettlicher bin
ich eingedenk. Als nähmlich wie wir auf der Reise waren und man so aller¬
lei redete, sprachen die Bacchanten untereinander wie -in Meißen und Schlesien
der Brauch wäre, daß die Schüler Gänse und Enten, auch andere solche
Speise rauben dürsten und thäte man einem nichts darum, wenn man dem
entronnen sei, dem das Ding gehört hätte. Einestages waren wir nit weit
von einem Dorf, da war ein großer Haus Gänse beieinander und war der
Hirt mit dabei, da fragte ich meine Gesellen, die Schützen: wann sind wir in
Meissen, daß ich Gänse todt werfen darf? Sprachen sie: jetzt sind wir drinnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/431>, abgerufen am 22.07.2024.